IT-Sicherheit:Smart Homes erinnern immer mehr an Strafvollzug

IT-Sicherheit: Amazon Look: Womöglich braucht es gar keine Fußfesseln mehr, um die Bürger zu disziplinieren.

Amazon Look: Womöglich braucht es gar keine Fußfesseln mehr, um die Bürger zu disziplinieren.

(Foto: Amazon US)

Amazon bringt mit Echo Look ein Gerät auf den Markt, das immer zuhört und immer zusieht. Was macht diese Dauerüberwachung mit einer Gesellschaft?

Von Adrian Lobe

In den USA gewinnt der elektronisch überwachte Hausarrest (electronic monitoring) als Strafvollzug immer mehr an Bedeutung. 2015 entschieden sich 125 000 verurteile Straftäter für die Alternative zum stationären Freiheitsentzug. Die Gründe für den elektronisch überwachten Hausarrest, der in Hessen und Baden-Württemberg erprobt und 2010 in Österreich als Vollzugsform eingeführt wurde, liegen in der hohen Auslastung der Vollzugsanstalten und den Kosten für den Strafvollzug. Die Gefängnisse in den USA sind voll, das Land hat nach den Seychellen die höchste Gefangenenrate der Welt: Anderthalb Millionen Menschen befinden sich in Haft. Mehr als jeder vierte Inhaftierte auf der Welt sitzt in den USA ein.

Die Idee, das Zuhause zu einer Art Gefängnis light zu machen, ist also verständlich. Der Straftäter wird mithilfe einer Fußfessel auf Schritt und Tritt überwacht, er darf das Haus verlassen und einer Beschäftigung nachgehen, muss aber An- und Abwesenheiten protokollieren sowie den Vollzug bezahlen. Verstößt der Überwachte gegen die Auflagen, drohen ihm der Widerruf der Hausarrestoption und die Überstellung an die Haftanstalt.

Soweit die Theorie. Was der elektronisch überwachte Hausarrest für den Einzelnen bedeutet, hat kürzlich Luke Martinez für das Magazin The New Inquiry aufgeschrieben. Der 21-Jährige arbeitete in einem Einzelhandelsgeschäft, wo er mehrere Hundert Dollar aus der Kasse entwendete. Er wurde wegen Diebstahls zu 180 Tagen Haft verurteilt. Die Strafe konnte aber auch als Hausarrest verbüßt werden - plus Zahlung von 400 Dollar monatlich. Mit der finanziellen Hilfe seiner Eltern zog er wieder ins Elternhaus ein, das fortan seine Gefängniszelle war. Martinez bekam von dem Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma - die Privatisierung der Vollzugsanstalten ist in den USA im vollen Gange - eine elektronische Fußfessel umgeschnallt und musste jede Woche in einem Fragenkatalog Rechenschaft ablegen. Doch das Stigma des Gefangenen konnte er nicht ablegen.

Man kommt nicht mehr ins Gefängnis - das Gefängnis kommt zu uns

"Ich war völlig ahnungslos, dass das Gefängnis mein Zuhause und Leben kolonisiert hat", notiert Martinez. "Während ich nicht ins Gefängnis ging, kam das Gefängnis zu mir." Es ist eine groteske Umkehr der Tatsachen: Der Inhaftierte bezahlt für seine Zelle und dafür, dass er sein eigener Gefängniswärter wird. Das treibt die Privatisierung der Strafjustiz auf die Spitze. Der Bürger wird, wie Foucault in seinem Werk "Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses" beschreibt, zum Komplizen der Polizeigewalt, zum Überwachten und Überwacher in einer Person.

Die Ironie ist, dass Martinez und Foucault genau das beschreiben, was mit der totalen Vernetzung unserer Haushalte passiert. Das Smart Home wimmelt nur so von Geräten, die die Bewohner potenziell überwachen können: Smarte TVs, Netzwerklautsprecher, Thermostate, Smartphones. Vernetzte Lautsprecher wie Amazon Echo zeichnen Sätze auf und leiten diese an einen Cloud-Dienst weiter, wo sie ausgewertet werden. Der vernetzte Lautsprecher hört laufend mit. Die Polizei in Bentonville im US-Bundesstaat Arkansas verlangte von Amazon die Herausgabe von Audiodateien in einem mysteriösen Mordfall. Der virtuelle Assistent könnte ein tödliches Geheimnis hüten - und einige sachdienliche Hinweise liefern. Was geschah zur Tatzeit? Gab es Schreie des mutmaßlichen Opfers? Amazon gab die Daten nach anfänglichem Zögern schließlich doch heraus.

Wikileaks enthüllte, dass die CIA unter dem Codenamen "Weeping Angel" mit einem Hackertool Smart-TVs von Samsung anzapfte und in einen Fake-Off-Modus schaltete. Der Verbraucher denkt, er habe den Fernseher abgeschaltet, doch in Wirklichkeit sendet das Gerät die über das Mikrofon und die Webcam empfangenen Daten an einen geheimen CIA-Server im Internet. Der Off-Modus ist nur simuliert.

Womöglich braucht es gar keine Fußfesseln mehr, um die Bürger zu disziplinieren

Der Grad der Empörung tendierte überraschenderweise gegen null. Vielleicht, weil man sich an die Überwachung schon gewöhnt hat. Datenkonzerne wie Google oder Facebook zeichnen detaillierte Bewegungsprofile, werten unser gesamtes Gesagtes und Geschriebenes aus und führen Protokoll über unsere Aktivitäten. Die Geschäftsmethoden der Tech-Konzerne unterscheiden sich funktional wenig von der Vorgehensweise des Strafvollzugs beim elektronischen Hausarrest, nur dass die ganzen Gadgets und Programme als großes Freiheitsversprechen verkauft werden. Doch wenn der elektronisch überwachte Hausarrest die Alternative zum Gefängnis ist, müsste dann das (freiwillige) Tragen eines Fitness-Trackers nicht auch als Freiheitsentzug verstanden werden? Oder anders gefragt: Worin soll die Freiheit liegen, täglich 10 000 Schritte zu gehen oder seine intimen Gespräche von Netzwerklautsprechern aufzeichnen zu lassen? Wir sind Insassen eines Datengefängnisses, gefangen in einem System, in dem das Ausleuchten persönlicher Informationen die Regel und nicht die Ausnahme darstellt.

Die Überwachung durch Internetkonzerne und der Vollzug des E-Hausarrests durch profitorientierte Firmen gehören zum Überwachungskapitalismus. Man bezahlt für seine eigene Überwachung - mit Geld oder Daten.

Doch relativiert sich nicht auch die Freiheitsstrafe als einzig rechtmäßige Freiheitsberaubung, wenn die Freiheit ohnehin schon eingeschränkt ist? Sind Smartphones nicht eine Light-Version der elektronischen Fußfessel, ein Messgerät, das uns permanent ortet und mit dem man, als kleine Hafterleichterung, telefonieren und ins Internet gelangen kann? Ist nicht irgendwann ein Punkt erreicht, an dem sich die Dialektik zwischen Freiheit und Unfreiheit auflöst? Es gibt ja kein Entkommen vor der angeblich segensreichen Technik. Sie umfasst die Telematik im Auto, die jedes Brems- und Beschleunigungsverhalten registriert, sie kontrolliert GPS-Systeme in Smartphones und Autos, um unsere Standorte zu lokalisieren, und sie zeichnet zu Hause auf, ob man raucht oder Alkohol trinkt. Es gibt zudem kein Entrinnen vor automatisierten Systemen wie Algorithmen, die autoritativ und intransparent unsere (soziale) Bonität bewerten.

Der nächste Schritt: Amazons Echo Look, ein Gerät das immer zuhört - und zusieht

"Es scheint so, als wäre unser Datengefängnis dem sehr ähnlich, dennoch gibt es wichtige Unterschiede", erklärt der Hamburger Soziologe und Kriminologe Nils Zurawski. "Der erste, noch bestehende ist, dass wir zwar gemonitort werden, aber der Erzwingungsstab, vulgo: die Polizei, uns nicht holt, wenn wir abweichen oder fehlen." Das wäre theoretisch der Unterschied zwischen der Disziplinargesellschaft, die der Autor Luke Martinez beschreibt, und der Kontrollgesellschaft, in der die Konformität über die Begierde (Deleuze) gesteuert wird. Zurawski nennt dies den "Konsum der Überwachung", was nichts anderes heißen soll, als dass bestimmte Überwachungstechniken und Praktiken von uns angenommen werden, weil sie "cool" sind, etwas, das man sich leisten kann, ein Distinktionsmerkmal. "Was ich bei den Tech-Konzernen im Gegensatz zur Fußfessel habe, ist die Simulation der Wahlfreiheit, um es einmal zuzuspitzen. Alles ist Teil einer Simulation, auch die vermeintliche Wahlfreiheit, während Google und Co. den Kern und auch die Ausgestaltung dieser Freiheit kontrollieren."

Der Soziologe vergleicht Unternehmen wie Google mit einer modernen Form von frühkapitalistischen Unternehmen, die aus Fürsorge und Kontrolle Städte für ihre Arbeiter bauten, die die Freizeit kontrollierten, den Kirchgang und auch den Konsum, indem sie die Märkte stellen: "Das ist der Weg, den Google und andere beschreiten ... das ist ein bisschen wie in der Truman Show, nur ohne Welt drum herum." Die Fußfessel sei ein Teil davon, ein Objekt, das noch auf der alten Idee des Kerkers aufbaut, weil es noch einen abgesteckten Bereich gibt, ein Gefängnis, das man mit sich herumschleppt. "Es wäre eine Ausweitung in Richtung Google und Co. denkbar, dann würde alles über Karten, Smartphones, digitale Geräte ohne Fußfessel funktionieren, möglicherweise über einen Chip, den wir alle tragen, und die Auswahlen würden bei den Delinquenten einfach umprogrammiert werden." Das klingt dystopisch. Doch vielleicht ist Freiheit im Reich der Tech-Giganten wirklich nur eine Simulation. Womöglich braucht es keine Fußfesseln mehr, um die Bürger zu disziplinieren.

Echo Look ist genau das, was der Soziologe Gary T. Marx als "soft surveillance" bezeichnet

Amazon-Chef Jeff Bezos sagte kürzlich in einem Interview, dass er in jedem seiner Zimmer inklusive dem Badezimmer ein Echo-Gerät installiert habe. "Ich begann in der Küche, und dann habe ich es in jedem weiteren Raum hinzugefügt und war frustriert, als ich im Badezimmer Alexa nicht fragen konnte, wie das Wetter wird", sagte er dem Billboard-Magazin. Man weiß nicht, ob das eine Drohung oder die Blaupause für ein hypervernetztes Zuhause ist, jedenfalls wäre dieses Setting auch für den US-Strafvollzug interessant. Man hört, was der Überwachte sagt, mit wem er im Haus zusammen ist und so weiter.

Amazon hat kürzlich eine vernetzte Kamera namens Echo Look vorgestellt, mit der sein Netzwerklautsprecher Echo mit Augen ausgestattet wird. Der Kunde kann per Sprachbefehl ("Alexa, mach ein Foto von mir") Fotos zweier verschiedener Outfits machen, die über die sogenannte Style-Check-Funktion von einem Computer bewertet werden. Das Ganze wird als künstlich intelligenter Style-Berater vermarktet ("Alexa-Kamera für Modebewusste"), ist aber genau das, was der amerikanische Soziologe Gary T. Marx einmal als "soft surveillance" bezeichnet hat: Die Überwachung findet im Konsum statt. Die Soziologin Zeynep Tufekci befürchtet, dass Amazon noch viel mehr aus den Ganzkörperfotos seiner Kunden ablesen kann, etwa ob sie schwanger, übergewichtig oder depressiv sind. Mit dem Smart Home kommt der elektronisch überwachte Hausarrest zu jedermann.

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