Neuer Konzertsaal:Lang lebe das Provisorium

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Es ist vollbracht! Akustiker Yasuhisa Toyota in der neuen Übergangsphilharmonie. (Foto: Robert Haas)

In erstaunlich kurzer Zeit wurde die Isarphilharmonie errichtet. Ein Baustellenbesuch mit Akustiker Yasuhisa Toyota und Valery Gergiev, Chefdirigent der Münchner Philharmoniker.

Von Rita Argauer, München

München hat einen neuen Konzertsaal. Zwar nicht den, der seit beinahe 25 Jahren geplant ist, um den aber immer noch gestritten und diskutiert wird. Aber einen, der in zwei Wochen eröffnet wird und der so auch zum glänzenden Symbol für einen vollbesetzten Neustart der Konzertkultur werden kann. Auch wenn er innen eher dunkel ist. Und den Münchner Philharmonikern zunächst auch nur vorübergehend eine Heimat sein soll.

Um Großbaustellen herum hat sich ja in jüngster Zeit so eine Art Subgenre entwickelt: das der Interimsbauprojekte. Weil die groß angelegten Sachen sich gerne über zehn bis zwanzig Jahre hinziehen können, braucht man solche Zwischenbauten, die schnell stehen. Im Münchner Fall ist in drei Jahren (davon nur eineinhalb Jahre Bauzeit) ein neuer Konzertsaal für 1800 Zuschauer als Ausweichquartier für das Kulturzentrum Gasteig samt seiner Philharmonie entstanden, während dieses saniert werden soll. Das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) hat für das temporäre Gebäude eine Holzmodulbauweise gewählt. Klanglich hat es der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota gestaltet. Und wenn man einmal davon absieht, dass es ein bisschen dekadent ist, den wohl berühmtesten Akustiker der Welt zu bitten, ein womöglich temporäres Ausweichquartier zu gestalten, dann könnte man sich an dem Prozedere für künftige Projekte doch einiges abschauen.

Toyota, der nun zwei Wochen vor der Eröffnung in München ist und seinen neuen Saal inspiziert, redet über seine Arbeit weit weniger technisch als gedacht. Es scheint beinahe so, als sei die Akustik für ihn mehr eine metaphysische, ja beinahe spirituelle Angelegenheit. Wenn er über das akustische Konzept spricht, dann redet er über Kommunikation und Intimität. Sowohl zwischen den Musikern selbst, zwischen ihnen und dem Publikum und zwischen den einzelnen Zuschauern. Wer kann sich wie sehen, spüren, kommunizieren?

Aus solchen Frage entsteht eine Akustik, ein Klang, ein Gesamtklang. Eine Atmosphäre, die mehr ist als akustische Schwingungen. Mit denen kennt Toyota sich natürlich auch aus, mit dem Material, mit den Formen. Aber darüber redet er nicht so gerne. Die Metaphysik ist ihm näher. Deshalb gibt es auch zunächst nicht mehr als einen Satz von ihm: "Ich bin glücklich." Ob er dieses Glück, diesen Klang, der in den vergangenen Tagen das erste Mal in Proben der Münchner Philharmoniker zu hören gewesen war, doch noch mehr beschreiben könnte? "Ja, ich bin sehr glücklich darüber, wie es klingt."

Der Saal überrascht akustisch wie emotional durch Wärme

Wenn man den neuen Saal erstmals betritt, überrascht die Wärme. Sowohl akustisch als auch emotional. Draußen herrscht eine Großbaustelle, laut, blechern, klirrend. Durch eine Art Schleuse kommt man in einen dunklen, gedämpft klingenden Holzsaal. Eine Mischung aus alter Schuhkarton-Form und moderner Weinberg-Architektur. Das Podium ist rund, die Musiker sitzen wie um ein Lagerfeuer herum, hinter dem Podium gibt es Ränge (die Zuschauer sehen so nicht nur die Rücken der anderen Zuschauer, wie Toyota erklärt, der Kommunikation wegen). Aber die Grundform ist ein Rechteck, so wie bei den Sälen aus dem 19. Jahrhundert. Und auch die Dunkelheit ist besonders. Die Wände sind mit schwarzem Holz verkleidet. Kleine Leuchten erhellen die Decke wie ein künstliches Firmament. Der Saal wirkt völlig konträr zu vielen neuen Bauten wie etwa der hellen, gleißenden Elbphilharmonie.

Soll zusammenführen: Lagerfeueratmosphäre in weitgehender Dunkelheit. (Foto: Robert Haas)

"Das sollte ein dunkler Raum werden", sagt Philharmoniker-Chefdirigent Valery Gergiev, "alles soll sich auf die Bühne konzentrieren". Das passt auch zu Gergievs Dirigierstil, der die Musik gerade im Konzert bisweilen impulsiv überschwappen lässt. Ein bisschen Mystik, ein bisschen Außerweltlichkeit, ein bisschen Überwältigung. So ein etwas theatraler Raum unterstützt das besser als das Sezierende, ja beinahe Grelle mancher anderer neuen Säle. Das Orchester habe ein bisschen mit den Aufstellungen probiert, sagt Gergiev. Man steht jetzt anders als im Gasteig. Und viel näher.

Über Klang zu reden ist ja sowieso immer eine Adjektivschlacht. Und wenn man die Beteiligten dieser Saal-Begehung dann doch zu konkreten Aussagen über die Akustik drängt, dann fallen eine ganze Menge Adjektive. Toyota, Gergiev und die Soloklarinettistin der Philharmoniker Alexandra Gruber sagen alle "warm." Dann aber divergiert es schon. Für Gergiev klingt der Saal in keinster Weise kalt oder kühl, für Gruber klingt er klar, aber nicht kalt und Toyota nennt ziemlich schnell wieder das Wort "intim". Das sagt Gruber auch indirekt, als sie von einem "Kammermusikklang im großen Orchester" spricht. Man könne "delikater spielen als im Gasteig", sagt sie, "leiser". Und die dynamische Bandbreite sei größer.

Der Anspruch aller ist die Offenheit - neues, gerne junges Publikum erhofft man sich

Wie es letztlich mit Zuschauern klingt, ob die Balance zwischen Transparenz, Wärme und Gesamtklang gehalten werden kann - denn ein solches Ideal strebt man in dieser ganzen Akustikdiskussion an - wird man hören müssen. Jeder Zuschauer individuell.

Doch dass es trotz Covid-19 und all den Unplanbarkeiten dieser Zeit gelungen ist, den Saal innerhalb des Zeitplans fertigzustellen, ist schon erstaunlich. Gergiev lobt die Politik, die Stadt und den Mut weiterzubauen. Nennt es einen Luxus, diesen Saal nun zu eröffnen, der so nah an einem Fluss stehe, dass man den Fluss plätschern höre. Gasteig-Chef Max Wagner freut sich, dass man die pandemiebedingt konzertlose Zeit zum Bauen nutzte und nun tatsächlich vor vollem Haus spielen werde. Der Anspruch aller ist die Offenheit - neues, vor allem auch gerne junges Publikum erhofft man sich.

Nun lach doch mal: Akustiker Yasuhisa Toyota und Chefdirigent Valery Gergiev beim Baustellen-Selfie. (Foto: N/A)

Aber damit ist man hier nicht alleine. Das ist eine strukturelle und gesamtgesellschaftliche Frage, was solche Kulturtempel für eine Stadt bedeuten und wie sie vor allem zur Bedeutung für mehr als das doch bisweilen recht elitäre Klassik-Klientel werden können. Denn - auch wenn das ein Interim ist, das nun erst einmal für fünf bis sechs Jahre die Philharmonie ersetzen soll - so richtig vorstellen, dass es dann wieder abgerissen werden soll, kann und will man sich das nicht.

Und dann gibt es ja auch noch die andere Konzerthaus-Baustelle im Münchner Osten und vielleicht bald eine neue Philharmonie im Gasteig. Und den alten Herkulessaal. Das wären dann doch ganz schön viele Klassik-Säle. Allein um das zu rechtfertigen, müssen sich auch andere Gesellschaftsschichten und Altersklassen für diese Bauten interessieren und besonders für das, was da in ihnen stattfinden kann. Vielleicht kann man sich dafür etwas von dieser so unkomplizierten, leichten, Interims-Denkweise abschauen. Einfach mal probieren, machen, erlauben. Und von Toyotas Sinn dafür die Grenzen zwischen Metaphysik und Technik fließend werden zu lassen.

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