Süddeutsche Zeitung

Isabelle Huppert bei der Berlinale:Preisverleihung ohne Preisträgerin

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Isabelle Huppert wird auf der Berlinale für ihr Lebenswerk geehrt, kommt aber nicht persönlich, weil sie Covid-19 hat.

Von Anke Sterneborg

Isabelle Huppert hat schon etliche Preise bekommen in ihrer Karriere. Zweimal als beste Schauspielerin in Cannes zum Beispiel. Auch in Berlin hat sie bereits einen Bären gewonnen (als Teil des Ensembles von François Ozons "8 Frauen"). Braucht so ein Superstar noch den Goldenen Ehrenbären der Berlinale? Oder ist es doch eher die Berlinale, die sie braucht, die große französische Schauspielerin?

Die Berlinale muss sich in diesem reisefeindlichen Jahr noch mehr als sonst auf die europäischen, besonders die französischen Größen verlassen, unter anderem auf Juliette Binoche und Charlotte Gainsbourg. Aber auch Huppert scheint am Festival zu hängen, am deutschsprachigen Kino sowieso. Sie bewundert Regisseure wie Werner Schroeter und Michael Haneke, als ihre großen Verbündeten, mit denen sie genauso intensiv zusammengearbeitet hat wie sonst nur mit Landsleuten wie Claude Chabrol.

Dummerweise kam Anfang der Woche die Meldung, dass Huppert positiv auf Covid-19 getestet wurde. Ausgerechnet sie, die schon als eine der ersten, noch im ersten Lockdown, wieder zum Präsenzinterview nach Berlin gekommen war. Bei der Verleihung des Goldenen Ehrenbären am Dienstag war sie also nur virtuell zugeschaltet auf der Leinwand im Berlinale-Palast. Ernst, gefasst, als große Aktrice beherrscht sie es, sich zusammenzureißen, die Gefühle zurückzuhalten, nur wohldosiert durchsickern zu lassen. Wie schlimm es sie erwischt hat, ist nicht auszumachen, aber sie fühle sich gerade sehr allein, bekennt sie.

"Ich schaue in deine Augen und sehe Hass, Liebe, Leben und Tod"

Ihr Schauspielkollege Lars Eidinger, mit dem sie in "À propos de Joan" vor der Kamera stand, spielt in seiner Laudatio mit der Absurdität der Preisverleihung ohne Preisträgerin. Das sei genau dieselbe Situation, wie als er Huppert zum ersten Mal gesehen habe. Sie oben auf der Leinwand als "Klavierspielerin", er unten im Kino. Auch wenn er damals nicht mit ihr reden konnte, habe sie doch intensiv zu ihm gesprochen. Eine sehr innige und persönliche Laudatio war das, in der Eidinger aus ihrem Spiel das Wesen des Berufs ableitet, der auch sein eigener ist. "Es sieht so aus, als tätest du nichts, als würdest du nur stillstehen, während zugleich im selben Moment alles liegt, die ganze Bandbreite der Ambivalenz. Ich schaue in deine Augen und sehe Hass, Liebe, Leben und Tod, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Ich sehe Sein und Nichtsein."

Von ihr habe er gelernt, dass es vor der Kamera und auf der Bühne nicht um die Kunst der Lüge gehe, sondern um die absolute Wahrhaftigkeit im Moment: "Das ist es, was dein Spiel so wahrhaftig macht. Statt die Dinge zu erzwingen, lässt du sie geschehen. Darum bist du die Schauspielerin des Moments. So, who's there? It's Huppert."

Es stimmt, die 68-Jährige gehört nicht zu den Chamäleon-Schauspielerinnen, in jeder Rolle bleibt sie zu einem großen Teil sie selbst. Oft hat Isabelle Huppert betont, welches Glück sie am Anfang ihre Karriere hatte, als ihr schon sehr früh existenzielle Rollen anvertraut wurden, die sich aufs Innenleben der Figuren konzentrierten statt auf die äußeren Reize. Von Anfang an hat sie die Extreme der menschlichen Existenz ausgelotet, Lust und Begehren, Einsamkeit und Trauer, Beziehung und Trennung.

Natürlich ist es schön, dass Isabelle Huppert wenigstens zugeschaltet werden konnte, während sie im Berlinale-Palast gefeiert wird. Aber es ist natürlich trotzdem eine Behelfslösung. So wird sie am Ende zwar bejubelt, aber anders als sonst bei solchen Anlässen gibt es keine Standing Ovation. Und auch keine strahlende Preisträgerin, sondern nur das berühmte, gefasste Gesicht, mit dem feinen Zucken um die Mundwinkel, in dem alles liegen kann, von Ironie bis Spott, von Härte bis Herablassung. Ihr neuer Film "À propos de Joan", der anschließend gezeigt wurde, ist ein kleines Best-of Huppert in allen Stimmungslagen. Liebe und Trennung, Glück und Schmerz, Leichtigkeit und Schwere, auf 100 Minuten Film komprimiert. Und wieder darf man als Zuschauer all die Widersprüche sortieren.

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