Architektur:In weiter Ferne, so nah

Das Tokioter Büro Bow-Wow hat einen Steg für die Isar entworfen, der einen mitten in München tief in die Natur entführt.

Von Laura Weißmüller

Architektur: "Bridge Sprout" ist ein Entwurf des Tokioer Architekturbüros Bow-Wow. Die scheinbar unvollendete Brücke, die zusammen mit dem Projektarchitekten Hannes Rössler entstand, wird bis Ende 2021 im Rahmen von Kunst im öffentlichen Raum am Münchner Isarufer stehen.

"Bridge Sprout" ist ein Entwurf des Tokioer Architekturbüros Bow-Wow. Die scheinbar unvollendete Brücke, die zusammen mit dem Projektarchitekten Hannes Rössler entstand, wird bis Ende 2021 im Rahmen von Kunst im öffentlichen Raum am Münchner Isarufer stehen.

(Foto: Hannes Rössler)

Wie ein Fremdkörper schiebt sich die rote Holzrampe auf den Fußgängerweg. Wer mit dem Auto unterwegs ist, rauscht achtlos daran vorbei. Auch die meisten Fahrradfahrer haben nicht die Muße, dafür anzuhalten. Bei den Fußgängern verhält es sich anders. Nach wenigen Schritten befindet man sich auf der scheinbar unvollendeten Brücke, die in der Nähe des Münchner Maximilianeums nur ein paar Meter über die Isar ragt. Die Hauptfunktion einer Brücke - zwei Orte zu verbinden - erfüllt sie nicht. Die Schwindinsel gegenüber liegt weiterhin unerreichbar fern.

Und doch schafft diese Konstruktion aus dicken Fichtenholzstämmen, die das Tokioter Atelier Bow-Wow entwarf und die der Münchner Architekt Hannes Rössler als Projektpartner realisierte, etwas Erstaunliches. Denn steht man dort, fühlt man sich sofort gedanklich an einen anderen Ort gebracht. Als befände man sich in einer Art architektonischem Fernrohr, springt der Blick rüber zur Insel und ihren herbstbunten Bäumen. Geht dann weiter flussaufwärts, wo im Abendlicht die Altstadt-Silhouette aufscheint, als hätte sie William Turner mal eben für einen hingepinselt. Und landet schließlich auf den Isarstufen, in denen sich ganze Baumstämme verfangen haben. Das Rauschen, das man jetzt hört, stammt längst vom Fluss und nicht mehr vom Feierabendverkehr. Die Sinne haben sich auf die Natur eingestellt.

In einem Winter, in dem Städtern als einzige Freizeitaktivität oft das Spazierengehen bleibt, dürfte die sogenannte Bridge Sprout die sinnigste Kunst im öffentlichen Raum sein. Mit minimalen Mitteln wird hier ein Ort umcodiert. Von etwas, an dem man achtlos vorbeiläuft, zu einem Platz, der die Sinne schärft, Rückzugsmöglichkeit im umtosten Stadtverkehr bietet und zu Begegnungen animiert.

Bow-Wow sind Meister in solchen Stadtinterventionen, die das Büro unter "Architectural Behaviorology" subsumiert. Sensibilisiert dafür dürfte die Architekten auch die Tradition des Schreins haben. Auf wenigen Quadratmetern entstehen in Japan rings um einen Schrein Inseln der Ruhe, die oft intime Momente mit der Natur ermöglichen. Womit Japan nicht nur in der Bekämpfung von Covid zum Vorbild taugt, sondern auch darin, wie von Dichtestress geplagte Großstadtseelen halbwegs entspannt durch diesen Winter kommen.

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