Reaktionen auf die Proteste in Iran:Warum die Iran-Debatte immer toxischer wird

Lesezeit: 4 min

"Das Potenzial der Diaspora ist und bleibt gewaltig": Iranerinnen und Iraner protestieren in Berlin. (Foto: Jochen Eckel/IMAGO)

Geprägt von reißerischen Tönen und persönlichen Angriffen, läuft die Iran-Debatte in Deutschland schief. Was sich ändern muss. Ein Plädoyer.

Gastbeitrag von Azadeh Zamirirad

Die iranische Diaspora ist in Aufruhr. Nicht nur wegen der Geschehnisse auf den Straßen der alten Heimat, sondern zunehmend wegen der Frage, wie man sich zu diesen verhalten soll: Vielerorts kommt es zu Diffamierungen, Hetzkampagnen und sogar Todesdrohungen durch radikalisierte Kräfte, die vom unmittelbar bevorstehenden Sturz des Systems überzeugt und für die selbst geringfügig abweichende Meinungen untragbar sind. Wer ins Visier gerät, wird dem größten denkbaren Affront ausgesetzt - nämlich dem Vorwurf, Apologet oder Agent der Islamischen Republik zu sein.

Der Unterstellungsreflex entspringt einer tief sitzenden Verunsicherung und ist dem langen Arm des iranischen Sicherheitsapparates geschuldet, der auch bis zu uns nach Deutschland reicht: Unvergessen bleibt das Mykonos-Attentat von 1992, als im Auftrag des iranischen Geheimdienstes in einem Berliner Restaurant drei kurdische Oppositionsführer und ihr Dolmetscher erschossen wurden. Bis heute sind Anschläge und Entführungen außenpolitische Praxis der Islamischen Republik, die erfolgreich ein Klima der Angst und des Misstrauens geschaffen hat. Sie ist es auch, die am meisten von einer gespaltenen Diaspora profitiert. Und so ist auch davon auszugehen, dass Diskreditierungen und Drohgebärden zumindest in Teilen von Teheran selbst orchestriert sind. Die Aggressivität in der Auseinandersetzung ist längst auch in Deutschland angekommen, wo die Debatte vielfach von reißerischen Tönen und persönlichen Angriffen etwa auf Twitter geprägt ist.

SZ PlusProteste in Iran
:"Dieses System ist versteinert. Wenn der Druck steigt, zerspringt es"

Ein Blick aus dem Exil: Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi musste Iran 2009 verlassen - und sieht in den Demonstrationen den Beginn einer Revolution.

Interview von Moritz Baumstieger

Dies sollte jedoch nicht dazu verleiten, die Diaspora in Gänze als undemokratisch zu brandmarken. Genauso wenig sollte man ihr reines Wunschdenken unterstellen, weil der Mut der Landsleute in der Heimat sie derart optimistisch stimmt: Es ist kein Luftschloss, wenn viele Iranerinnen und Iraner derzeit von einer Revolution reden, auch wenn die Bezeichnung verfrüht erscheint. Tatsächlich spricht viel für einen revolutionären Charakter der Proteste, die seit nunmehr zwei Monaten anhalten.

Zum ersten Mal steht ein breiter Querschnitt der iranischen Gesellschaft gemeinsam auf der Straße - jenseits von demografischen oder ethnischen Grenzen und dies schichtübergreifend. Obwohl es sich keineswegs um eine homogene Masse handelt, ist eine bemerkenswerte Solidargemeinschaft abseits der üblichen Trennlinien entstanden. Im Gegensatz zu früher geht es dabei nicht um partielle Anliegen oder schrittweise Reformen.

Die Forderungen der Diaspora in Deutschland erinnern an die Trump-Regierung

Die Proteste sind eine unmissverständliche Kampfansage an das System: Ziel ist die Abschaffung der bestehenden Ordnung und damit das Ende der Islamischen Republik. Was die Proteste jedoch besonders auszeichnet, ist, dass sie nicht allein einen Sturz des Systems im Blick haben, sondern bereits Ideen für die Schaffung einer neuen Ordnung entwickeln. Von den Kantinen der Universität bis zum iranischen Küchentisch, überall werden die neuesten Entwicklungen diskutiert, Strategien entwickelt und Manifeste mit konkreten Visionen produziert. Das Selbstverständnis spiegelt sich dabei in der zentralen feministischen Parole der Proteste wider: "Frau, Leben, Freiheit". Damit ist auch erstmals ein kollektives Leitmotiv entstanden, das weit tragen kann.

Doch eine Transformation des Staates ist ein langer, beschwerlicher Weg - und ein Erfolg keineswegs sicher. Zu einer ehrlichen und offenen Debatte über Iran gehört auch, unliebsame Szenarien nicht als angstschürende Regimepropaganda abzutun, wie es in diesen Tagen häufig geschieht. Ein iranischer Bürgerkrieg ist ebenso wenig auszuschließen wie ein Putsch durch die paramilitärischen Revolutionsgarden. Anzeichen für einen möglichen Staatsstreich, der in eine Militärdiktatur mündet, gibt es schon lange. Derartige Gefahren in der hiesigen Debatte zu ignorieren wäre töricht .

Azadeh Zamirirad, ist Iran-Analystin und Stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. (Foto: SWP)

Diese ist bislang jedoch in einem bemerkenswerten Ausmaß von neokonservativen Denkmustern aus den USA geprägt, die weitgehend unhinterfragt übernommen werden. Viele Forderungen aus der iranischen Diaspora in Deutschland entsprechen Maßnahmen der Trump-Administration, darunter die Aufkündigung des Atomabkommens, die Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation oder flächendeckende Sanktionen.

Dabei hat eben jene Politik unter Trump nicht nur negative Auswirkungen des drakonischen Sanktionspakets auf die iranische Bevölkerung billigend in Kauf genommen, sondern auch dazu beigetragen, dass die Islamische Republik heute näher an einer Atombombe ist als je zuvor. Verhandlungen mit Iran abzulehnen, entbindet nicht von der Notwendigkeit, darüber nachzudenken, wie iranische Nuklearwaffen effektiv verhindert werden sollen. Teile der Diaspora scheinen darauf zu setzen, dass sich das Problem von alleine löst. Doch das erfordert das Eintreten eines sehr spezifischen mehrstufigen Szenarios, in dem das System stürzt, eine Transition gelingt und das iranische Atomprogramm einer vollständigen demokratischen Kontrolle unterworfen ist.

Tausende Demonstranten wurden verhaftet, es drohen Massenhinrichtungen

Sollte dies aber nicht in den kommenden Monaten eintreten, ist die Islamische Republik auf direktem Weg zu einem nuklearen Schwellenstaat. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit von militärischen Angriffen auf iranische Nuklearanlagen etwa durch Israel, die ihrerseits mit dem Risiko von iranischen Vergeltungsschlägen und einer größeren regionalen Eskalation einhergehen. Deutsche Politik muss sich davon nicht abschrecken lassen, doch sie muss mögliche Folgen einkalkulieren. Militärschläge werden Irans Atomprogramm indes nicht aufhalten, bestenfalls verzögern können.

Auch die Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation ist heikler, als es zunächst scheint . In der EU sind die rechtlichen Hürden dafür, das Militär eines Staates als Terrororganisation einzustufen, ungleich höher als in Nordamerika. Eine sorgfältige juristische Prüfung ist notwendig, um am Ende nicht vor einem europäischen Gericht zu scheitern und damit der Islamischen Republik zu einem PR-Sieg zu verhelfen. Zu all diesen Themen ist eine substanzielle und ergebnisoffene Diskussion lohnenswert. Doch eine solche wird von Teilen der Diaspora behindert, die allzu oft behaupten, im Namen der iranischen Bevölkerung zu sprechen. Abgesehen vom klar gezeigten Willen zu einem Systemwechsel unter den Demonstrierenden ist aber keinerlei gesellschaftlicher Konsens gewiss. Bislang können bestenfalls die Forderungen von Einzelnen im Land abgebildet werden, die sich in ihren Vorstellungen von geeigneten Maßnahmen jedoch drastisch unterscheiden können.

quoted. der medienpodcast
:Aufstand in Iran: Wie die Medien berichten

Wie deutsche Medien die Proteste in Iran schildern und wie das bei der iranischen Community in Deutschland ankommt, behandelt eine neue Folge von "quoted. der medienpodcast". Zu Gast: WDR-Journalistin Isabel Schayani.

Von Nadia Zaboura und Nils Minkmar

Das sollte europäische Akteure nicht davon abhalten, Unterstützung zu leisten. Das am Montag verabschiedete zweite Sanktionspaket der EU, mit dem Menschenrechtsverletzungen in Iran geahndet werden, und die für Mitte November geplante Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrates sind wichtige Schritte. Zielgerichtete Sanktionen, die vor allem staatliche Akteure und nicht die breite Bevölkerung treffen, sind begrüßenswert. Für politische Gefangene ist nun besondere Aufmerksamkeit gefragt. Im Zuge der Proteste wurden mehr als 15 000 Personen verhaftet. Ihnen drohen Folter, Scheinverfahren und letztlich die Todesstrafe. Im schlimmsten Fall kommt es wie schon während der berüchtigten Hinrichtungswelle von 1988 zu Massenexekutionen.

Für jede einzelne Person, der die Todesstrafe unmittelbar bevorsteht, braucht es gezielte Aufmerksamkeitskampagnen und direkten Einsatz europäischer Staaten. Die iranische Diaspora ist ein integraler Bestandteil dieser Bemühungen. Im Austausch mit Menschen in Iran sammelt sie mit großem Eifer Informationen über Inhaftierte, erstellt Namenslisten, dokumentiert Verbrechen und stellt Beweismaterial sicher. Sie organisiert Kundgebungen und verschafft der iranischen Bevölkerung international Gehör.

Sie könnte auch in anderen Bereichen noch mehr tun, wenn US-Sanktionen nicht im Weg stehen würden. Partielle Sanktionsaussetzungen im Bankenwesen würden es Millionen Iranerinnen und Iranern im Ausland ermöglichen, ihre Angehörigen finanziell zu unterstützen. So könnten informelle Streikfonds gebildet werden, damit iranische Bürger auch über Monate hinweg ihre Arbeit niederlegen und damit die gesellschaftliche Gegenwehr verstärken können. Das Potenzial der Diaspora ist und bleibt gewaltig. Statt sich selbst zu zersetzen, sollte sie endlich ihre Kräfte bündeln.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungProteste in Iran
:Bitte kein Verständnis

Trotz der Brutalität des iranischen Regimes zeigen sie sich wieder: die Mullah-Versteher. Doch ein Land kann nicht stabil sein, wenn der Großteil der Bevölkerung gegen die Führung ist. Vorsicht vor denjenigen, die etwas anderes behaupten.

Gastbeitrag von Gilda Sahebi

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: