Irene Dische: "Die militante Madonna":Unter diversen Röcken

ActiveMuseum_0003771 jpg The Chevalier d Eon Charles Genevieve Louis Auguste Andre Timothee d Eon

Charles-Geneviève-Louis-Auguste-André-Timothée d'Éon de Beaumont, 1728 in Frankreich geboren, starb 1810 in London.

(Foto: imago/Le Pictorium)

Irene Dische erzählt vom genderfluiden Chevalier d'Éon de Beaumont und bedeutet uns, dass wir nicht in der ersten Epoche leben, die mit dem Geschlecht kreativ umgeht. Tut das denn not?

Von Hanna Engelmeier

Nur wenige Klicks braucht es, um Bilder des Chevalier d'Éon de Beaumont zu finden, die ihn in einem Fechtkampf zeigen, gewandet in zeitgenössische Frauenkleider mit Schnürbrust und unpraktischem Kopfschleier. Auf einem Gemälde trägt er oder sie einen prächtigen Kopfschmuck aus Federn und Schleifen, dazu Spitzenkragen und Orden. Die Menge an leicht verfügbaren Quellen zeigt schon, dass es sich bei der Geschichte des genderfluiden Edelmanns und der Spionin von Gnaden des Königs Louis XV. um eine gut dokumentierte Quelle handelt, die für alle von Interesse sein dürfte, die sich mit Traditionen gesellschaftlich nonkonformer Geschlechterrepräsentation beschäftigen.

Hier setzt Irene Disches von Ulrich Blumenbach übersetzter Roman "Die militante Madonna" ein, der das Leben Éons zum Anlass nimmt, all jenen heimzuleuchten, die sich gendertheoretisch angeblich in ihrem "bauchnabelbeschaulichen Jahrhundert" eingemuckelt haben und glauben, das Konzept des Wechsels zwischen sozialen und geschlechtlichen Rollen erfunden zu haben. Höflich siezt der Erzähler sein Publikum, und nach Lektüre des Buches möchte man es auch dabei belassen. Es bleibt bis zuletzt unklar, wer sich von diesen Ansprachen denn eigentlich gemeint fühlen soll, denn es ist gerade ein Kennzeichen sowohl der Forschung zu als auch des populären Diskurses über Geschlechtsidentität, auf historische Herkünfte von Drag, Transsexualität oder Intergeschlechtlichkeit hinzuweisen, um den eigenen Argumenten und Fantasien eine solide Basis zu geben.

Vielleicht liegt es ja an dem Abstand zur Gegenwart, den der im Jahr 1810 verstorbene Chevalier naturgemäß auch als Geisterstimme dieses Romans einnehmen muss, dass er sich in seiner Grundannahme so irrt und fröhlich auftrumpfend seine Biografie chronologisch heruntererzählt: Vom vorläufigen Botschafter am Hofe des englischen Königs James wird Éon Spion in London, wo bald die gesamte Gesellschaft darüber rätselt, welchem Geschlecht er denn nun zuzuordnen sei. Er macht sich lieb Kind bei verschiedenen Gönnerinnen und Gönnern, profitiert von deren unstillbarer Neugier, welche Art von Genital sich unter seinen Röcken befindet, und freundet sich mit einem "Gossenjournalisten" namens Morande sowie mit dem Spion und späteren Mozart-Librettisten Beaumarchais an.

CHEVALIER D EON Personnage mi homme, mi femme, representation de Charles de Beaumont, chevalier d Eon (1728-1810). Illus

Zeitgenössische Darstellung des Chevalier: "halb Mann, halb Frau".

(Foto: 18eme siecle/imago)

Besuche in "Freudenhäusern" finden statt, von denen vor allem zu erfahren ist, dass sie zu vielfach erwähnten Schwären im Mundraum führen und zu literarischer Produktion, mit der diese Ereignisse verarbeitet werden. Wie diese klingen könnte, ist andernorts nachzulesen. Das Trio Beaumarchais, Morande und Éon intrigiert nur wenig gegeneinander und viel gegen andere, zu einer Schicksalsgemeinschaft schließen sie sich aus Geschäftssinn zusammen: In den gerade unabhängig werdenden nordamerikanischen Kolonien wollen sie sich am Handel mit Tabak und Sklaven bereichern. In wenigen Sätzen berichtet Éon, wie ein mit Tabak befrachtetes Schiff entführt, dann aber "durch gewiefte Bestechung und mit Unterstützung durch Morandes unendlich versöhnlichen Vater zurückgewonnen wird".

Hochinteressant wäre es gewesen, die Winkelzüge genauer nachlesen zu können, mit denen die Leute dabei operieren, aber an dieser wie an vielen anderen Stellen geht Dische mit leichter Hand über all das hinweg, was vermutlich nur dann in seiner ganzen Tiefe zu schildern ist, wenn man die Originalquellen dieser Geschichte und nicht lediglich die vorhandenen Biografien zu Éon studiert hat. Wie schreibt man denn einen Bestechungsbrief um 1800? Wie reden Personen in einem Prozess zur Feststellung biologischen Geschlechts um 1775? Bei Dische kommen "Gutmenschen" vor, und Frauen, die Éon trifft, sind "ganz in Mauvetönen" gekleidet. Der Gutmensch ist aber eine Sozialfigur des späten 20. Jahrhunderts und die Farbe Mauve wurde 1856 erstmals synthetisiert und in den 1860er-Jahren modisch. Éon war da schon knapp 50 Jahre tot.

Irene Dische: "Die militante Madonna": Irene Dische: Die militante Madonna. Roman. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Hoffmann & Campe, Hamburg 2021. 224 Seiten, 22 Euro.

Irene Dische: Die militante Madonna. Roman. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Hoffmann & Campe, Hamburg 2021. 224 Seiten, 22 Euro.

Solche sorglose Gegenwärtigkeit der Figurenrede zieht sich durch den Roman, immer im Dienste eines quasi historisch erigierten Zeigefingers: "In Ihrer Zeit sind alle Zähne gleich, und die Schminke wird mit einem Chirurgenmesser aufgetragen. Wenn Sie Ihr Los als Mann oder Frau nicht hinnehmen, schneiden Sie eben etwas ab oder nähen etwas dran. Alle Subtilität wird verbannt. Alle zarten oder strudelnden Unterströmungen werden ignoriert. Und das nennen Sie ,Fortschritt'! Sie tun mir leid." Recht herzlichen Dank, aber es geht uns gut.

Noch besser ginge es, wenn so eine Figur wie Éon nicht als Vollstreckerin eines ideologischen Programms auftreten müsste, dessen Parameter die von 2021 und nicht die des endenden 18. Jahrhunderts sind. Im letzten Teil des Romans lebt Éon wieder als elegante Dame in Paris. Als solche setzt sie Waffenschiebereien und Intrigen mit Beaumarchais fort. Mehr oder weniger aus Langeweile gründet sie eine Armee aus Frauen, die sich in Amerika der Armee von George Washington anschließen soll.

Nur rund 15 Seiten später hat sich wiederum durch allerlei Intrigen dieser Plan zerschlagen, und hurtig huscht die Geschichte dem Ende Éons entgegen, das letztlich auch enthüllt, dass es sich um einen "normalen Mann" handelt, "mein Geschlecht vom Alter verschrumpelt, aber nicht vom mangelnden Gebrauch, denn es hatte mir in meiner zweiten Lebenshälfte viel Lust bereitet". Es bleibt zu vermuten, dass sich die Madame Chevalier gegen das Vereindeutigungsbegehren, das Disches Roman durchdringt, mindestens mit dem Florett gewehrt hätte.

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