Süddeutsche Zeitung

Isoldes Liebestod  im Kino:Wagners Flimmern

Wie Richard Wagner das Kino vorwegnahm. Und wie das Kino sich bei Wagners Tristan und Isolde vielfach bediente.

Von WOLFGANG SCHREIBER

Richard Wagner, für Ernst Bloch "die Übertragung der genialsten Fragwürdigkeit auf die Ebene einer heutigen Frage". Das war 1929, in Blochs Aufsatz "Rettung Wagners durch surrealistische Kolportage". Opernbühnen praktizierten damals vor allem Dekorationskunst. Erst in unseren Tagen ist Blochs "Rettung" vollzogen, durch das Kameraauge des Kinos, die Kniffe der Überblendungs- und Schnitttechniken. Frank Castorf hat für seinen "Ring" in Bayreuth, wo an diesem Freitag die Festspiele zu Ende gehen, allerlei Filmisches forsch ins Dreidimensionale übertragen.

Nun gehört Wagner mit seiner symphonischen Konzeption des Musikdramas zu den Erfindern der Filmmusik. Und er hat Filmgeschichte geschrieben, wobei der "Tristan" in der Wagner-Filmografie den Ton angibt. Sabine Sonntag bietet die Fortsetzung ihrer Erkundungen zu "Richard Wagner im Kino" (2010), sie ist zwischen Stummfilmzeit und heute in mehr als 80 Werken fündig geworden, die auf irgendeine Weise mit der "Tristan"-Musik sympathisieren - als magischem Soundtrack von Filmdramen, Tonsignalen für Wagner-Porträts oder als Hintergrund für die Bildergeschichten um den Wagner-Clan und Bayreuth. Die filmtauglichen Tristan-Elemente sind für die Autorin "Sehnsuchtsthematik, Spannungsaufbau, Ekstase, Selbstaufgabe, Suizid - womöglich sogar im Wasser: 'Ertrinken, versinken'".

Im Jahr des Bloch-Essays, 1929, wurde in Paris Luis Buñuels surrealistischer Stummfilm "Un chien andalou" uraufgeführt, mit Klängen aus "Tristan und Isolde", grotesk verschnitten mit heißblütiger Tangomusik. Da fällt auf, dass es nicht das schmerzend-dissonante "Tristan"-Vorspiel ist, das die erotische Pantomime von Mann und Frau begleitet, sondern Isoldes Schlussgesang, ihr "Liebestod".

Tristans quälendes Vorspiel hatte überraschenderweise Glück in Hollywood - 1957 in Billy Wilders "Love in the Afternoon", wo Audrey Hepburn, Gary Cooper und Maurice Chevalier mit Wagners Liebesdrama ihr tragikomisches Spiel treiben. Sonntag beschreibt die dialektische Kunst Wilders: den Kurzschluss letztlich banaler Amouren mit der erhabenen Klangwelt der "Tristan"-Musik.

Für jede der zehn Kapitelüberschriften hat Sonntag ein "Tristan"-Zitat parat, etwa "Hier wütet der Tod" für Filme, die sich im traumhaften oder satirischen Kontext dem Dritten Reich widmen, so Viscontis "La caduta degli dei" oder auch Helmut Dietls "Schtonk!". Liebe, Ekstase, Tod, Erlösung - Ken Russells "Mahler" ist nicht ausgeblendet, auch nicht die "Tristan"-Variante "Heaven's Burning" von Craig Lahiff oder Werner Herzogs "Cerro Torre: Schrei aus Stein". Dem biografischen Film gilt ein eigenes Kapitel, in dem die tristanaffinen Ludwig II.-, Wagner-, Wahnfried- und Wagner-Clan-Filme gebündelt werden. Werke von Alfred Hitchcock, Monty Python, Claude Chabrol, Louis Malle und Yukio Mishima werden behandelt. Sabine Sonntags "Tristan"-Ausbeute in der Filmgeschichte ist bemerkenswert, ausdrücklich führt sie Ken Wlaschins Kompendium "Opera on Screen" und die Internet Movie Database als Quellen an. Und sie präsentiert in der Filmografie am Ende des Buchs einen jeden der Filme mit genauen Angaben.

Das Erscheinen der "Tristan"-Musik im Film, so Sabine Sonntags Fazit, bedeute "ausnahmslos die Erschaffung einer Gegenwelt, in die einzutauchen das höchste Bestreben der Filmfiguren darstellt". Als paradigmatisch dafür erachtet und analysiert sie Lars von Triers unergründliches Drama "Melancholia" aus dem Jahr 2011. Die Wagner-Affinität des dänischen Künstlers gebiert die apokalyptischen Ungeheuer.

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SZ vom 28.08.2015
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