Iris Hanika: "Treffen sich zwei":Liebe! Schreck lass nach!

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Verrückt, verrenkt, ernsthaft und ironisch: Iris Hanikas Großstadtmärchen "Treffen sich zwei" geht gut aus und stärkt den Wunderglauben.

Von Jörg Drews

Eigentlich beginnt dieses Buch auf der Rückseite eines anderen Buches. Iris Hanika ließ nämlich den Satz "Oder es kommt einmal einer" auf die hintere Umschlagseite ihres letzten Werks "Musik für Flughäfen" setzen, also schon außerhalb des Textes, als ob der Satz der Absprung sei ins nächste Buch. Ob sie da schon etwas ahnte oder plante? Diesem Flughafen-Büchlein selbst, einer Serie von "failed loves", können wir jetzt nicht weiter nachgehen, obwohl es sehr komisch ist: Da "kommen" nämlich "viele", aber das ergibt dann eben nur eine krause Serie von One-night-stands, Enttäuschungen, Peinlichkeiten und raschem Gehen.

Denn nun gibt es etwas Wundersameres und Wichtigeres zu berichten. Es treffen sich zwei, wie der Titel richtig sagt, aber das ergibt nicht nur eine Girlande von Skizzen, Fragmenten, Kurzprosa-Seufzern und den Ansatz zu einer Erzählung von einer bis zwanzig Seiten, die immer mit einer Trennung, einem Sich-nicht-Vertragen endet.

Dieses Treffen von zwei Menschenkindern, die dann sage und schreibe ganz rührende "Liebesleut'" werden, hat vielmehr 238 Seiten zur Folge, vom Verlassen des Tresens in einer lauen Sommernacht in Berlin (und ab ins Bett!) bis zu jenem Moment im September, als die ein bisschen durcheinandrige Senta leise heulend vor ihrem Thomas steht und er sagt: "Wir kriegen das schon hin." Und also bleiben sie wohl beisammen.

Das meldenswerte Kunststück ist dabei nun erstens, dass dieser Satz wirkt wie das wunderbarste Glücksversprechen, obwohl er doch als Satz irgendwie medioker ist. Aber der tränendurchnässte Liebeswirrwarr der etwas orientierungslosen - und, das wäre die ernsthafte Diagnose: - bindungsscheuen bis bindungsunfähigen, auch nicht mehr ganz jungen Senta ist so groß, dass sie, sobald sie ahnt, dass da der volle Ernst einer Bindung, also eine dauerhafte "Liebe" - Schreck lass nach! - droht, noch verrenkter und verrückter wird.

Dieser Thomas mit den schönen, offenbar leicht schielenden Augen - also, diese Augen? Ist das nicht albern? Aber intensiv. Also: Diese Augen! - , wenn er dieselben beziehungsweise seinen Blick in sie senkt, dann fährt ihr der panischste und wohligste Schrecken durch die Glieder: Der könnte IHR SCHICKSAL sein (man muss das wirklich groß schreiben, um den ganzen Drive der Sache, das beinahe Metaphysische dieser Erfahrung anzudeuten; Senta denkt das geradezu in Großbuchstaben)!

Und man kann ja auch verstehen, dass ihr diese Überraschung das Herz zusammenkrampft und ihr Kopf wie irre arbeiten muss, um das überhaupt mal zu denken: Sie liest die französischen Theoretiker rauf und runter, und er - ist Systemberater! Hat man so was Fremdartiges schon mal gehört? Was ist denn das überhaupt, "Systemberater"? Wie kann man denken, dass diese zwei zusammenpassen?

Kleinmädchenhaft süße Stimme

Tun sie ja zunächst zwar, aber irgendwie auch nicht, sowohl gedanklich wie auch, in gewissem Sinn, körperlich. Keine Details hier, das wird sich schon richten, so kann man sich mal missverstehen, und das Tolle ist, dass sie in Andeutungen darüber reden können, und dann verstehen sie sogar, was sie vorher nicht verstanden; man muss manchmal halt nur den Mund aufmachen.

Das Kunststück ist nun zweitens aber, dass diese Liebesgeschichte eine ganz ernsthafte und doch zugleich ironische Sprache hat. Die Liebe wird hier nicht weggehöhnt, sondern ihr wird mit Leichtigkeit Tribut gezollt. Keinen Augenblick glauben die beiden so ganz richtig an die "große Liebe", nur eben: sie sind mitten drin und leben dieses Gefühl.

Und sie - denn meist wird von der Ecke, dem Auge, dem Hirn der lieben Senta aus gedacht und erzählt - fühlt und redet (meistens mit sich selbst, obwohl es da auch die schlappmaulige, lebenserfahrene Freundin gibt) so ein bisschen girliemäßig, unkräftig, flatterhaft, denn zu "frauenhaft", also verantwortungsvoll, gereift oder so ähnlich langt es bei ihr gar nicht. Man glaubt die ganze Zeit, eine kleinmädchenhaft süße Stimme zu hören.

So taumeln und stolpern die beiden aufeinander zu und ineinander, und glaubten wir noch an Wunder und hemmungslose Emphase, müssten wir sagen: "Oh, welch ein Glück! Ein Großstadtmärchen! Es gibt doch noch Wunder!" Und das Mirakel begibt sich so strahlend, dass man eine Weile jene rationalen Zweifel vergisst, die einen doch befallen müssen, wenn man in einem nüchternen Moment daran denkt, dass fünfzig Prozent aller Ehen in dem geschilderten Milieu scheitern, Punkt, Aus, Basta, schauen wir der Wahrheit ins Auge.

Aber das ist eben nicht alles in der Welt. Nein, da wird vom rührenden Glück zweier Tölpel erzählt, durchaus heutiger Tölpel in durchaus heftig-heutiger Sprache - na ja, wie die Leute halt in Berlin so reden, und dann wird auch wieder ganz albern-schwebend erzählt von Momenten, in denen die beiden lächelnd und zart einverstanden sind damit, in der Welt zu sein, in diesem Moment, in dieser Stadt, und das Tolle ist, dass man tief bewegt mit den beiden sympathisiert und denkt: So geht es manchmal auch, ja, doch, solche Erfahrungen gelungenen Lebens kann man bisweilen schon machen. Und endlich kann ich mich mal lesend mit einer geglückten Liebe amüsieren, und zwar nicht unter meinem Niveau. Das hat mit ihrer Prosa die Iris Hanika getan.

Iris Hanika: "Treffen sich zwei." Roman. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2007. 238 Seiten, 19 Euro.

© SZ vom 11.03.2008/ehr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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