"Ixcanul" im Kino:Mit unterirdischer Kraft

Lesezeit: 2 Min.

Kraftvolles Bekenntnis zur eigenen Kultur: María (María Mercedes Coroy) in "Ixcanul". (Foto: trigon-film)

Aufrichtiger als das Fluchtdrama "Ixcanul" kann ein Film kaum sein. Jayro Bustamante drehte ihn mit Laiendarstellern einer Maya-Gemeinde in Guatemala. Ein faszinierender Blick in eine fremde Welt.

Von Philipp Bovermann

Eine Situation des Mangels. Ein Zögern, sich aus ihr zu befreien. Das Aufscheinen übernatürlicher Hilfe. Das Übertreten der Schwelle nach außen ins Freie. Der Beginn des Abenteuers: Die Handlung von "Ixcanul - Träume am Fuß des Vulkans" lässt sich mit der Folie der "Heldenreise" beschreiben, die Joseph Campbell 1955 aus den Mythen der Welt destilliert und damit auch das Erzählen im Kino stark beeinflusst hat. Allerdings unter umgekehrten Vorzeichen.

Die Situation des Mangels findet sich im Hochland von Guatemala, wo die 17-jährige María mit ihren Eltern auf einem kleinen Bauernhof lebt. Nur durch die zusätzliche Arbeit auf einer Kaffeeplantage kann sich die indigene Familie über Wasser halten.

Die Moderne rast, wie die Jeeps der Vorarbeiter, fortlaufend an ihr vorbei. Der Film wurde in Cakchiquel gedreht, einer dort noch heute gebräuchlichen Maya-Sprache. "Ixcanul" bedeutet in ihr "Die Kraft, die aus dem Inneren hinauswill". Doch das Außen ist längst auf dem Vormarsch: Die Gesundheitsbehörden, die der Familie einen Besuch abstatten, die Leute in der Stadt, sie alle sprechen Spanisch, die Sprache der Eroberer.

Hoffnung auf Bindung

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María soll verheiratet werden, aber der Kaffeepflücker Pepe redet von den USA, wo jeder ein Auto hat. Sie gibt sich ihm hin, in der Hoffnung, ihn dadurch an sich zu binden, von ihm mitgenommen zu werden, wird aber ungewollt schwanger - und Pepe verschwindet, in Richtung Grenze. Als seine klassisch-männliche Heldenreise beginnt, wie sie Campbell vor Augen schwebte, tritt auch María ihren Weg an. Ihre eigene Kultur, erkaltet wie Magma, hat noch unterirdische Kraft.

Wie konsequent sich der Film aus der westlichen Helden- und Eroberungsperspektive befreit, zeigt sich in den Details. Maria glaubt, dass ihre Schwangerschaft sie dazu befähige, magisch ein Feld von Schlangen zu säubern, womit die Existenz der Familie zunächst gesichert wäre - was schmerzlich misslingt.

Anstatt des "Aufscheinens übernatürlicher Hilfe" vor dem Übertritt der Schwelle und dem Abenteuer steht eine zwischenmenschliche Form der Hilfe, nämlich die ihrer Mutter, die ihr trotz der Gefahr der gesellschaftlichen Ächtung ganz selbstverständlich die Treue hält. Die Szenen des Zusammenhalts, in denen die beiden gemeinsam unter der Dusche beratschlagen, was zu tun ist, gehören zu den kraftvollsten des Films.

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Auch auf der Ebene der Filmproduktion wirken stärker kollektive Prozesse als einzelne geniale Helden. Der Regisseur Jayro Bustamante stammt aus der betreffenden Region Guatemalas, ebenso die beiden Laien-Hauptdarstellerinnen, deren Spiel eine leuchtende Natürlichkeit ausstrahlt. Denn was sie da spielen, sind keine Fantasien aus einem fernen, klimatisierten Büro. Das Drehbuch entstand in Workshops vor Ort in einer Maya-Gemeinde.

Die Schlange, die María beißt, ist das Tiersymbol des Gottes Itzamná, "Herr des Wissens", höchster Schöpfergott der Maya. Propagiert wird aber kein verkitschter Mythologismus, keine volkstümelnde Urwüchsigkeit, die es nur zu bergen gilt. Der Vulkan, zentrales Symbol des Films, bricht nicht aus, darin besteht paradoxerweise seine Kraft. Vielmehr bildet er den stillen Grund, auf dem sich die Figuren bewegen.

Die Emanzipation der Heldin vollzieht sich weder gegen diesen kulturellen Grund noch mündet sie einfach in ihm. Aus ihm erwächst die Energie, die aus sich selbst heraus eine Öffnung in die säkulare Moderne erzeugt. María nimmt Schlangenblut in sich auf, doch der Preis dafür ist hoch. Ein kraftvolles Bekenntnis zur eigenen Kultur. Bei der Berlinale 2015 gab es dafür den Silbernen Bären.

Ixcanul , Guatemala/F 2015 - Regie und Buch: Jayro Bustamante. Kamera: Luis Armando Arteaga. Mit María Mercedes Coroy, María Telón. Kairos, 91 Min.

© SZ vom 01.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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