Süddeutsche Zeitung

"Isle of Dogs" im Kino:Zerzauste Hunde proben den Aufstand gegen den Faschismus

"Isle of Dogs" von Wes Anderson ist ein wundervoll aufwendiger Animationsfilm - mit einem blinden Fleck.

Von Tobias Kniebe

Wuschelige Hunde mit großen, seelenvollen Augen, die gern die besten Freunde des Menschen wären. Ein imperialistisch-faschistischer Überwachungsstaat, der die treuen Vierbeiner auf eine Müllinsel deportiert und einen Vernichtungskrieg gegen sie plant; und aufrechte Vertreter der Gattung Mensch, die für ihre Hundeliebe in den Untergrund gehen und ihr Leben riskieren.

Ist, nur mal schnell aus dem Kopf heraus, ein platteres Szenario denkbar? Eine Story, die schamloser auf den Emotionsknopf der Tierliebe drückt, sich schwanzwedelnder an alle Hundebesitzer heranwanzt, tiefer und unerschrockener in die Mottenkiste der Schurkenerstellung greift? Eher nicht.

Und deshalb kann es nach allen Regeln der kinematografischen Wahrscheinlichkeit eigentlich keinen Regisseur geben, der imstande wäre, aus "Isle of Dogs" einen gelungenen Film zu machen. Ein Highlight der diesjährigen Berlinale etwa, mit dem Silbernen Bären für Regie ausgezeichnet und von den Kritikern fast ausnahmslos geliebt.

Die depressive Wissenschaftlerin heißt Yoko Ono und wird auch von Yoko Ono gesprochen

Gelegentlich gibt es im Universum aber unerklärliche Raum-Zeit-Verwerfungen, in denen gar keine Regeln gelten, und in einer dieser kosmischen Blasen operiert der amerikanische Regisseur Wes Anderson. Der Mann trägt grundsätzlich nur Anzüge, aus denen seine schlaksigen Gliedmaßen viel zu weit herausragen, und sein Haarschnitt gemahnt an jene Phase der Kindheit, in der Jungs sich noch entscheiden müssen, ob sie nicht lieber Mädchen wären. Züge dieser präpubertären Herrlichkeit prägen auch all seine Filme: kindliche Spleenigkeit gepaart mit Todesmut, herrlich altkluges Daherreden, ritterliches Weltbild. An die Unschuld dieser Lebensphase kann sich irgendwie jeder erinnern, weshalb der Mann in seinen Filmen auch Dinge tun darf, die man keinem anderen Erzähler des Kinos verzeihen würde.

Und dann gibt es eben sehr viele Details, die einen gleich in Andersons Welt hineinziehen. "Isle of Dogs" ist ein Animationsfilm, aber nicht nur das. Er vertraut, wie schon das Vorgängerwerk "Der fantastische Mr. Fox", auf eine der ältesten und aufwendigsten Trickfilmtechniken, das Stop-Motion-Verfahren. Dabei werden liebevoll gebastelte Figuren durch liebevoll gebastelte Sets bewegt, Einzelbild für Einzelbild, Millimeter für Millimeter. Und tatsächlich wird nirgendwo so liebevoll gebastelt wie bei Anderson. Ihm ist die ganze Welt eine Puppenstube: die Polizeistaatsfantasie der japanischen Zukunftsmetropole Megasaki genauso wie die Müllinsel der verbannten Hunde, eine Art Wüstenplanet aus aufgelassenen Rost-Raffinerien und Zivilisationsschrottgebirgen.

Ist es einfach die Liebe zur Kreation, die man hier fühlt, die den Betrachter mit dem eingangs skizzierten Handlungsgerüst versöhnt? Vielleicht. Man spürt jedenfalls die Handschrift eines Schöpfers, der zumindest für sich selbst immer sagen kann: Es muss jetzt exakt so sein. Die japanischen Taiko-Trommler etwa, die schon die Titelsequenz begleiten, müssen exakt so übertrieben dramatisch trommeln, wie sie es tun; Chief, der ewig misstrauische Streuner aus der Hundebande (im Original gesprochen von Bryan Cranston) muss exakt so skeptisch grummeln, während Kollege Rex wiederum jenen "Yes We Can"-Optimismus ausstrahlen muss, den sein Sprecher Edward Norton auch schon in Andersons "Moonrise Kingdom" zeigte. Anderson hat zusammen mit seinen Co-Autoren Roman Coppola, Jason Schwartzman und Kunichi Nomura wieder eine Jungsbande geschaffen, deren Charme man leicht erliegt, auch weil stimmenmäßig noch Bill Murray, Jeff Goldblum und Bob Balaban mitmischen. Das unerschrockene Rudel schließt sich mit dem Jungen Atari zusammen, der ein Flugzeug gestohlen hat und auf der Müllinsel notgelandet ist, auf der Suche nach seinem geliebten, nun aber verlorenen Hund Spot. Gemeinsam trotzen sie Überwachungsdrohnen und fiesen hundeförmigen Kampfrobotern, die das System auf sie hetzt. Und sie verhindern - zusammen mit todesmutigen Aktivisten auf dem Festland - den geplanten Massenmord an ihrer Spezies.

Kleines Manko: Japan wird in dieser Geschichte zu einer Art Lego-Baukasten aus Klischees

Warum aber spielt das alles in einem futuristischen Japan? Auch da würde Wes Anderson wohl nur sagen: Es musste so sein. Aber die Frage bleibt. Suchte er einen Effekt besonderer Bedrohlichkeit, wenn der Bürgermeister und seine Vasallen grimmig schauen und japanische Befehle bellen, die nicht übersetzt werden? Wollte er einen Polizeistaat mit Deportationsfantasien beschwören, der indirekt an Donald Trump erinnert? Brauchte er eine fremde Kultur zur Neuausstattung seiner Puppenstube, wie schon den k.u.k-Ostblock in "Grand Budapest Hotel"?

Wahrscheinlich alles zusammen. Aber das führt dann eben auch zu Szenen, in denen die amerikanische Austauschstudentin und Pro-Hunde-Aktivistin Tracy (gesprochen von Greta Gerwig) eine depressive japanische Wissenschaftlerin erst würgen und schütteln muss, um sie aus ihrer landestypischen, obrigkeitshörigen Lethargie zu reißen. Diese heißt Yoko Ono und wird auch von Yoko Ono gesprochen - aber wen soll diese stereotype Szene amerikanischer Überlegenheit wohl freuen? Alle Beatles-Fans vielleicht, die Yoko Ono schon immer mal würgen wollten.

Aus der präpubertären Zauberwelt, in der Wes Anderson sich eingesponnen hat, entstammen all die unerschöpflichen Einfälle, für die er zu Recht immer wieder als Genie gefeiert wird. An "Isle of Dogs" aber kann man sehen, dass es in dieser Welt auch blinde Flecken gibt. Ähnlich wie der junge Internatsschüler in "Rushmore", einem seiner frühen Filme, lebt Anderson so tief in seinen eigenen Fantasien, dass er die Privilegien seiner Position in der Welt nicht sehen kann.

In diesem Fall ist es die Tatsache, dass er als Angehöriger einer Siegermacht die Kultur eines Landes, auf das seine Väter noch Atombomben geworfen haben, als eine Art Lego-Baukasten aus Klischees benutzt. Man muss den Film dafür nicht in die moralische Strafecke stellen - benennen sollte man diesen Umstand aber schon. Und jetzt zurück zu den unheimlich wuscheligen Hunden mit ihren großen seelenvollen Augen.

Isle of Dogs, USA 2018 - Regie: Wes Anderson. Buch: Anderson, Roman Coppola, Jason Schwartzman, Kunichi Nomura. Kamera: Tristan Oliver. Mit den Stimmen von Bryan Cranston, Edward Norton, Bill Murray, Greta Gerwig. Fox, 101 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 09.05.2018
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