Italien:Wie faschistisch sind Sie?

Benito Mussolini in Turin, 1932

Benito Mussolini in Turin, 1932

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)
  • Die italienische Schriftstellerin Michaela Murgia zeigt in ihrem Traktat "Anleitung, zum Faschisten zu werden", wie durchlässig die Übergänge zwischen Demokratie und Faschismus im gegenwärtigen Italien geworden sind.
  • Der Schriftsteller Antonio Scurati erzählt im ersten Teil seiner Romantrilogie die Geschichte des italienischen Faschismus als romanhaft gestaltete Autobiografie Benito Mussolinis.

Von Thomas Steinfeld

In der vergangenen Woche erschien in Italien ein kleines Buch, das den Titel "Istruzioni per diventare fascisti" trägt, "Anleitung, zum Faschisten zu werden" (Einaudi, Turin 2018). Verfasst von Michela Murgia, einer beliebten Schriftstellerin, die jenseits ihrer Romane und Theaterstücke bislang vor allem als sardische Separatistin bekannt war, enthält es, was der Titel verspricht: "Das Buch, das Sie in der Hand halten", heißt es auf der ersten Seite, "ist nicht nur entstanden, um zu zeigen, dass die Demokratie dem Zusammenhalt der Menschen schadet, sondern auch, um zu beweisen, dass ihre am meisten erprobte Alternative - der Faschismus - ein überlegenes Regierungssystem darstellt, billiger, schneller und effizienter." Den Umschlag des Buches ziert eine stilisierende Zeichnung, die Forrest Gump, das soziale Chamäleon schlechthin, auf seiner Parkbank zeigt. Man muss Titel, programmatische Erklärung und Illustration zusammen bedenken, um zu verstehen, wie dieses Buch gemeint ist, nämlich als ein Versuch, den politisch diffusen Charakter eines durchschnittlichen Bürgers ideologisch dingfest zu machen - und, in einer Linie mit der eher linksliberalen Presse, also etwa der Tageszeitung La Repubblica, zu zeigen, wie durchlässig die Übergänge zwischen Demokratie und Faschismus im gegenwärtigen Italien geworden sind.

Am Ende des Traktats steht eine Liste von 65 Fragen. Sie werden angeblich gestellt, um den "gesunden Menschenverstand" der Ausfüllenden zu prüfen. Die Stoßrichtung der Fragen tritt aber erst hervor, wenn man sie zur jüngsten Geschichte Italiens in Beziehung setzt. "Ist Vergewaltigung schwerer erträglich, wenn ein Ausländer sie begangen hat?", lautet eine dieser Fragen. Die Politikerin, die sie zuerst mit "ja" beantwortete, war Debora Serracchiani, heute Abgeordnete des mehr oder minder sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und bis zum vergangenen Sommer Präsidentin der Region Friaul-Julisch Venetien. Eine andere Frage, die auf seltsame Allianzen verweist, heißt: "Sind die Aufwandsentschädigungen für Abgeordnete ein nicht gerechtfertigtes Privileg?" Bejahen würden diese Frage sowohl die Parlamentarier der Fraktion "Liberi e Uguali" ("Frei und Gleich"), einer linken Abspaltung aus dem PD, als auch die Gesandten der "Fratelli d'Italia", einer extrem nationalkonservativen Partei. Und welche Partei findet, dass eine Frauenquote eine Herabsetzung der Frauen bedeute? Nun, wiederum der PD, anlässlich einer Neufassung des Wahlrechts im Jahr 2014.

Jede positive Antwort auf dem "Faschistometer" ergibt einen Punkt. Am Ende werden die Punkte addiert, woraus sich dann der Quotient der tatsächlichen Nähe zum Faschismus ergeben soll, vom "Aspiranten" (null bis fünfzehn Punkte) bis zum Patrioten (ab 51 Punkte). Bürger, die keinerlei Beziehung zum Faschismus unterhalten, kennt der Fragebogen nicht. Dennoch, oder vermutlich deswegen, ist das "Faschistometer" ein großer Erfolg: Die Wochenzeitschrift L'Espresso druckte ihn vorab, das Buch ist das meistverkaufte politische Sachbuch dieser Tage, und es scheint nur wenige Journalisten in den großen Zeitungen zu geben, die sich den Fragen nicht stellten.

Denn auch wenn, wie Paolo Mieli, der ehemalige Chefredakteur der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera, in einem Leitartikel meinte, das Gerede vom Faschismus eine Übertreibung sein mag, die in den vergangenen siebzig Jahren mehr oder minder jeden konservativen Politiker traf, so berühren die Fragen und deren Interpretation doch eine Gewissheit, die offenbar ebenso allgemein ist, wie sie verborgen blieb.

In den vergangenen Jahren vollzog sich eine Korrektur der nationalen Moral, in Italien wie in allen anderen westlichen Ländern, die weit über die neuen rechtspopulistischen oder nationalkonservativen Parteien hinausgeht. Längst hat sie die sozialdemokratischen und sogar die sozialistischen Parteien ergriffen, und auch wenn diese vielleicht noch an ihrem relativierenden Nationalismus festhalten - relativierend im Bezug auf die Europäische Union, die Allianz der westlichen Staaten oder die Weltgemeinschaft, was auch immer -, so tun sie es zunehmend verhalten, zumindest ahnend, dass sie mit ihrer echten oder vielleicht auch nur vermeintlichen Weltoffenheit keinen mächtigen Widerpart gegen einen ungebrochenen Nationalismus mehr aufbieten können.

Das gilt vor allem für ein Land wie Italien, einen der Verlierer im Wettbewerb der Staaten innerhalb der Europäischen Union. Hier verspricht die derzeit politisch stärkste Partei, die Lega des Innenministers Matteo Salvini, den Bürgern (und er ist in dieser Beziehung bei Weitem nicht der einzige europäische Politiker), die eigene Nation von den Beschränkungen zu befreien, die ihr von außen auferlegt wurden. Im "Faschistometer" steckt zumindest eine Erinnerung daran, dass Benito Mussolini und Adolf Hitler einst jeweils Ähnliches im Sinn hatten. Auf dieser Assoziation beruht die finstere Attraktivität des Tests.

Besonders heftig schlägt das "Faschistometer" erwartungsgemäß aus, wenn es um Immigranten geht. Man solle ihnen in ihrem Heimatland helfen, sagen, in Italien nicht anders als in Deutschland, Menschenrechtler ebenso wie Leute, die Flüchtlingsboote am liebsten auf offener See versenken möchten. Gewiss, die Weltoffenen und Aufgeklärten verweisen, wenn sie über diese Art von Hilfe sprechen, gern darauf, dass es in den Gegenden, aus denen die "irregolari" kommen, nichts mehr zum Leben gibt, und dass dies weniger die Schuld der Flüchtlingen ist als etwa die von Warlords und ihren Banden, hinter denen wiederum die großen Mächte der Welt und deren Interessen stehen.

Dieser Roman unternimmt etwas, von dem jeder Kritiker abgeraten hätte

Zu einer substantiellen Kritik an diesen Mächten freilich kommt es nicht, wohl aber zu jenem Satz von der Hilfe für das Daheimbleiben. Marco Minniti (PD), der bis zum Sommer Innenminister Italiens war, sprach ihn kaum anders aus, als Matteo Salvini, sein Nachfolger, es jetzt tut. Der eine würde kaum in Verdacht geraten, ein Faschist zu sein, dem anderen wird dieser Vorwurf immer wieder gemacht. Und gewiss, die bürgerlichen Freiheiten sind in Italien nicht außer Kraft gesetzt. Dennoch: das "Faschistometer", so unzuverlässig es sein mag, zielt auf ein Unbehagen am radikalen nationalen Egoismus sowie an dessen Fiktionen - und auf die Furcht vor dessen Folgen.

Etwas Verwandtes muss der Mailänder Medienwissenschaftler und Schriftsteller Antonio Scurati im Sinn gehabt haben, als er im vergangenen September den Roman "M. Il figlio del secolo" (M. Der Sohn des Jahrhunderts. Bompiani, Mailand 2018) veröffentlichte. Oder besser gesagt, den ersten, mehr als achthundert Seiten umfassenden Teil einer Trilogie, die sich von 1919, von der Gründung der "Fasci italiani di combattimento", des Kampfverbands, aus dem die faschistische Partei hervorging, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs erstrecken soll.

Dieses Buch unternimmt etwas, von dem jeder halbwegs verständige Literaturkritiker dem Autor abgeraten hätte - und ist doch ein großer Erfolg, nicht nur beim Publikum, sondern auch bei der Kritik. Es erzählt die Geschichte des italienischen Faschismus als romanhaft gestaltete Autobiografie Benito Mussolinis. Es enthält innere Monologe in großer Zahl und setzt einen unmöglichen Menschen in die Welt, der, bei allem, was er tut und lässt, die eigenen Handlungen beschreibt und kommentiert. Und auch, wenn Antonio Scurati die Ich-Perspektive immer wieder durch die Wiedergabe historischer Dokumente aufbricht, so wäre die Konstruktion dieses Romans, die permanente Verdopplung ihres Protagonisten, aller Sprachgewalt zum Trotz (die, historisch verbürgt, auch die Sprachgewalt Mussolinis war), doch ein literarisches Verhängnis - wenn da nicht zugleich noch etwas Anderes wäre.

Scurati schilder das Werden einer politischen Gewalt

Denn Antonio Scurati erzählt das politische Leben Benito Mussolinis nicht als die Geschichte von Aufstieg und Fall einer tragenden, aber in jeder Beziehung katastrophalen Gestalt des 20. Jahrhunderts. Stattdessen schildert er das Werden einer politischen Gewalt, im Sinne der Devise des Schriftstellers und Nationalisten Massimo d'Azeglio, der im Jahr 1866 in seiner Autobiografie erklärt hatte, man habe nun zwar Italien gemacht, es müssten aber auch noch die Italiener gemacht werden. Anders gesagt: Der Roman "M" handelt von Entstehung und Entwicklung einer schnell gewalttätig werdenden Vorstellung von der Nation als höchster Mission, vom Werden einer Volksgemeinschaft und ihres Führers (oder umgekehrt). Antonio Scurati begeht nicht den Fehler, Benito Mussolini aktualisieren zu wollen. Und dennoch sagt sein Protagonist, laut und deutlich: "Ich bin wieder da." Er sagt es, indem zahllose Zitate so klingen, als wären sie der Gegenwart entnommen, als wären sie von heutigen, nicht nur rechtspopulistischen Politikern ausgesprochen worden. Dabei sind sie tatsächlich historisch.

Antonio Scurati erklärt zu seinem Roman, er habe ihn als Werk des Widerstands gegen den Faschismus geschrieben. Es gibt keinen Grund, an der Redlichkeit dieser Absicht zu zweifeln. Aber wenn sie zutrifft, dann im selben Sinne, wie auch das "Faschistometer" als Werk der Kritik konzipiert ist: als eine Mimikry, die aufklärerisch sein soll, indem sie eine Art Identifikation mit dem Feind betreibt.

Michela Murgia arbeitet dabei mit gröberen Mitteln. Bei ihr ist die Satire gegenwärtig, während sich Antonio Scurati, auf hohem Niveau, vor allem mit der Sprache des italienischen Faschismus auseinandersetzt, um ihn zur Kenntlichkeit zu bringen. Aber was bedeutet da Kenntlichkeit? Was weiß man, wenn man weiß, wie der Mensch Mussolini dachte und sprach? Ist der Faschist dadurch, wie man so sagt, "entlarvt"? "Entlarvung" ist ein dummes Wort, weil es eine Maske, eine Verstellung suggeriert, wo es vielleicht gar keine gibt. Sagen wir es daher so: Die Anverwandlung an Charaktere, die durch Mimesis ihrer Unmenschlichkeit überführt werden sollen, hat selbst etwas Unmenschliches an sich. So viel zumindest, dass der Leser am Ende nicht recht weiß, ob er ein Werk der Kritik oder ein Werk der Faszination gelesen hat.

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