Süddeutsche Zeitung

Israelischer Schriftsteller:Aharon Appelfeld ist gestorben

Er war eine große Stimme der israelischen Literatur und Holocaust-Überlebender. Am Donnerstag starb der Autor im Alter von 85 Jahren.

Von Thorsten Schmitz

Die Realität des Holocaust, sagte Aharon Appelfeld Ende der Achtzigerjahre in einem Gespräch, "übersteigt alles Vorstellbare". Als Schriftsteller müsse er sein "Vorstellungsvermögen zurückschrauben". Wenn er sich nur an die Fakten des Holocaust halten würde, ergänzte er, "würde mir das doch keiner glauben". Und dennoch ist Appelfeld, der am Donnerstag im Alter von 85 Jahren in einem Krankenhaus verstarb und zu Israels großen Schriftstellern zählt, mit Holocaust-Romanen weltberühmt geworden. Allerdings kommt dieser nur in Andeutungen darin vor.

Appelfeld wurde 1932 in Jadowa in der rumänischen Bukowina geboren und wuchs als Einzelkind in Czernowitz auf, das heute in der Ukraine liegt. Zu Hause sprach man Deutsch, aber seine 46 Romane schrieb er auf Hebräisch. Die klare Sprache der Bibel ist sein Zuhause geworden, ein Zuhause, das er sich unter großen Anstrengungen als Neueinwanderer erst aneignen musste. Großartig beschreibt Appelfeld das in seinem Roman "Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen". Es ist auch seine persönliche Geschichte, die des jungen Erwin, der nach Kriegsende nach Palästina auswandert und schon kurz nach der Ankunft im gelobten Land in Aharon umbenannt wird. Der neue hebräische Name bedeutet auch: Verfolgung und Ghetto hinter sich zu lassen.

In all seinen Romanen wie etwa "Badenheim" oder in seinem jüngsten, auf Deutsch erschienenen Buch "Meine Eltern" (SZ vom 29.12.2017) bildet der Holocaust die Kulisse, ist drohendes Unheil. In nahezu schmerzhaft schlichten, dafür umso wuchtigeren Sätzen beschreibt er die Assimilation der europäischen Juden, ihren Irrglauben, alles werde wohl nicht so schlimm, aber auch die Einsamkeit des jungen Erwin allein im Wald. Wie er Zwiesprache hält mit seinen Eltern, wie er die Nächte verbringt unter Bäumen, wie er bei einer Hure unterkommt und schließlich in Süditalien für die Reise nach Palästina geschult wird.

Es ist ein Wunder, dass Appelfeld den Holocaust überlebt hat. Seine Mutter wurde neben ihm erschossen. Den tödlichen Schuss selbst hat er nicht gehört, aber "ihren einen und einzigen Schrei". Verstummen mag man, wenn man solch einen Satz liest. Aber Aharon Appelfeld hat sich dafür entschieden, zu reden, zu erzählen - auf eine fast schon magische, luzide, zarte Art und Weise.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2018/kel
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