Islands neue Konzerthalle:Bloß keine Luxusruine

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Island feiert sein neues Musik- und Veranstaltungshaus. Die "Harpa" in Reykjavik ist ein Prachtbau aus den Zeiten vor dem Bankencrash - aber wer soll ihn nun bespielen? Im Oktober gibt es fast nur Björk.

Jörg Häntzschel

Es ist unmöglich, den Koloss im Hafen von Reykjavik zu übersehen. Seine Dimensionen lassen an die Kreuzfahrtschiffe denken, die im Schritttempo nach Venedig vorrücken, um nicht gleich die halbe Stadt unter sich zu zermalmen.

Die "Harpa" am Hafen von Reykjavik ist mehr Klotz als Harfe. Das Licht der Dämmerung greift sie allerdings wunderbar auf. (Foto: Bára Kristinsdóttir/Harpa)

Seine Form erinnert an einen geheimnisvoll kristallinen Meteoriten, der hier irgendwie gelandet ist, ohne ganz Island mit sich in den Atlantik zu reißen. Und auch mit dem vergleichsweise winzigen bunkerartigen Bau der isländischen Zentralbank, der gleich gegenüberliegt, hat er viele Ähnlichkeiten.

Gut, dass der Verkehr auf der Straße, die zwischen beiden hindurchführt, so spärlich fließt. Denn statt nach den gelegentlichen Autos Ausschau zu halten, kommt man nicht umhin, sich in Kinderökonomie zu ergehen: Wie konnte so eine kleine Bank nur ein so gigantisches Wunder aus Glas und Beton bezahlen? Das ist nur eines der Rätsel des am vergangenen Wochenende eingeweihten Konzert- und Opernhauses Harpa. Das andere ist: Braucht ein Land, das nur 320 000 Einwohner hat, wirklich einen Konzertsaal mit 1800 Plätzen?

Wer so fragt, bekommt hier immer dieselbe Antwort: "Schließlich gibt es in Island 1000 Chöre!" Der Besucher versucht, sich die heiteren Gesänge dieser 1000 Chöre vorzustellen, die über die moosige Vorzeitlandschaft wehen, und vertraut fortan darauf, dass die Isländer schon wissen, was sie tun.

So ganz wussten sie es aber doch nicht. Als Landsbanki, eine der größten isländischen Banken, 2005 mit dem Großprojekt im Osthafen von Reykjavik begann, zu dem außer dem Konzertsaal und dem Messezentrum auch ein Hotel, Restaurants, Apartments und das neue Hauptquartier der Bank gehören sollten, schien alles in bester Ordnung. Sorglos nannte man den Komplex "World Trade Center Reykjavik". Zwei Jahre später war Landsbanki pleite und kam unter staatliche Kontrolle - und mit ihr der Rohbau, in den schon 90 Millionen Dollar versenkt worden waren.

Die Bauarbeiten wurden gestoppt. Doch zum Aufgeben war es zu spät. Island kam aus den Verträgen nicht mehr heraus. Außerdem, so fand man wohl, wäre der Anblick der Luxusruine als Menetekel für Islands Größenwahn an diesem Paradeort auf Dauer schwer zu ertragen gewesen. Es blieb der bankrotten Regierung also kaum anderes übrig, als die übrigen 160 Millionen zu finden und das Projekt halbwegs in Würde durchzuziehen.

Raum für Chöre, Popmusik, Symphonieorchester und Oper

Und da steht er nun also, der Klotz, der unter allen Musikinstrumenten am wenigsten der namengebenden Harfe gleicht: ein doppelter Fremdkörper. Dass er ein Affront gegenüber den geduckten Kleinstadthäuschen sein würde und gegenüber dem bescheidenen Hafen selbst, wo einige Fischkutter und Whalewatching-Boote vertäut sind, muss von Anfang an klar gewesen sein, ebenso dass er vielen die Aussicht auf den Esja verstellt, den kleinen Berg auf der anderen Seite der Bucht. Nun ist er auch noch aus der Zeit gefallen.

Allerdings dürfte den Isländern unter den vielen Löchern, in denen ihr Geld verschwunden ist, dieses noch am besten gefallen. Denn es ist ja wahr: Nicht nur Islands Literatur-, sondern auch seine Musikszene ist für ein so kleines Land beachtlich. Dass nicht nur das angesehene isländische Symphonieorchester, sondern auch die isländische Oper, die bisher in einem alten Kino unterkommen musste, nun endlich einen vernünftigen Saal für großes Spiel bekommt, ist nur zu begrüßen.

Zu verdanken ist das auch Olafur Eliasson, dessen Glasfassade dem vom dänischen Modernisten Henning Larsen entworfenen Bau immerhin Freundlichkeit und Lebendigkeit verleiht. Während die Nord-, Ost- und Westseite des Gebäudes etwas schlichter ausgefallen sind, hat Eliasson die der Stadt zugewandte Südfront aus knapp 1000 unregelmäßig geformten Waben aus Glas und Stahl zum komplexen Interface von Natur, Bauwerk und Betrachter gemacht.

Einzelne dieser Waben bestehen aus farbigem Glas, das das Licht in der Komplementärfarbe spiegelt und einen Effekt erzeugt, der an Facettenaugen erinnert. Mit jedem Schritt des Betrachters ändert sich das Bild, das Himmel und Sonnenlicht auf der Fassade erzeugen. Im Innern wiederum zeichnet das Netz der Stahlrahmen ein reizvolles, mit farbigen Tupfern durchschossenes Schattenmuster auf die Teppichböden.

Björk stellt im Oktober fast das ganze Programm

Die Dämmerung nehme in Island ein Drittel des Tages in Anspruch, erklärte Eliasson bei der Eröffnung. Nichts tue den Leuten besser als ein von architektonisch animierter Sonne durchflutetes Gebäude. Absolut nachvollziehbar. Aber ob das auch als Rechtfertigung für Larsens völlig überdimensionierte Lobby ausreicht, ein Treibhaus, so groß, als sollten sich dort sämtliche unter Winterdepression leidenden Isländer gleichzeitig zur Lichttherapie einfinden? In Wahrheit wusste Larsen ganz einfach nicht recht, was tun mit all dem Platz, den man bei ihm bestellt hatte. Rund um den eigentlichen Konzertsaal, der kompakt und effizient ist, zerfranst der Bau in leerem Pomp.

Es wird schwer, das künstlerische Profil zu behalten", gibt Harpas künstlerische Leiterin, Steinunn Birna Ragnarsdottir, unumwunden zu. "Und es wird eine große Herausforderung werden, ein solides Budget zu finden." Alles deutet darauf hin, dass Harpa eher Mehrzweckhalle denn Konzertsaal sein wird. Und auch das wird nicht einfach: Für den September sind bislang erst neun Abende gebucht. Im Oktober sind es zehn, aber sieben davon bestreitet Björk. Harpa nun zum "Symbol für Islands Renaissance" umzuwidmen, wie Ragnarsdottir es tut, erscheint etwas hilflos.

© SZ vom 22.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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