Islamismus-Debatte:Um Leben und Tod

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Alice Schwarzer erzählt bei einer Diskussion in Zürich, wie schlimm der Islam in Deutschland wütet. Der sachliche Ton ist bald weg, und dann sprengen auch noch Aktivistinnen die Veranstaltung.

Von Charlotte Theile, Zürich

Wer zu einer Alice-Schwarzer-Lesung geht, weiß, was ihn erwartet. Die 73-jährige Publizistin lässt sich von einem Moderator höfliche Fragen stellen, liest Texte vor, die belegen sollen, dass Deutschland kurz vor der islamistischen Machtergreifung steht und findet jemanden, mit dem sie sich streiten kann.

Der Sonntagabend im Zürcher Kaufleuten allerdings war als Diskussion angelegt, moderiert von Matthias Daum, Chef der Schweizer Lokalausgabe der Zeit.

Schwarzer hatte sich mit Saïda Keller-Messahli vom Forum für einen fortschrittlichen Islam eine ausgewiesene Expertin für die schweizerische Salafisten-Szene mit aufs Podium geholt.

Sie war es auch, die der aufgebrachten Zuhörerschaft nach einem Erlebnisbericht einer Mutter, die gemeinsam mit ihrer Tochter in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof angegriffen worden war, den Wind aus den Segeln nahm. Nein, so etwas könne in der Schweiz nicht passieren, dazu sei die Szene zu klein und zu übersichtlich.

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Saïda Keller-Messahli, die aus Tunesien stammt, kennt die Ängste ihrer Schweizer Mitbürger. Vor sieben Jahren kämpfte sie gegen das Minarettverbot, warb für einen modernen Islam, der in der Gesellschaft einen würdigen Platz findet.

Inzwischen hat sie ihre Positionen verschärft. Dass es im Kanton Tessin seit Juli verboten ist, im öffentlichen Raum das Gesicht zu verhüllen, findet sie gut. Auch das nationale Verbotsverfahren gegen die Vollverschleierung unterstützt sie - und somit genau die Leute, die sie 2009 noch bekämpfte.

Der Saal tobt

Die Lage habe sich verändert, sagt Keller-Messahli. Sie sei nun mehr denn je der Überzeugung, dass man dem Islam wo immer möglich Einhalt gebieten müsse. Schon 2009 entschieden die Schweizer, es dürften keine weiteren Minarette mehr gebaut werden.

Der sachliche Ton, um den sich die beiden Diskutantinnen am Anfang bemühten, ist bald weg. "Erst kommen die Frauen, dann die Juden, dann die Homosexuellen, dann die Intellektuellen - und zum Schluss alle, die nicht auf den Knien liegen", ruft Alice Schwarzer, der Saal tobt.

In "diesen" Ländern "werden Sie sofort totgeschlagen, wenn Ihnen das Tuch verrutscht", legt sie nach, Buhrufe, Szenen-Applaus, der Moderator und die Schweizer Expertin rutschen unbehaglich auf ihren Stühlen umher.

Das meiste geht unter

Viele sind an diesem Abend gekommen, um sich anzuhören, wie schlimm es um das Nachbarland steht - Saïda Keller-Messahli versucht immer wieder, die Debatte in die Schweiz zu bringen, benennt die Stiftungen und Moscheen, durch die saudisches Geld in die Schweiz gelangt.

Das meiste davon geht unter. Doch als sie von der Islamischen Weltliga spricht, geht ein Raunen durch den Saal. "Wenn die Politik nicht erwacht, wird es zu spät sein", sagt Keller-Messahli. "Liebe Saïda , ich stimme dir vollkommen zu", sagt Alice Schwarzer.

Einig sind sich die beiden auch in einem anderen Punkt: Die Mehrzahl der Muslime wolle vom radikalen Islam nichts wissen und müsse von Politik und Gesellschaft in ihrer friedfertigen Haltung unterstützt werden. Die Zuhörer schweigen.

Frage nach dem Geschlechtsakt als Machtinstrument

Dann wird die Einigkeit auf der Bühne gestört. Eine Gruppe deutscher Frauen ist Schwarzer nach Zürich gefolgt, immer wieder stehen sie auf und stellen Fragen nach dem 1975 erschienenen Buch "Der kleine Unterschied", nach vaginalem und klitoralem Orgasmus, dem Geschlechtsakt als Machtinstrument. Wieder einmal Buhrufe.

Die Aktivistinnen aber halten an ihrer nebelhaften Agenda fest, heben Musikboxen in die Höhe, ein Lied ertönt, minutenlang sind Ordner damit beschäftigt, die Frauen aus dem Saal zu entfernen. Man rede hier von Islam und Islamismus, das sei ein ernstes Thema, betont Schwarzer, ausnahmsweise hört ihr niemand zu. Es gehe für Frauen "um Leben und Tod", setzt sie nach, langsam erhält sie die Aufmerksamkeit zurück. Kurz danach beendet der Moderator die Veranstaltung.

Im Foyer signiert Alice Schwarzer ihr Buch über die Silvesternacht, Warteschlange, Selfies, Emma-Probe-Abos. Statt über das Frauenbild im Islam wird über die Frauen im Minirock gesprochen, die die Veranstaltung mit ihrem Protest gesprengt haben.

Auch Schwarzers Satz, sie habe "nie dafür gekämpft, dass Frauen jeden Unsinn machen dürfen", schwirrt umher. Der Moderator hält sich an einem Bier fest, Saïda Keller-Messahli ist nirgends zu sehen. Kurz darauf fällt der Strom aus, die Zürcher Innenstadt versinkt für anderthalb Stunden in Dunkelheit.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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