Süddeutsche Zeitung

Isabelle Huppert im Interview:"Wie auf einem anderen Planeten"

Lesezeit: 4 min

In "Valley of Love" stehen Isabelle Huppert und Gérard Depardieu gemeinsam vor der Kamera - zum ersten Mal seit 35 Jahren. Die Schauspielerin erzählt, wie es ihr dabei erging.

Interview von Paul Katzenberger

Das kalifornische Death Valley ist einer der heißesten Orte der Erde in einer atemberaubenden Landschaft. Genau dorthin bestellt der verstorbene Sohn Michael seine geschiedenen Eltern in einem Abschiedsbrief, in dem er ihnen eine letzte Begegnung ankündigt. Die Eltern, die sich seit Jahren nicht mehr gesehen haben, erfüllen ihm den posthumen und absurd erscheinenden Wunsch, der sie an diesem spirituellen Ort zusammenbringt.

Für die Darstellung der Eltern gelang es Regisseur Guillaume Nicloux mit Isabelle Huppert und Gérard Depardieu zwei der größten internationalen Stars des französischen Kinos zu engagieren. Auch für die Schauspieler war die Reise nach Kalifornien ein Wiedersehen nach langer Zeit - zuletzt waren sie 1980 in dem Sozialdrama "Der Loulou" gemeinsam aufgetreten.

SZ: Madame Huppert, wenn ich mit einem Wort beschreiben müsste, um was es in "Valley of Love" geht, dann würde ich den Begriff "Akzeptanz" wählen. Wären Sie damit einverstanden?

Isabelle Huppert: Durchaus! Das ist eine von mehreren Möglichkeiten, diesen Film auf den Punkt zu bringen. Es gibt allerdings etliche Lesarten für "Valley of Love". Das Wort "Akzeptanz" bringt vor allem die Perspektive der Eltern zum Ausdruck. Interessant ist für mich aber auch der Blickwinkel des Sohnes, obwohl er die große Leerstelle des Films bildet. Einerseits taucht er nie persönlich auf, andererseits ist er in den Gedanken der Eltern ständig präsent.

Ohne ihn wären die Eltern nicht da, wo sie sind. Er ist derjenige, der im Hintergrund die Strippen zieht. Was wäre das Wort, das Sie auf ihn münzen würden?

Das wäre die Suche nach Liebe. Das Verlangen nach Anerkennung. All die Dinge, die er nicht bekam, als er noch lebte. Er fordert sie nun nach seinem Tod ein. Und das macht ihn auf eine Art wieder lebendig. Diese Vitalität ist der Grund dafür, dass die Eltern glauben, ihm zu begegnen. Der Wunsch, den er ihnen abfordert, ist so mächtig, dass er dadurch tatsächlich wieder gegenwärtig ist. Indem er seine Eltern dazu bringt, wieder zusammen zu sein in dieser verrückten Situation und dieser bizarren Landschaft bringt er alles zusammen, was notwendig ist, damit seine Eltern ihm das glauben, was er ihnen schrieb. Es geht ihm um seine spirituelle Existenz, und er hat Erfolg damit.

Aber glauben die Eltern Michael tatsächlich? Der Zweifel schwingt da doch immer mit - besonders bei Gérard.

Die Schönheit der Begegnung von Gérard und Isabelle besteht darin, dass sie ihm ihren Glauben weiterreichen kann. Am Anfang glaubt er nicht, und sie glaubt. Und am Schluss meint er, den Sohn gesehen zu haben, während ihr das versagt bleibt. Das ist einerseits unfair, denn sie hätte es mit ihrer Zuversicht von Anfang an eher verdient gehabt, den Sohn noch einmal zu sehen. Andererseits ist die Übertragung ihres Glaubens an ihn ein Beleg der Liebe. Indem er ihr Bekenntnis annimmt, bringt er seine Hingabe zum Ausdruck.

Gehört zu dieser Form der Liebe auch der Umgang mit Schuld? Ich denke, sie wissen beide, dass sie ihrem Sohn gegenüber schuldig geworden sind, doch sie halten sich ihre Verfehlungen nicht gegenseitig vor.

Ja, sie akzeptieren beide, dass jeder auf seine Art schuldig geworden ist. Und das ermöglicht ihren friedvollen Umgang miteinander, obwohl sie sehr unterschiedliche Persönlichkeiten sind. Doch das ist jetzt meine Interpretation, die neben vielen weiteren Auslegungsmöglichkeiten steht, die bei diesem Film denkbar sind.

An welche weiteren Deutungsoptionen denken Sie da?

Man könnte auch sagen, dass der Sohn ein großer Manipulator mit einer perversen Persönlichkeit ist. Und die armen Eltern müssen mit ihm zurande kommen, und zwar nicht nur zu seinen Lebzeiten sondern auch, nachdem er tot ist. Wenn man das so betrachtete, käme darin die Härte des Elterndaseins zum Ausdruck. Eltern sind zum permanenten Beistand für ihre Kinder verdammt. Sie müssen sie unterstützen in allen denkbaren Formen - finanziell, geistig und mit ihrer Anteilnahme. Und das möglicherweise über den Tod hinaus. Auch das ist eine denkbare Aussage des Films, zu der man mit ein bisschen Phantasie und Humor kommen kann.

"Valley of Love" ist Ihr zweiter Film mit Regisseur Guillome Nicloux. Zu Ihrer ersten Zusammenarbeit mit ihm kam es vor drei Jahren, als Sie in "Die Nonne" eine lesbische Kloster-Oberin im 18. Jahrhundert spielen. Die zwei Filme sind sehr unterschiedlich. Lag der Reiz für Sie in erster Linie darin, mit Nicloux zu arbeiten? Oder waren doch die Drehbücher ausschlaggebend?

Beides. Ich schätze ihn sehr. Aber auch die Drehbücher und die Rollen, die mir zugedacht waren, haben mich in beiden Fällen überzeugt. In "Die Nonne" war das ja nur eine Nebenrolle, die gleichwohl meine Lieblingsfigur des Filmes ist. Denn dass die Oberin ihre Neigungen und ihre sexuelle Orientierung zu leben versucht, war zu der damaligen Zeit eine unerhörte Extravaganz. In Denis Diderots Roman ( das gleichnamige Buch von 1792, auf dem Nicloux' Film basiert; Anm. d. Red.) wird das als eine solche Verrücktheit dargestellt, dass es schon wieder lustig ist. Sie selber kann es gar nicht glauben, was ihr da widerfährt.

In "Valley of Love" findet sich die Isabelle, die sie spielen, zwar auch in einer verrückten Situation wieder, aber Extravaganz kann man ihr nicht zuschreiben. Wodurch hat der Film Ihr Interesse geweckt?

Mich haben an "Valley of Love" vor allem die Dialoge gereizt. Die vielen Gespräche, die ich mit Gérard Depardieu führen sollte, haben mich inspiriert, weil sie sehr einfach gehalten sind. Doch dadurch bekommen die Dinge zwischen den Zeilen mehr Raum. All die Emotionen und das Ungesagte, das da immer mitschwingt, kommt dadurch erst voll zur Geltung. Die besten Dialoge sind immer mit viel Hintergründigem beladen.

Die Dialoge regen tatsächlich die Phantasie des Zuschauers an. Denn einerseits sind die Figuren, die Sie und Gérard Depardieu darstellen, eindeutig fiktional. Andererseits werden immer wieder Andeutungen gemacht, dass Sie sich möglicherweise selber spielen. Haben Sie zwei zu den Dialogen des Drehbuchs beigetragen?

Nein, überhaupt nicht. Drehbuchautor war Guillaume Nicloux und wir haben kein Wort geändert. Die Verwendung unserer richtigen Namen war ein kleiner Trick Guillaumes, um dem Film auch an diesem Punkt eine geheimnisvolle Hintergründigkeit zu geben.

Wie hat es sich für Sie angefühlt, in einem französischen Film aufzutreten, der in einer Landschaft spielt, die für die USA so charakteristisch ist?

Komischerweise vergisst man im Death Valley leicht, dass man in den USA ist. Das liegt zum einen einfach daran, dass man nicht so vielen Leuten über den Weg läuft. Zum anderen ist die Natur des Death Valley so gewaltig, dass auch die Amerikaner von ihr überwältigt sind. Den Besuchern ist es vielmehr egal, woher sie kommen. Es bilden sich dort oft Solidargemeinschaften, weil alle dort mit der Hitze und der imposanten Landschaft konfrontiert sind. Es ist fast so, als ob man auf einem anderen Planeten gelandet ist.

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