Islam und der Westen:Hass auf die Erben der Kreuzzügler

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In der islamischen Welt stehen nicht nur religiöse Fanatiker dem Westen kritisch gegenüber. Schwere Irrtümer und Missverständnisse sind unvermeidlich. Aber die Bereitschaft, auf Schmähungen der eigenen Heiligtümer oder eine Herabsetzung der eigenen Identität gewaltsam zu reagieren, ist ins Unkalkulierbare gestiegen.

Rudolph Chimelli

Unmittelbar nach dem 11. September 2001 rief Amerikas Präsident George W. Bush zum "Kreuzzug" gegen den Terrorismus auf. Jeder wusste, dass dieser Terrorismus aus der islamischen Welt kam. Der Präsident brauchte es gar nicht zu sagen. Sein Wort, das auch in Washington als politische Tölpelei empfunden wurde, war bald aus dem offiziellen Vokabular getilgt. Seither ist es weitgehend aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden - im Westen. Unter Muslimen aber ist es unvergessen.

Proteste gegen den das Mohammed-Video in einem palästinensischen Flüchtlingslager in der libanesischen Stadt Sidon. (Foto: AP)

Durch seine kriegerische Umsetzung in Afghanistan, im Irak, Jemen und in Pakistan wurde es während der folgenden Jahre im Bewusstsein der Betroffenen und ihrer Glaubensgenossen täglich bestätigt. Obwohl sich Deutsche und Franzosen im Gegensatz zu Briten und Amerikanern immer weniger als christliche Völker verstehen, sehen auf der anderen Seite nicht nur Fanatiker in den technisch überlegenen Gegnern die modernen Erben der Kreuzzügler, eben Christen, die den Islam bekämpfen.

Die Bereitschaft, auf Schmähungen der eigenen Heiligtümer oder auf Herabsetzung der Identität, auch wenn sie von unqualifizierter Seite kommen, gewaltsam zu reagieren, ist ins Unkalkulierbare gestiegen.

Obgleich Blasphemie weder im Koran noch in der Überlieferung der Taten und Aussprüche des Propheten vorkommt, hat die islamische Rechtsprechung, die Scharia, den Begriff verfestigt. Geschützt sind an erster Stelle Gott und sein Prophet sowie dessen Familie. Von ihnen in herabsetzender Form zu sprechen oder sie bildlich darzustellen, ist verboten. Klassische Miniaturen in islamischen Handschriften haben das Bilderverbot umgangen, indem sie das Gesicht Mohammeds verhüllen oder weglassen.

Mohammed nur als Schatten

In dem Film "Die Botschaft" (1977) über die Entstehung des Islam, der nirgendwo in der islamischen Welt Anstoß erregte, war nur der Schatten Mohammeds zu sehen. Nicht einmal seine Stimme war zu hören. Auf der anderen Seite verdammte eine Fatwa (Glaubensentscheidung) eines Rechtsgelehrten im Jahr 2007 eine Lehrerin dafür, dass sie ihrer Klasse gestattet hatte, einen Teddy-Bären Mohammed zu nennen. Unruhen im Sudan waren die Folge. Bei Protesten gegen die umstrittenen dänischen Karikaturen des Propheten kamen in den Jahren 2005 und 2006 mehr als 100 Menschen ums Leben.

Am bekanntesten ist der Fall des Schriftstellers Salman Rushdie. Nach dem Erscheinen seiner "Satanischen Verse" hatte ihn der iranische Revolutionsführer Ruhollah Khomeini 1988 für vogelfrei erklärt. Unter dem Reform-Präsidenten Mohammed Chatami ließ die Teheraner Führung mitteilen, die Fatwa werde nicht mehr ausgeführt. Jetzt hat eine religiöse Organisation in Teheran im Gefolge des Sturms auf das amerikanische Konsulat in Bengasi die Kopfprämie auf Rushdie um eine halbe Million auf 3,3 Millionen Dollar erhöht.

Sowohl Gläubige als auch Ungläubige können nach der islamischen Rechtsprechung zu Gotteslästerern werden. Angriffe auf Glauben oder Glaubenspraktiken können Blasphemie sein, ob sie wörtlich oder schriftlich erfolgen. Die Entweihung oder das Verbrennen eines Korans, wie sie gelegentlich religiöse Spinner in den USA vornehmen, gelten als besonders schwerwiegend. Als bekannt wurde, dass auf dem US-Stützpunkt Bagram bei Kabul Exemplare des Koran verbrannt wurden, angeblich irrtümlich, kamen bei Unruhen in ganz Afghanistan 30 Menschen ums Leben.

Proteste gegen Mohammed-Video
:Demonstranten zünden deutsche Botschaft in Sudan an

Die Proteste gegen den umstrittenen Mohammed-Film weiten sich aus, jetzt richtet sich die Empörung aufgebrachter Muslime auch gegen Deutschland. Demonstranten in der sudanesischen Hauptstadt Khartum haben die deutsche Vertretung gestürmt und teilweise zerstört. Außenminister Westerwelle verurteilt die Gewalt.

Da nicht nur jeder angesehene Rechtsgelehrte, sondern auch jeder Dorfmullah durch eine Fatwa Blasphemie in seinem Gesichtsfeld konstatieren kann, kommt es immer wieder zu absurden Entscheidungen. So wurde zur Gotteslästerung erklärt: Mohammeds Namen an den Wand einer öffentlichen Toilette zu schreiben (Pakistan), während des Gebets zu pfeifen (Indonesien), Yoga zu treiben (Malaysia), einen Film anzusehen (Somalia), sich für einen Fernsehauftritt zu schminken (Iran).

Schwere Irrtümer und Missverständnisse sind unvermeidlich. Amerikas Botschaft in Pakistan wurde 1979 von einer empörten Menge niedergebrannt, die auf Grund einer Fatwa glaubte, die Amerikaner hätten die Große Moschee von Mekka angegriffen. Tatsächlich waren es regimefeindliche islamische Dissidenten aus Saudi-Arabien, welche die Moschee besetzt hatten.

Immer sind die Amerikaner das erste Ziel solcher Proteste, nicht nur weil sie die stärkste Militärmacht, sondern auch weil sie die Beschützer Israels sind. Die Ressentiments der armen Schichten in den islamischen Länder richten sich vor allem gegen die materielle Überlegenheit des Westens und dessen für sie unerreichbaren Lebensstandard. Bei Theologen und Intellektuellen stößt auch die Soft Power Amerikas auf Kritik und Widerstand: die Verführungskraft des amerikanischen Lebensstils, die Popkultur, der Einfluss der Massenmedien, die Orientierung auf Profit und Konsum. Dieser Gleichklang der Gefühle bei Meinungsführern und -geführten ist der schwer auslotbare Hintergrund der latenten Gewaltbereitschaft. Jeder Anlass wie jetzt der geschmacklose Schmähfilm kann zu Eruptionen führen.

Zudem stehen die erfolgreichen Oberschichten der islamischen Länder, so weit sie sich am westlichen Vorbild orientieren, ständig unter Rechtfertigungsdruck. Ihr öffentlicher Diskurs wird dadurch behindert, wenn nicht gelähmt. Toleranz für Islam-Kritik einzufordern, ist die Sache Einzelner. Die gemäßigten Islamisten wiederum, die sich an der Macht pragmatisch verhalten müssen, sehen sich der Konkurrenz der radikaleren Salafisten ausgesetzt. Jede Revolution beschleunigt sich.

Gefolgsmann Amerikas? Rufschädigend

Ägypten mit seinem Präsidenten Mursi ist dafür ein vorzügliches Beispiel. Er weiß sehr gut, dass sein Land von der Hilfe der USA abhängig ist, aber seine ersten Auslandsreisen macht er nach Peking, Teheran und Brüssel. Als Gefolgsmann Amerikas dazustehen, ist rufschädigend für einen arabischen Politiker. In einer ähnlichen Lage befinden sich die Honoratioren unter den muslimischen Klerikern. Wenn sie die Ausschreitungen der Eiferer allzu heftig missbilligen, riskieren sie ihren Kredit beim gläubigen Fußvolk.

Schmähungen Mohammeds hatte es im Abendland auch früher gegeben. Eine europäische Miniatur zeigt den Propheten als Lüstling auf einem Seidendiwan, umgeben von barbusigen Frauen. Dante versetzte ihn in die neunte Hölle. Aber wer im Morgenland scherte sich damals darum, wer nahm es wahr? Die schnelle Elektronik hat alles geändert. Ein obskurer Video-Clip aus Kalifornien, hergestellt und verbreitet jenseits der bei traditionellen Medien üblichen Kriterien von Verantwortung, mobilisiert über Nacht Zehntausende.

Niemand weiß, ob es den kompletten Film überhaupt gibt oder wer ihn finanziert hat. Jene Zehntausende aber, die jederzeit bereit sind, Sternenbanner zu verbrennen, über Botschaftsmauern zu klettern, sich dabei erschießen zu lassen und nach ihren Phantasien "Märtyrer" zu werden, sind in diesem Phänomen die wichtigsten Figuren der Handlung. Hätten sie Arbeit und ein eigenes Heim, gäbe es für sie eine Perspektive. Würden sie in Verhältnissen leben, die man in Europa "geordnet" nennt, hätten sie weder für Proteste auf dem Kairoer Tahrir-Platz noch für Krawalle vor Botschaften Zeit. Doch in den meisten islamischen Ländern herrscht chronische Arbeitslosigkeit. Sie trifft Unqualifizierte wie Universitätsabsolventen.

Naturereignisse können diese soziale Lage dramatisch verschärfen. So litt Syrien von 2006 bis 2009 unter schwerer Dürre. Hunderttausende Landbewohner, die nichts mehr ernteten, wanderten in die großen Städte ab, wo sie keine Beschäftigung fanden. Kenner behaupten, ohne dieses neue Subproletariat hätte es keinen Aufstand gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad gegeben. Ohne das Millionenheer junger Männer, die nichts zu tun haben, gäbe es vielleicht gar keinen arabischen Frühling. Und auch keinen Hass auf den Westen.

© SZ vom 18.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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