Italiens Denkmalpflege bedroht:Weg mit dem alten Plunder

Berlusconis Griff nach dem Kulturerbe: Italien besitzt mehr Schönheiten als jedes andere Land. Doch nun sind sie bedroht.

Volker Breidecker

Die Ära Berlusconi begann in Italien vor rund dreißig Jahren mit der Errichtung einer Mailänder Trabantensiedlung, die vom Bauherrn statt mit öffentlichen Infrastrukturen mit einem lokalen Fernsehsender ausgerüstet wurde.

Italiens Denkmalpflege bedroht: Der antike Concordia-Tempel in Agrigento auf Sizilien soll demnächst an Privatleute verpachtet werden. Eine Sonderregelung im regionalen Denkmalschutz macht's möglich.

Der antike Concordia-Tempel in Agrigento auf Sizilien soll demnächst an Privatleute verpachtet werden. Eine Sonderregelung im regionalen Denkmalschutz macht's möglich.

(Foto: Foto: Provincia Regionale di Agrigento)

Bald strahlte der private Sender seine Pilotprogramme auch landesweit aus, um im nächsten Zug die gesamte Halbinsel nach seinem Bild zu verwandeln. Am Ende wurde das Gemeinwesen einer ganzen Republik in den Privatbesitz einer skrupellos schaltenden Canaille und ihrer raffsüchtigen Klientel überführt.

In der neueren europäischen Geschichte ist dies ein beispielloser und doch modellhafter, weil Schule machender Vorgang.

Eine traurige Allegorie und ein politisches Lehrstück darauf, wie es in Italien gegenwärtig um die öffentlichen Dinge und die Angelegenheiten aller bestellt ist und welch katastrophale Folgen sich daraus für die Zukunft des Landes abzeichnen, liefert der längst prekäre, vielerorts katastrophale und staatlicherseits zunehmend ungeschützte Zustand der Patrimonialgüter des Landes.

Fest verankert

Als eines der Kernländer der klassischen Antike, als Stammland der Renaissance und eines freien kommunalen Städtewesens, dem wir den Ursprung fast aller unserer politischen Leitideen und Vorstellungen von öffentlichem Leben, von Bürger- und Gemeinsinn verdanken, besitzt Italien mehr schützenswerte archäologische und architektonische, landschaftliche und künstlerische Zeugnisse als jedes andere Land dieser Erde.

Das Ensemble seiner von aller Welt bewunderten Schönheiten, die sichtbaren Objekte sowie die an sie gekoppelten unsichtbaren Werte und Ideen, machen den Reichtum dieses Landes aus und tragen deshalb den Namen "Beni culturali" (kulturelle Güter).

Nun sind die "Beni culturali", deren Pflege und staatlicher Schutz seit der Nachkriegszeit fest verankerter Verfassungsauftrag ist, nach überlieferter römischer Rechtsauffassung nichts anderes als "res publicae", öffentliche Sachen im Eigentum des Staats: Dazu zählen Straßen, Plätze, Flüsse und nach Ansicht mancher Rechtsgelehrter auch andere Dinge, die allen gemeinsam gehören ("res communes omnium") wie die Luft, das Wasser aus Bächen und Seen, das Meer und die Strände.

Die domanialen und öffentlichen Güter galten als absolut unveräußerlich, waren also dem privaten Rechtsverkehr prinzipiell entzogen ("res extra commercium"). Aus solchen Rechtstraditionen entstanden in Italien schon in der Ära der spätmittelalterlichen Stadtrepubliken verbindliche gesetzliche Regelungen und exekutive Einrichtungen einer für die Moderne vorbildlich gewordenen Denkmalpflege.

Qualitativer Sprung - nach unten

Auch das heutige italienische Rechtsverständnis umfasst, wie es in einem Verfassungskommentar heißt, "Gebäude, Grundstücke, Landschaften, Gebrauchsgegenstände, Kunstwerke, Sammlungen und Stadtbilder, die für die Geschichte und die Kultur des italienischen Volkes ... von Bedeutung sind".

Da die zu pflegenden Denkmäler in Italien über eine sehr viel längere Tradition als der moderne Einheitsstaat verfügen, da sie wie die großen italienischen Sprachdenkmäler Dantes, Petrarcas, Boccaccios und ihrer volkssprachlichen Nachfolger in die Kollektivgedächtnisse eingegangen sind und politisch wie kulturell den Zusammenhalt der Nation verbürgen, ist ihr heutiges und künftiges Schicksal und ihr längst widriges Los als gleichbedeutend mit dem traurigen Schicksal der Res publica Italiana anzusehen.

Seit der Ära des cleveren Cavaliere Silvio Berlusconi, der nun schon zum vierten Mal die Regierung stellt und dessen Maßnahmen den Institutionen und der politischen Kultur des Landes längst irreparable Schäden zugefügt haben, hat sich in der Denkmalpflege, die zum Aufgabenbereich eines von der Verfassung eigens vorgesehenen Ministeriums gehört, ein dramatischer qualitativer Sprung vollzogen - freilich nach unten, zum drohenden Ausverkauf der Kulturgüter.

Berlusconi war als Modernisierer angetreten: Das Land sollte sich von möglichst viel altem Plunder trennen. Dazu zählen offenbar nicht nur die tradierten kulturellen Werte und die Schönheiten von Italiens Landschaften, die fortschreitender Kommerzialisierung und Privatisierung preisgegeben sind, sondern auch die Denkmäler und materiellen Kulturgüter: vor allem da, wo diese sich in lukrative Einnahmequellen des Staates verwandeln lassen, der mit den erzielten Erträgen seine Haushaltslöcher stopft oder das Wahlvolk lukrativ belohnt.

Dies ist der gegenwärtige Stand der Dinge, der als gar nicht dramatisch genug und als demnächst katastrophal angesehen werden muss.

Zuletzt hat Berlusconi eines seiner wichtigsten Wahlversprechen eingelöst: Die sogenannte ICI ("Imposta straordinaria sugl' immobili"), eine kommunale Immobiliensteuer auf das jeweils erste Haus eines Bauherrn, aus der die italienischen Kommunen seit Jahrzehnten einen erheblichen Teil ihrer Einnahmen bestreiten, wurde ersatzlos gestrichen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, wie Berlusconis Pläne auf Sizilien und im Veneto bereits konkrete Formen annehmen.

Weg mit dem alten Plunder

Für die 150 Millionen Euro, die den Kommunen dafür als Ausgleich aus dem Staatssäckel zustehen, muss der Etat für die Denkmalpflege bluten, und zwar um exakt jene Summe, die für die Instandsetzung vernachlässigter Landschaften bereits vorgesehen war.

Symbolischer und triumphaler als durch diesen Kuhhandel, bei dem ein öffentliches Gut dem privaten Besitztum und dem partikularen Interesse einer politischen Klientel geopfert wird, konnte Berlusconi die langfristigen Ziele seines Regimes gar nicht zum Ausdruck bringen: Seine Strategie zielt auf die Ökonomisierung und Privatisierung der Politik im Allgemeinen und der Republik Italien im Besonderen

Damit ist auch die große Stunde für Berlusconis rechte Hand in der Partei- und Regierungsführung gekommen: Giulio Tremonti, der zum vierten Mal als Superminister für Wirtschaft und Finanzen fungiert und als Duzfreund des Legistenführers Umberto Bossi dessen Pläne zur Abschaffung ("Devolution") zentralstaalich wahrgenommener Aufgaben gutheißt, verfolgte auch schon in früheren Kabinetten ein Lieblingsprojekt, das den Denkmalschutz aushebeln sollte: Ziel war die Umwandlung der laut Verfassung unveräußerlichen Patrimonialgüter des Staates in eine Aktiengesellschaft, die nach Gusto und Bedarf verkaufen kann.

Vollständig ruiniert und liquidiert

Jetzt ist Tremonti zum Generalangriff auf die Beni culturali und auch auf das zugehörige Ministerium übergegangen. Dessen Inhaber Sandro Bondi macht gerne große Versprechungen, während alles Handeln Tremonti vorbehalten bleibt. Dessen Pläne zielen aber auf die faktische Aushöhlung und Liquidation der staatlichen Denkmalpflege.

Diese Konsequenzen hat zuletzt Italiens prominentester Denkmalschützer Salvatore Settis der Administration vorgerechnet. Der streitbare Gelehrte, hauptberuflich Direktor der staatlichen Eliteschule Ecole Normale Superiore in Pisa und als Kunsthistoriker und Archäologe von internationaler Reputation, wurde unter der vorangegangenen Regierung Prodi zum Präsidenten des Obersten Denkmalrats berufen, einer ähnlich unabhängigen intermediären Instanz wie der Oberste Richterrat des Landes, dessen Wirken Berlusconi ein stetes Dorn im Auge ist.

In einem furiosen Artikel in der Zeitung Il sole 24 ore hat Settis Anfang Juli zahlengenau nachgewiesen, dass die über drei Jahre verteilten Sparmaßnahmen des in wenigen Tagen zur gesetzlichen Verabschiedung anstehenden Finanzdekrets 112 den Denkmalschutz, der bislang ohnehin nur lächerliche 0,28 Prozent des Haushalts ausmacht, um rund 700 Millionen Euro entledigen werde, womit dieser am Ende, im Jahr 2011, tatsächlich am Ende, weil vollständig ruiniert und liquidiert sei.

Da möge, so schloss Settis, die Administration doch endlich einmal laut und deutlich sagen, was sie mit den Denkmälern und den vom Verfall bedrohten Schätzen des Landes eigentlich vorhabe.

Antworten erfolgten prompt: Aus der Regierungskoalition kommentierte niemand die von Settis vorgelegten Zahlen und ihre Konsequenzen, stattdessen forderten die Erzürnten Settis' Kopf.

Wie so häufig im Falle der Richter sollte auch ihm ein Maulkorb verpasst und das Verbot auferlegt werden, qua seines Amtes die Regierung zu kritisieren.

Aber was planen Berlusconi, Bossi und Tremonti wirklich? Alles scheint darauf hinauszulaufen, dass man die Verantwortung für den Zustand und die Art der Nutzung der Kulturdenkmäler den Regionen und Kommunen überlassen will.

Tempel verpachten

Das wäre allerdings nicht nur deren vollendete Devolution, sondern auch ihr endgültiger Ruin. Denn in den Regionen, vor allem dort, wo Berlusconis und Bossis Parteien regieren, ist man auf nichts erpichter als darauf, den Denkmalschutz aufzuweichen, um die Schönheiten der Landschaften und Städte gewinnbringend zu kommerzialisieren und gegebenenfalls zu verhökern.

Wie solche Pläne aussehen, ist gegenwärtig in Sizilien und im Veneto zu sehen. In Sizilien plant die Region, den Tempelbezirk von Agrigento für die nächsten dreißig Jahre an privat zu verpachten. Und in Verona will sich die Stadt den Bau eines Parkhauses für Messebesucher durch die Versteigerung dreier Paläste und eines ehemaligen Konvents erkaufen.

Zur Auktionsware zählen der Palazzo Forti, der bislang die kommunale Galerie für Moderne Kunst beherbergt und der der Stadt von seinem einstigen Besitzer zur ausschließlich kulturellen Nutzung gestiftet wurde, sowie der Palazzo Pompei, ein Hauptwerk des veronesischen Stadtbaumeisters Michele Sanmicheli aus dem 16. Jahrhundert.

Mit den Beni culturali steht in Italien - schlimm genug! - nicht nur die Republik auf dem Spiel, sondern auch die vielgerühmte, um vieles ältere "civiltà": der Charme dieses Landes und seines Bürgersinns als dem Ensemble aller sozialen und kulturellen Verbindlichkeiten sprachlicher, öffentlicher und geselliger Art.

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