Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Irm Hermann:Eine Unbürgerliche durch und durch

Lange haftete Irm Hermann der Ruf an, Rainer Werner Fassbinders Geschöpf zu sein. Dabei beeinflusste sie ihn umgekehrt genauso - und verstand es dann, sich von ihm freizuspielen.

Von Christine Dössel

Man kann sich Irm Hermanns Ausbruch aus der Bürgerlichkeit wie eine Szene aus einer Filmkomödie vorstellen. Da sitzt also eine brave blonde Verlagssekretärin jeden Tag im Büro und sehnt den Feierabend herbei, um ihn mit dem jungen Mann zu verbringen, der sie täglich abholt und unten schon rauchend auf sie wartet. Ein leidenschaftlicher Künstlertyp mit dem unbedingten Willen, Filme zu machen, zweieinhalb Jahre jünger als sie, von ihr beschrieben als "höflich, schüchtern und zurückhaltend", ein Mensch mit "unglaublich starker Ausstrahlung". Sie sehen sich jeden Tag, gehen in den Park, ins Kino, reden über Filme, spielen Flipper, erleben eine "gegenseitige Faszination", ein "gemeinsames Feuer". Man nennt es landläufig Liebe. Und weil er findet, dass sie keine Sekretärin, sondern seine Komplizin sein sollte, geht der aufstrebende Jungfilmer eines Tages zu ihrem Chef und sagt: "Die kommt jetzt nicht mehr."

Und so war es dann auch: Irm Hermann verließ den Münchner ADAC und stürzte sich an der Seite von Rainer Werner Fassbinder hinein ins Chaos und Glück und manchmal auch Elend der Kunst. Als erste Muse, Lebenspartnerin und Fast-Ehefrau Fassbinders, als "Mädchen für alles" und Kernmitglied seiner legendären Schauspielerfamilie erlebte sie sehr viele Ups and Downs, das ging von den kreativen Wonnen in der gemeinsamen Wohnung in der Münchner Ainmillerstraße über schwere Demütigungen und Eifersuchtsanfälle bis hin zu Selbstmorddrohungen und -versuchen. Sie ist damals, in den wilden Jahren zwischen 1965 und 1975, aber auch zu jener unverwechselbaren, frappanten Schauspielerin herangewachsen, als die sie bis ins Alter geschätzt und besetzt wurde.

Lange haftete Irm Hermann der Ruf an, nur Fassbinders Geschöpf zu sein.

Eine Schauspielausbildung hat Irm Hermann nie absolviert. Geboren am 4. Oktober 1942 in München als jüngstes von fünf Kindern, machte sie eine Lehre als Verlagskauffrau, war auch mal Au-pair in Paris und arbeitete dann wie gesagt im Büro. Über eine Freundin traf sie 1965 bei einer privaten Lesung und wenig später bei einem Dramatikerwettbewerb auf Rainer Werner Fassbinder, der sie gleich in seinem ersten Kurzfilm "Der Stadtstreicher" vor die Kamera stellte, bevor er sie ganz und gar weg vom Schreibtisch in seine Fänge holte. Sie spielte in Fassbinders erster Inszenierung im Münchner Action-Theater, den "Verbrechern" von Ferdinand Bruckner, und in anderen Stücken mit, setzte sich eine Zeit lang auch als Schauspielagentin für Fassbinder ein und arbeitete mit ihm nach der Schließung des Action-Theaters am und im 1968 gegründeten "antiteater", wo sie mit Peer Raben, Hanna Schygulla, Kurt Raab und Harry Baer zur Stammtruppe gehörte und auch hinter den Kulissen etliche Jobs erledigte.

Irm Hermann sei die einzige gewesen, die er gezwungen habe, Schauspielerin zu werden, sagte Fassbinder einmal. In 19 seiner Filme, beginnend mit "Liebe ist kälter als der Tod" (1969), verkörperte sie markante Frauenrollen, die der früh schon als Genius auftrumpfende Meister ihr auf den dünnen Leib geschrieben hatte, oft nur Minirollen, die aus der deutschen Filmgeschichte aber nicht mehr wegzudenken sind. Etwa ihre devote, nahezu stumm die Façon wahrende Marlene, die sich in "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" (1972) von der Grande Dame Margit Carstensen in formvollendetem Masochismus wie eine Sklavin behandeln lässt. Bis sie am Ende wortlos geht. Oder die piefige Tochter der in einen Gastarbeiter verliebten Brigitte Mira, die sie in "Angst essen Seele auf" (1973) gibt: eine auftoupierte, kleinherzige, sich wohlstandssatt ins Eheleben mit einem raunzenden Macho (Fassbinder) fügende Spießerin.

Lange haftete Irm Hermann der Ruf an, Fassbinders Geschöpf zu sein. Ein Ruf, den ihre oft unterwürfigen Frauenfiguren und ihr statuarisches Spiel beförderten. Und gegen den sie auch gar nicht ankämpfte. "Fassbinder war für mich die Schule des Lebens wie auch des Schauspielens", sagte sie in Interviews. "Er hat mich abgeschliffen wie einen Kieselstein." Als "totaler Laie" habe sie sich in das "hineinbegeben oder gezwängt", was RWF in ihr sah. Es sei immer eine Zitterpartie gewesen, bei jeder Rolle, auch später habe sie nie die Angst abgelegt, es eigentlich nicht zu können.

Wie ungemein wichtig und prägend sie umgekehrt für Fassbinders Selbstfindung als Regisseur und seine frühe Filmarbeit war, scheint ihr selber gar nicht so bewusst gewesen zu sein. Die Schauspielkollegin und Rivalin Ingrid Caven, die sich den von Männern wie Frauen heftig begehrten, beiderlei Geschlechtern zugeneigten RWF als Ehemann schnappte, sagt in dem Gesprächsband "Das ganz normale Chaos" von Juliane Lorenz (auch sie eine Lebensgefährtin Fassbinders): "Vieles, was Rainer damals geschrieben hat, war stark beeinflusst von Irm Hermann, von ihrer Art zu reden, sich zu bewegen, ihrem etwas hysterischen, sehr kühlen, pointierten Stil. Auch von Hanna (Schygulla), die das genaue Gegenteil von Irm Hermann war." Fassbinders Rollenbesetzungen, sagt Caven, seien immer perfekt gewesen. "Und dann hat er aus den Schauspielern Marionetten gemacht. Man musste bei ihm akzeptieren, zu einer Art Puppe zu werden."

Gerade das puppenhaft Starre an ihrem Spiel, diese ausgestellte Bewegungslosigkeit, begleitet oft von einem maliziösen Lächeln, wurde zu Irm Hermanns Markenzeichen. Dazu ihre explizite Art des Sprechens (mit bayerischem Einschlag), die sich wie eine Kunstsprache anhört. Waren ihre Rollen auch noch so klein - diese Frau mit dem ungerührten Gesicht prägte sich einem ein. Nur einmal, in dem Film "Händler der vier Jahreszeiten", entstanden 1971, hatte sie bei Fassbinder eine Hauptrolle: Irmgard Epp. Wieder eine kleinbürgerliche Ehefrau. Eine, die ihre Unzufriedenheit und ihren Frust in einer speziellen Art von Gehässigkeit kompensiert. Wie grandios schmallippig Irm Hermann das spielt, wie abgefeimt bis in psychologische Nuancen, wie freizügig in den Sexszenen, ist außerordentlich und brachte ihr den Bundesfilmpreis ein.

Später wurde das Enfant terrible Christoph Schlingensief ein wichtiger Regisseur für sie

Die Loslösung von Fassbinder schaffte sie 1975 mit dem richtigen Mann an ihrer Seite, dem Kinderbuchautor Dietmar Roberg, mit dem sie nach Berlin zog und zwei Söhne bekam. Zwar arbeitete sie 1976 am Hamburger Schauspielhaus noch einmal mit RWF, in dem Stück "Frauen in New York", und spielte 1980 bei ihm in "Berlin Alexanderplatz" und "Lili Marleen". Aber sie war nun eine Schauspielerin, die sich emanzipiert und freigespielt hatte. Sie drehte mit anderen Regisseuren wie Hans W. Geißendörfer, Reinhard Hauff, Werner Herzog, Karin Brandauer. Für ihre Rolle als Mitgefangene von Sophie Scholl in Percy Adlons "Fünf letzte Tage" erhielt sie 1983 den Deutschen Filmpreis.

Ein wichtiger Regisseur wurde für sie das Enfant terrible Christoph Schlingensief, in dessen Filmen "Das deutsche Kettensägenmassaker" und "Die 120 Tage von Bottrop" sie Anfang der Neunzigerjahre bereits mitwirkte, bevor sie später in seinen kunstwuchernden, damals umstrittenen Inszenierungen auftrat. Hermann dockte mit ihm an Frank Castorfs Berliner Volksbühne an, noch immer auf der Suche nach einer Kunst jenseits des Mainstreams. Ihre brave Hausfrauen-Aura, die sie zeitlebens zu zelebrieren verstand, stand in krassem Widerspruch zu den Abgründen, in die ihr sprödes, kühles Spiel lächelnd führte. Das hatte stets auch eine hinterfotzige Komik, wie geschaffen für die Inszenierungen von Christoph Marthaler. Was für eine durchtriebene Frau Amtsgerichtsrat sie 2012 bei ihm war in Horváths "Glaube Liebe Hoffnung"! Und gemeinsam mit der Marthaler-Truppe nahm sie 2016 einen umjubelten Abschied von der Volksbühne in dem Abend "Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter".

Irm Hermann bewegte sich als Schauspielerin gekonnt auf der Kippe vom Biederen zum Schrägen, Schrillen, Absonderlichen, durchaus auch Gemeingefährlichen. Die eigentümliche Komik, die allein schon in ihrer hohen Stimme lag, setzte sie auch bei Loriot, Hape Kerkeling und zuletzt in "Fack ju Göhte 3" ein. Am Dienstag ist sie im Alter von 77 Jahren in Berlin gestorben. Eine aus dem Bürgerlichen Befreite, eine Abenteuerin der Kunst.

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SZ vom 29.05.2020/luch
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