60 Jahre Fotoagentur "Magnum":Du sollst Dir ein Bild machen

Es sind Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis brennen: die Kunstwerke der "Magnum"-Fotografen. Jetzt feiert die Agentur ihr 60-jähriges Bestehen.

Marcus Jauer

Vor sechzig Jahren trafen sich in Paris vier der weltbesten Fotografen und gründeten eine Agentur, die sie der Größe der Champagnerflasche nach benannten, die sie im Anschluss leerten: Magnum.

Es waren Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, David Seymour, George Rodger. Sie kamen aus Ungarn, Frankreich, England, Polen. Sie waren Ende dreißig, Einzelgänger, jeder von ihnen hatte lange schon seinen eigenen Stil entwickelt, aber es gab Dinge, die sie verbanden, und darauf gründeten sie ihre Agentur.

Sieh da, ein Mensch!

Sie waren Moralisten, sie waren Künstler, und Geschäftsleute waren sie auch. Als Moralisten waren sie einst aus dem Krieg gekommen und immer wieder in ihn zurückgekehrt.

Einer war mit den Alliierten in der Normandie gelandet, einer hatte in der Résistance gekämpft, einer war im Spanischen Bürgerkrieg gewesen, und einer war Zeuge, als das Konzentrationslager Buchenwald befreit wurde. Sie glaubten daran, dass es die Welt verändern könne, wenn man ihr ein Bild entgegenstellt, und das konnten sie.

Als Künstler wollten sie sich ihre Themen nicht von einer Redaktion vorgeben, ihre Fotos nicht beschneiden lassen. Sie wollten die Rechte behalten, damit sie sie mehreren Magazine verkaufen konnten, um so Geld zu haben für eigene Themen, denn Geschäftsleute waren sie ja auch.

Heute gehören 46 Fotografen zur Agentur. Jeder, der dazukommt, muss einstimmig angenommen werden, von denen die schon da sind. Dafür reicht es nicht aus, so hat einer mal erzählt, dass man sagen könne: was für ein Fotograf!

Man müsse sagen können: was für ein Mensch! Magnum ist eine Ansammlung von Individualisten, die jeder an ihrem eigenen Stil zu erkennen sind. Die Agentur selbst hat keinen, aber so etwas wie eine Methode.

Kein schnelles Geschäft

Für Capa bestand sie darin, so nah wie möglich an das Geschehen heran zu kommen. Für Cartier-Bresson bestand sie darin, "den entscheidenden Augenblick" abzuwarten. Für beides braucht es Zeit. Im Grunde ist das die Methode: Zeit.

Sie stammt aus den Jahren, als Magazine ihre Reporter noch in die Welt schickten, ohne vorher zu wissen, was sie aus ihr mitbringen würden. Sie verstanden, dass sich einer erst einmal ein Bild machen muss, bevor er fotografieren kann; dass er lesen, reisen, reden muss, bevor er sehen kann; dass er ein Gefühl für die Zeit entwickeln muss, bevor er diesen einen Augenblick festhalten kann, in dem sie sich zu erkennen gibt. Die Fotografie ist kein schnelles Geschäft.

Auf diese Weise entstanden Bilder, die zeigen, dass die Welt das ist, was die Menschen aus ihr machen. Sie sind es, die Revolutionen beginnen, Städte bauen, Kriege führen, die morden, trauern, lachen, spielen. Es klingt selbstverständlich, dass es so ist, aber man muss es sehen.

Wie Che Guevara Zigarre raucht. Wie Marilyn Monroe sich für The Misfits schminkt. Wie James Dean mit hochgeschlagenem Kragen bei Regen über den Times Square geht.

Wie die Sowjets in Prag einmarschieren. Wie die Blume im Gewehrlauf des amerikanischen Soldaten steckt. Wie die Hutus ihre blutigen Macheten zurückgelassen haben, auf einem Haufen, bevor sie flüchteten.

Es gibt Fotos, mit denen hat die Agentur sich ins Gedächtnis der Menschheit geschrieben. Es geht in ihnen schlicht um alles, und manchmal mussten die Fotografen dafür mit ihrem Leben einstehen.

1954 trat Capa in Vietnam auf eine Mine. 1956 wurde Seymour in Ägypten erschossen. Nur neun Jahre, nachdem Magnum gegründet worden war, lebten zwei ihrer ersten Mitglieder schon nicht mehr.

Von jenem Tag damals in Paris, gibt es kein Bild. Dabei war es ein entscheidender Augenblick.

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