Italien und sein Unglück:Heute ist Miseria-Tag

Vergessen Sie Mandolinen, Mondschein und den ganzen anderen Unsinn. Die Italiener sind laut New York Times das traurigste Volk Westeuropas - sie selbst wissen das schon lange.

Stefan Ulrich

Wenn ein Präsident im Ausland die "animal spirits", die Lebensgeister seines Volkes betonen muss, dann hat sein Land ein Problem. Giorgio Napolitano, der italienische Staatschef, hat dies gerade getan. In New York beschwor er die Amerikaner, an die Vitalität seiner Landsleute zu glauben. Der würdige Napolitano, ein wahrer Signore, sah sich durch einen Zeitungsartikel zu dieser Intervention gezwungen.

Italien und sein Unglück: Das waren noch lustigere Zeiten im Film "Mafia! Eine Nudel macht noch keine Spaghetti".

Das waren noch lustigere Zeiten im Film "Mafia! Eine Nudel macht noch keine Spaghetti".

(Foto: Foto: dpa/RTL)

Hatte ihn doch die New York Times am Donnerstag auf der ersten Seite mit einem Generalverriss Italiens begrüßt. Darin heißt es, das in aller Welt geliebte Italien möge sich selbst nicht mehr. Die Nation versacke in einem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Tief. Die Italiener seien "das unglücklichste Volk Westeuropas". Gehe dies so weiter, könne der Mittelmeerstaat wie Venedig enden: als "erlesene Leiche, auf der Millionen Touristen herumtrampeln".

Der Artikel brachte die Apenninen-Halbinsel zum Beben. Am Donnerstag Abend machten die Hauptnachrichten des Staatsfernsehens, vergleichbar der "Tagesschau", damit auf. Am Freitag starteten die Zeitungen auf ihren ersten Seiten mit einer erregten Debatte, ob die Kritik aus Amerika stimme und, falls ja, ob sie nicht doch zu unhöflich sei. "Die New York Times macht Italien den Prozess", titelte der Corriere della Sera. "Dieses Urteil ist engherzig", kritisierte die Vize-Präsidentin des Industriellenverbandes Emma Marcegaglia in der Repubblica. Sophia Loren aber, dieser Fleisch gewordene "animal spirit", meinte ein wenig trotzig, ihr gefalle das heutige Italien besser als das frühere.

Die eigenen Kinder fressen

Bei allem Schmerz räumen italienische Kommentatoren jedoch ein: Die Kritik trifft zu. "Wenn das, was wir sehen, hässlich ist, dann ist das nicht die Schuld dessen, der uns den Spiegel vorhält", findet der Essayist Beppe Severgnini. Schließlich ist der Times-Artikel mit Fakten belegt, über die auch die italienischen Medien Tag für Tag berichten: Die Italiener leiden unter niedrigen Löhnen, schwachem Wachstum und geringen Auslandsinvestitionen. Sie haben mit die wenigsten Kinder und die meisten Alten der Welt, erdrückende Staatsschulden und eine aberwitzig teure Politiker-Kaste, die unwillig bis unfähig ist, das Wahlsystem, den Staatsapparat, den Arbeitsmarkt, Schulen und Sozialsysteme zu verbessern.

Für die Jungen ist es kaum möglich, einen Platz mit Perspektive zu finden, weil die Älteren ihre Privilegien verteidigen, als wären es Trutzburgen. Das gilt für die Politik, aber auch für die Wirtschaft. Im Jahr 2006 lag die Arbeitslosenquote insgesamt bei 6,8 Prozent. Bei den Jugendlichen betrug sie 21,6 Prozent. Italien frisst seine Kinder.

Rette sich, wer kann

Fast jeder Italiener, mit dem man spricht, bestätigt die Malaise. Zugleich breitet sich unter den Bürgern ein Fatalismus aus, der tatsächlich an Depression grenzt. Die Menschen klagen, nichts ändern zu können, nicht durch Streiks, nicht durch Demonstrationen, und schon gar nicht durch Wahlen - eine Haltung, die auch bequem sein kann. Bell'Italia ist so zum Paese Triste geworden.

"Die Schlagfertigkeit, die Schönheit und die Phantasie Italiens reichen nicht mehr aus, seine bereits chronischen Mängel auszugleichen", findet Severgnini. Und Massimiliano Fuksas, des Landes berühmter Architekt, meint bitter: "Wer abhauen kann, der tut das, wie einst aus Süditalien. Wir sind zu einem großen Kalabrien geworden."

Wie gering das Selbstvertrauen Italiens ist, zeigen die Reaktionen auf einen ausländischen Presseartikel deutlicher noch als die zur Routine gewordenen Selbstanklagen. Ein kleiner Trost: Das neue Hauptquartier der New York Times wurde von Renzo Piano erbaut - und der ist Italiener.

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