30 Jahre Playmobil:Population Plastik

Sie sind bunt, sie sind aus Plastik und sie lächeln immerzu. Sogar, wenn ihnen amerikanische Kinder die Hand schütteln wollen. Und sie werden 30 jahre alt: Die Playmobilfigürchen sind so populär, dass sich sogar der Bundesgerichtshof schon mit den Männchen beschäftigte.

Von Alex Rühle

Die Araber sind schuld. Hätten die damals nicht die Ölpreise so drastisch erhöht, dann würde man heute nicht nächtens auf dem Weg zum Bad plötzlich diesen stechenden Schmerz in der Ferse spüren, weil wieder ein winziges Huhn oder der fitzelige Feuerwehrhelm im Flur rumlagen.

30 Jahre Playmobil: Bibelfest: Playmobil-Set zur Arche Noahs

Bibelfest: Playmobil-Set zur Arche Noahs

(Foto: Foto: dpa)

Und man hätte nicht regelmäßig beim Aufräumen ein klirrendes Geräusch im Staub saugerrohr, gefolgt von einem gellenden Kinderschrei: "Der Hut! Der Hut vom Indianer ist weg! Der Huuut!"

Stattdessen stünde immer noch das sperrige Spielzeug in der Wohnung, mit dem die Firma Geobra Brandstätter damals herumhantierte: wuchtige Einkaufsläden, mannshohe Kräne.

Geboren im Jahr der Krise

In diesen Tagen ist es dreißig Jahre her, dass die ersten Playmobilritter, Indianer und Bauarbeiter in den Spielzeuggeschäften auftauchten. Von dort bereiteten sie die freundlichste Übernahme der Wirtschaftsgeschichte vor, schwärmten in alle deutschen Wohnungen aus, drangen durch Bodenritzen und Türspalte, vermehrten sich still und leise in Sofaritzen und Schranknischen, und wuchsen so zum größten Volk der Erde heran: 1,8 Milliarden Playmobilfiguren soll es heute geben.

1974. Ein Jahr der Krise: Kaum hatte der Club of Rome der Welt "Die Grenzen des Wachstums" vorgerechnet, stieg der Benzinpreis von 76 auf 86 Pfennige. Die Zahl der Arbeitslosen verdoppelte sich auf unglaubliche 582.000.

VW bastelte an einem Auto, das mit dem Slogan "Wie Sie es mit 5,5 Liter Normal 100 Kilometer weit bringen können" beworben wurde: Der Golf war die Antwort auf die er ste bundesdeutsche Sparsamkeitswelle.

Nicht Technik, sondern Männchen

Der nachfolgenden Generation schenkte ein Zirndorfer Fabrikant auf der Nürnberger Spielwarenmesse ein kleines Männchen, das alle Sorgen und Ängste in Grund und Boden lächelte.

Playmobil war das erste Spielzeug, das sich der Ressourcenknappheit verdankte: Plastik, genauer, Acrylnitril-Butadien-Styro-Copolymere, damals das Lebenselixier allen Spielzeugs, wurde plötzlich ebenfalls teurer.

Einkaufsläden, sperrige Kräne, Bagger - das alles verschlang Unmengen davon. So entwickelten Horst Brandtstätter und sein Erfinder Hans Beck ihre energiesparende Figur und leiteten so die anthropozentrische Wende im Kinderzimmer ein: Playmobil stellte nicht die Technik in den Mittelpunkt, sondern ein multifunktionales Männchen.

Bis dahin gab es Feuerwehrautos ohne Fahrer, Raumschiffe sausten unbemannt durch den Kinderkosmos, und selbst Piratenschiffe musste man selbst kapern. Hans Beck baute seinen unkaputtbaren Ritter von der fröhlichen Gestalt und sagte: "Von der Figur ausgehend entwickeln wir die ganze Welt."

Ganze, schöne, neue Welt: Die typische Playmobilstadt dürfte dem Wunschbild jedes europäischen Stadtverwaltungsbeamten entsprechen. Alle Häuser sind tipptopp in Schuss. Schmutz existiert nicht - selbst mit dem Müllauto könnte man Essen ausfahren.

Die Bewohner sind allesamt immerfort emsig beschäftigt, sei es, dass sie lächelnd das Brutto sozialprodukt erhöhen, die Ordnung am Laufen halten oder sich hauptamtlich genehmigten Freizeitaktivitäten widmen. Niemand stirbt. Keine Graffitis. Keine Überalterung.

Dass die Playmobil-Figuren einen harmlosen Charakter haben, bestätigte sogar der Bundesgerichtshof. Als eine andere Spielzeugwarenfabrik die Playbig-Figuren auf den Markt brachte, ging Brandstätter vor Gericht: Playbig sei ein Plagiat.

Population Plastik

Am Ende urteilte der BGH, "dass Playbig-Figuren den Eindruck eines selbstbewussten, sportlichen, aggressiven Mannes vermitteln, wohingegen das Playmobil-Männchen die Wirkung von einem Kind, nett und noch unsicher auf den Beinen" habe.

30 Jahre Playmobil: Mit Streitaxt, Wams und Helm: Wikinger mit Kanu

Mit Streitaxt, Wams und Helm: Wikinger mit Kanu

(Foto: Foto: ddp)

Trotz des gewonnenen Prozesses setzte sich die virile Playbig-Figur nicht durch. Playmobil dagegen eroberte alle deutschen Kinderzimmer. Waren die Figuren vielleicht auch deshalb so erfolgreich, weil sie so schön zu dem Bild passten, das die Deutschen von sich selbst haben wollten?

Der in Dresden geborene Journalist Peter Richter erinnert sich in seinem unterhaltsamen Buch "Blühende Landschaften" an seinen ersten Ausflug in den Westen, kurz nach der Maueröffnung: "Alles sah tadellos und frisch aus in dieser Stadt, besonders die historischen Sehenswürdigkeiten machten den löblichen Eindruck, gerade erst fertiggestellt worden zu sein.

Subversiv mit saufenden Bauarbeiter-Figuren

Sogar die Gleichaltrigen wirkten seltsam neu und säuberlich und unverdorben. Es war überhaupt ein sehr gutherziges und gepflegtes Bild, das die Bundesrepublik, jedenfalls in diesem niedersächsischen Städtchen, von sich abgab. Ein Land des Lächelns, eine Demütigung für jeden Staatskundelehrer.

Dieser Westen gab sich noch nicht einmal die Mühe, dem Bild nahe zu kommen, das seine eigenen Medien von ihm zeichneten. Er sah nicht aus wie in Monitor, sondern noch viel, viel bedrückender: wie in den Waschmittelreklamen des Vorabendprogramms." Das klingt nach einem Ausflug ins Playmobilland.

Subversiv war die Firma nur einmal, ganz zu Anfang: Im zweiten Katalog prosten sich zwei Bauarbeiter inmitten von Straßenschildern, Schubkarren, Spitzhacke und drei Bierkästen mit zwei grünen Humpen zu. Gelber Bauarbeiter: "Das ist heute schon meine fünfte Flasche." Grüner Bauarbeiter: "Macht nichts. Es ist genug Bier da!" Es hagelte harsche Proteste vom Jugendministerium.

Heute ist Playmobil ein Musterkind aller Jugendministerialbeautragten. Die Firma, die Anfang der sechziger Jahre noch Bausätze von V2-Raketen im Sortiment hatte, hat früh entschieden, niemals Soldaten, Jeeps oder Panzer zu produzieren. Selbst die Polizisten lächeln bei jeder Festnahme.

Und unter 1,8 Milliarden Playmos gibt es nicht einen schwer Erziehbaren. Keinen Alkoholiker. Nicht einmal einen nackten Hintern. Das penetrante Lächeln nervt selbst viele Kinder: "Beim Polizeispiel gibt es nichts zu lachen!" schrieb einmal ein achtjähriger Junge nach Zirndorf.

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30 Jahre Playmobil: Einäugiger Korsar vor Piraten-Segler im Playmobil-Funpark im mittelfränkischen Zirndorf

Einäugiger Korsar vor Piraten-Segler im Playmobil-Funpark im mittelfränkischen Zirndorf

(Foto: Foto: dpa)

Ob es Studien gibt, inwieweit die mit Playmobil-Indianern sozialisierten Kinder weniger einfallsreich sind als Kinder, die in der selben Zeit im Wald ihr eigenes Tipi bauen? Die Firma wirbt ja damit, dass sie die Wirklichkeit eins zu eins nachzubilden versucht. So wird in einem Werbefilm das Spielsystem als "detailgenaues Abbild unserer Erwachsenenwelt" angepriesen.

Fakten, Fakten, Fakten, und immer an die Kinder denken. Hatte der Indianer 1974 ein paar Federn und ein Wigwam, so kann man heute den Irokesenschnitt dazukaufen und aus dem botanischen Spektrum von "Kakteen, Nadelbäumen, Sukkulenten und Palmen" auswählen.

Im wilden Amerika floppte Playmobil übrigens: Die amerikanischen Kinder versuchten allesamt, die Arme der Figuren vom Körper abzuspreizen. Das überfordert die Anatomie der Playmobilfigur. Die Arme brachen ab, das steife deutsche Männchen verschwand wieder, noch bevor es richtig im amerikanischen Kinderzimmer angekommen war.

Als er einmal nach Vorbildern für seine Männchen mit den kindlichen Proportionen befragt wurde, fielen dem Erfinder Hans Beck nur die "Peanuts" ein, jene Figuren von Charles M. Schulz, die in ihren kleinen Kugelköpfen die Probleme von Erwachsenen wälzen. Umberto Eco fand in den Dialogen der Peanuts "all die Leiden von Erwachsenen, monströse infantile Reduktionen all der Neurosen des modernen Bürgers".

Das Set "Banküberfall" kam nie auf den Markt

Im Giftschrank der Firma Brandstätter in Zirndorf sitzt seit Jahren still und wehrlos ein gefesselter Mann mit Heftpflaster über dem Mund. Es ist ein Bankdirektor, der zum Set Banküberfall gehörte, das nie auf den Markt gelassen wurde. Vielleicht haben es die Entwickler gebastelt, weil sie es selbst nicht mehr ausgehalten haben in ihrer freundlichen Welt.

Was es wohl sonst an verdrängten Welten in den Zirndorfer Schränken gibt? Wie wohl der Playmobil-Atompilz aussieht? Oder das Schulset Columbine? "All die Leiden von Erwachsenen" - so harmlos die Playmobilwelt aussehen mag, sie bereitet doch auf einige harte Prüfungen des Erwachsenenlebens vor: Alle Playmobilkonsumenten werden fit gemacht für ein Leben mit Ikea.

Das merkt man spätestens, wenn einem aus dem Karton der Ritterburg 350 Kleinstteile entgegenfallen, die rätselhaft miteinander verklickt werden müssen. Es kann kein Zufall sein, dass der Schwede Ingvar Kamprad mit seinem freundlich hellen Modul-Mobiliar im selben Krisen-Jahr über Deutschland hereinbrach wie das allkompatible Playmobilmännchen.

"Danke für 25 Jahre Schleppen, Schrauben, Staunen und Freuen", hieß es im Ikea-Jubiläumskatalog 1999. Solch einen entschuldigenden Spruch wünschen sich alle Playmobileltern auch mal von der Firma Brandstätter. "Danke auch für die zerstochenen Füße, für die durchwühlten Staubsaugerbeutel und dafür dass Sie an Weihnachten, als die Kinder längst im Bett waren, immer noch versucht haben, die 224-teilige Ritterburg halbwegs sinnvoll zusammen zubauen."

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