Islamkritik als Theaterstoff:Houellebecqs "Unterwerfung" - ist doch nur Spaß

Uraufführung 'Unterwerfung'

Edgar Selge als witzelnde Houellebecq-Imitation wirkt nicht grundlos bedrohlich.

(Foto: dpa)

In Hamburg ist Michel Houellebecqs "Unterwerfung" erstmals auf der Bühne zu sehen. Edgar Selge spielt brillant, aber reicht das aus bei einem derart problematischen Text?

Theaterkritik von Till Briegleb

Edgar Selge hat an diesem Abend eine gewisse Ähnlichkeit mit Michel Houellebecq. Doch man weiß bei der Uraufführung von Houellebecqs umstrittenem neuen Roman "Unterwerfung" am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg zunächst nicht, ob diese Annäherung ein Vorteil ist.

Natürlich gibt es wenige Schriftsteller, die ihren Hauptdarstellern so nahe zu sein scheinen wie Houellebecq. Die sexbesessenen, dem Zynismus und Alkohol zuneigenden einsamen Kettenraucher, denen die Angst vor dem Altern eine suizidale Melancholie verleiht, identifizieren wohl die meisten Leser mit dessen markant-unattraktiver Gestalt. Diese gewollte Ähnlichkeit ist Teil der Provokation durch Ehrlichkeit, die Houellebecq betreibt, und dabei durchaus eitel.

Aber dient Ähnlichkeit auf der Bühne wirklich der kritischen Distanz, vor allem bei dieser Spekulation über ein islamisiertes Frankreich im Jahr 2022, die nicht nur aus Gründen des Frauenbilds aneckt?

Houellebecq beschreibt in "Unterwerfung" eine Gesellschaft, die sich in rasantem Tempo dem politischen Opportunismus so weit hingibt, dass sie ihre mühsam erkämpften Grundrechte der Gleichberechtigung, der Bildungsfreiheit, der körperlichen Selbstbestimmung und der freien Rede fahren lässt, um einen Islam ohne Frauenrechte als Staatsform zu akzeptieren, wie ihn nicht mal die Türkei praktiziert.

Islamisten gegen Rechtsextreme: Muss man diese Konfrontation ernst nehmen?

Und er erzählt diesen Kulturzusammenbruch im Zeitraffer aus der Perspektive eines seiner typischen Alter Egos. Der Literaturwissenschaftler François ist ein ehrgeizloser Durchschnittsmann, der die Frauen nur nach ihrem Körper und ihren Fellatio-Künsten beurteilt, keine Freunde und keine Prinzipien hat und Sympathie vor allem dadurch gewinnt, wie offen er über all seine unsympathischen Züge spricht.

Der Hauptdarsteller wirkt wie ein Houellebecq-Imitator

Diesen Houellebecq inszeniert Karin Beier nun als Solo für Edgar Selge unter Vermeidung eines Kommentars. In einem schlecht sitzenden beigen Anzug (Kostüm: Hannah Petersen) und mit strähnig von der Halbglatze herabhängenden Haaren simuliert Selge den Dichter zunächst, als spräche der sein Buch auf einer Lesung. Auf der Vorderbühne vor einer schwarzen Wand, in der sich eine vertikale Rotationsscheibe mit einem ausgeschnittenen Christenkreuz dreht (Bühne: Olaf Altmann) vermengen sich aber schnell Figur, Autor und Darsteller wie in einem Gemälde von Francis Bacon - zu einem dynamischen Triumph des Hässlichen.

Dabei sind die szenischen Zugriffe, die Beier für Selge inszeniert, minimal. Schroffe Lichtwechsel mit kurzen Soundeinspielungen für die Sprünge im Text, ein sehr illustrativer Musikeinsatz mit arabischen, gregorianischen oder Cool-Jazz-Klängen, sowie wenige Requisiten wie Einkaufstüten, Weinflaschen und eine Zigarette, die Selge aber nie anzündet, markieren Atmosphäre.

In diesem spartanischen Setting ist Selge extrem nachtaktiv. Ständig klettert er in die sich drehende, enge, schwarze Kreuzhöhle über ihm, die mal als Wohnung, mal als Kloster, Auto oder Sorbonne dient, durch die Drehung aber vor allem ein unbequemes Handicap für die freie Bewegung liefert.

Die Brechungen sind minimal - aber effektiv

Es sind nur solche subtile symbolische Eingriffe, mit denen Beier und Selge das Unbequeme dieses Romans andeuten: die schwarze Leere der Bühne, die eingeklemmte Unfreiheit im Drehkreuz. Der in seinen wesentlichen Bestandteilen vorgetragene Roman wird weder durch Fremdprosa noch durch Videos oder andere zeitgenössische Kommentarformen unterbrochen. Haltung muss alleine Edgar Selge liefern.

Und der liefert. Denn tatsächlich sind Houellebecqs Romane überhaupt nur so ein Erfolg und nicht als komplett reaktionär verschrien, weil er seine Selbstdemontage mit feinem Humor betreibt. Sein Spiel der Windungen zwischen provozierenden Äußerungen und der Beschreibung der eigenen tristen Unzulänglichkeit schafft dem Leser eine Zone der satirischen Wahrnehmung - in der sich ein virtuoser Schauspieler natürlich brillant entfalten kann.

Aus Ernst wird Spaß - darf das sein?

Durch das feine Changieren zwischen den Rollen des Autors, seiner Figur und des Darstellers erspielt sich Edgar Selge genau die ironische Distanz, die es braucht, um Houellebecqs im Kern unrealistische Konstruktion vom Untergang des Abendlandes als Komödie zu sehen.

Mit feinen Übertreibungen verwandelt er die herabwürdigenden Aussagen über Frauen in Pointen. Die auch im Roman eher langatmigen Erklärpassagen über das politische Geschehen rund um die Präsidentenwahl, mit der die Muslimbrüder die Macht in Frankreich übernehmen, stellt Selge in ihrer Hölzernheit offen aus, sodass sie ihre Absurdität zeigen. Und die verlegene Begeisterung des François, als er erkennt, dass die Polygamie seine promisken Lüste in gesetzliche Form gießt, was ihn schließlich zum Übertritt zum Islam animiert, lebt Selge in der Grimassenhaftigkeit einer Molière-Figur so aus, dass man Mitleid haben muss.

Die Ovationen im Stehen, die es in Hamburg zu Recht für diese subtil-komödiantische Schauspielleistung gab, übertönt aber doch nicht ganz die Zweifel, ob diese Form der mimetischen Ironie wirklich die richtigen Fragen aufwirft. Die Freude am feinen Spott vermittelt eher die Aussage, dass man die Spekulationen über eine Konfrontation zwischen Rechtsextremen und Islamisten in Europa nicht so recht ernst nehmen muss. Und da wird das Thema dann vielleicht doch zu sehr der Virtuosität unterworfen.

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