Süddeutsche Zeitung

Italiens Süden:Selbst die Mafia flieht

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Von Thomas Steinfeld

Es waren schlechte Zahlen, die Svimez, das Wirtschaftsinstitut für den italienischen Süden, in der vergangenen Woche vorlegte: Seit sieben Jahren schrumpfe die Wirtschaft der Region, mit zuletzt gut einem Prozent pro Jahr. Lediglich um dreizehn Prozent sei die Wirtschaft des Mezzogiorno zwischen den Jahren 2000 und 2014 gewachsen, das ist halb so viel, wie Griechenland im selben Zeitraum erreichte.

Die Beschäftigung verharre bei den Werten von 1977. Mehr als die Hälfte aller Jugendlichen unter 24 Jahren seien in den sechs Provinzen des Südens arbeitslos. Ein Drittel der Bevölkerung lebt offiziell in Armut. Und die Geburtenrate befindet sich auf dem niedrigsten Stand seit der Einigung Italiens. Die Folgen, so das Wirtschaftsinstitut, seien absehbar: Es drohe eine "permanente Unterentwicklung" des Südens, vor allem im Raum Neapel und auf Sizilien. Zu erwarten sei eine "industrielle und menschliche Einöde".

Als Matteo Renzi daraufhin mit den Worten reagierte, dem Süden sei mit Jammern nicht geholfen, man müsse stattdessen die Ärmel hochkrempeln, reagierte der Schriftsteller und Publizist Roberto Saviano mit einem offenen Brief in der Tageszeitung La Repubblica: Der Ministerpräsident habe zunächst einmal anzuerkennen, dass der Süden in den vergangenen Jahrzehnten völlig vernachlässigt worden sei. Politisch habe der Partito Democratico, die Partei des Ministerpräsidenten, nicht mehr getan, als frei werdende Ämter unter den alten Chargen zu verteilen. Die Lage sei nun so ernst, dass nicht nur die arbeitsfähige Bevölkerung in Scharen das Land verlasse, sondern auch die Mafia. Sie investiere nicht mehr im Süden, sondern plündere die wenigen noch vorhandenen Strukturen nur noch aus, um die Erträge dann im Norden unterzubringen. Nicht einmal mehr Blutgeld sei im Süden noch im Umlauf.

Roberto Saviano hatte in seinem im Jahr 2006 veröffentlichten Buch "Gomorrha" die Praktiken der Mafia offengelegt, was ihm internationales Aufsehen und permanenten Polizeischutz einbrachte. Seitdem ist er innerhalb Italiens der wohl bekannteste und meist publizierte Intellektuelle. Seine Äußerungen zu Matteo Renzi zogen sofort eine Reihe von weiteren Kommentaren nach sich: Vor allem Beppe Grillo, der Führer der radikaldemokratischen Partei 5 Stelle (Fünf Sterne), beschuldigte den Ministerpräsidenten, den Konflikt psychologisieren zu wollen, anstatt sich den Fakten zu stellen: Immerhin habe er selbst gerade erst dafür gesorgt, dass dem Süden öffentliche Fördermittel in Höhe von drei Milliarden Euro entzogen worden seien.

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Quelle:
SZ vom 05.08.2015
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