Süddeutsche Zeitung

Rechtsruck in Italien:"Die Linken haben sich eingeredet, der Faschismus sei tot"

Italiens Innenminister Salvini pocht auf Abschottung und öffnet seine Partei immer weiter nach rechts. "Repubblica"-Journalist und Buchautor Paolo Berizzi über den Rechtsruck in Italien und Europa.

Interview von Carolin Gasteiger

Paolo Berizzi berichtet seit knapp 20 Jahren über neofaschistische Gruppierungen. Deren Anhänger vertreten rechtsextreme Ansichten und lehnen die Demokratie zugunsten einer Diktatur ab. Berizzis Erfahrungen mit dem Rechtsdrift in Italien, aber auch in ganz Europa, hat der Repubblica-Journalist in seinem Buch "Nazi Italia" gebündelt. Darin widmet der 45-Jährige allein 70 Seiten Innenminister Matteo Salvini und dessen Lega.

SZ: In Ihrem Buch schildern Sie, in wie vielen unterschiedlichen Bereichen sich die Rechten inzwischen ausbreiten - in der Politik natürlich, aber auch in der Musik oder in Fußballstadien. Ist Italien voller Neofaschisten?

Paolo Berizzi: Wenn man allein nach den Zahlen bei Wahlen geht, liegen sie noch unter der Alarmschwelle. Aber das politische Klima, in dem nationalistische Parteien großen Zuspruch erfahren, verhilft dem Faschismus in Italien gerade zu neuem Aufwind. Ein Trend, den wir in ganz Europa beobachten. In einigen Ländern - wie in Italien - sind die Rechten ja sogar an der Regierung.

Ihr Buch trägt den Untertitel "Reise in ein Land, das sich als faschistisch wiederentdeckt hat". Warum kommen die Neofaschisten gerade jetzt zurück?

Weil sie von der Angst der Bevölkerung profitieren. Wo die ökonomische Krise und die Migranten die Menschen beunruhigen, treten sie auf den Plan und werfen ihnen reißerische Slogans zu. Wir nennen sie in Italien "Unternehmer der Angst". In einer Zeit, in der die traditionellen Parteien in der Krise sind, sprechen die neofaschistischen Gruppierungen mehr Wähler an.

Inwiefern?

In einigen Regionen Italiens verteilen die extremen Rechten wie Casa Pound oder Forza Nuova Fresspakete vor Supermärkten. Ich nenne das "welfare nero", also schwarze Fürsorge (Anm. d. Red.: In Italien steht die Farbe Schwarz für Faschismus). Darin liegt die wahre Gefahr: Die neofaschistischen Parteien wollen gar nicht so sehr einen Platz im Parlament. Sie wollen sich vom Staat unabhängig machen. Nach dem Motto: Wenn der Staat zu schwach ist, um für euch zu sorgen, tun wir es eben.

Und damit treiben sie die anderen Parteien vor sich her?

Salvini kopiert die Slogans der neofaschistischen Partei Casa Pound aus Rom und macht sie sich zu eigen. Das Motto "Prima gli italiani", also "Zuerst die Italiener", hat er von Casa Pound und adelt damit deren Motto.

Seine Nähe zu den extremen Rechten versucht er auch gar nicht erst zu kaschieren.

Im Netz kursiert ein Bild von ihm im Fußballstadion, auf dem er eine Jacke mit dem Emblem von Casa Pound trägt. Salvini dreht die Lega gerade um 180 Grad: Früher war das eine Partei, die die Abspaltung des Nordens forderte. Inzwischen setzt sich Salvini nach Art der Neofaschisten für mehr Zentralismus ein.

Was unterscheidet den Rechtsruck in Italien von dem in anderen europäischen Ländern?

Zum einen hat Italien keine Opposition mehr. Die Linke ist marginalisiert. Sie konnte den Menschen keine Antworten mehr geben auf ihre Ängste, ihre Sorgen, die soziale und wirtschaftliche Unsicherheit. Und das kommt dem Rechtspopulismus und der extremen Rechten zugute - vor allem in ländlichen Gebieten und Stadtteilen, in denen es sich nicht so leicht leben lässt. Zum anderen haben in Krisenzeiten immer diejenigen Parteien Erfolg, die das Land abschotten wollen. Die, wie Salvini das nun macht, die Häfen schließen.

Sie schließen die Grenzen, wollen die Einwanderung stoppen - und so den Armen helfen?

Sie spielen die benachteiligte Bevölkerung gegen die Migranten aus. Heute mögen sie nur reißerische Slogans verwenden, morgen könnte daraus jedoch handfeste Politik werden.

Sehen Sie faschistische Tendenzen in der Lega?

Aus Krisen, Angst und Armut entspringen populistische Bewegungen, die schließlich immer extremer werden können. Schlussendlich sogar Diktaturen. Aber um das klarzumachen: Die Lega will gerade keine Diktatur installieren, aber sie verwendet ähnliches Vokabular, zum Teil genau dasselbe wie die extremen Rechten.

Hinzu kommt die Nostalgie, von der gerade viele reaktionäre Parteien profitieren.

Aus Nostalgie heraus wünschen sich viele einen starken Mann an der Spitze des Staates, oder zumindest eine starke Führung. Auf dieses Bedürfnis bauen auch Salvini und seine Partei.

Warum haben gemäßigte Politiker und italienische Institutionen den Rechtsruck so lange ignoriert?

Sie wollten ihn nicht wahrhaben. Italien hat den Faschismus lange unterschätzt - und seine Rückkehr erst recht. Viele haben das Problem kleingeredet und vor allem die Linken haben sich eingeredet, der Faschismus sei tot und werde für immer gestorben sein. Aber er ist zurückgekommen - und wird von denen verharmlost, die nun in der Regierung sitzen.

Sie schreiben, dass es kein Tabu mehr sei, offen als Faschist aufzutreten. Aber die Medien würden den Ausdruck "Faschismus" meiden.

Die Medien sind immer noch sehr zögerlich, über das Thema zu berichten. Der Prozess der Verharmlosung wird weiter andauern und die Neofaschisten werden sich immer mehr legitimiert fühlen. In Italien fühlen sie sich inzwischen ja sogar von der Regierung protegiert.

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