Irak-Krieg: Todenhöfer schreibt:"Man kann Völker nicht ständig demütigen"

Der Westen sei unfair zur muslimischen Welt - und solle seine Kampftruppen zurückziehen. Das schreibt der Medienmanager und Ex-Unionspolitiker Jürgen Todenhöfer in seinem neuen Buch. Er hat im Irak Widerstandskämpfer interviewt.

Von Hans-Jürgen Jakobs

Es ist eine alte Erkenntnis, dass im Krieg die Wahrheit als Erstes stirbt. Dass die Propaganda-Maschinen der kriegführenden Nationen allerlei gewünschte Geschichten produzieren, die ihren Niederschlag in der - natürlich - unabhängigen Presse finden. Das ist im Irak nicht anders, dem neuen Vietnam der Vereinigten Staaten von Amerika.

Die wahren Verhältnisse dort zu beschreiben, die systematischen Lügen aufzudecken, und überhaupt das verschobene Verhältnis des Westens zu islamischen Ländern zurechtzurücken, ist eine große Aufgabe. Darüber hat Jürgen Todenhöfer nun ein provokantes Buch geschrieben, der einstige Verteidigungsexperte und Entwicklungshilfepolitiker der CDU, der seit mehr als zwei Jahrzehnten der zweite Mann hinter dem Münchner Verleger Hubert Burda ist. Jener Todenhöfer also, der 1980 auf geheimen Wegen über den Hindukusch nach Afghanistan zu den Mudschahedin gereist war und das Land gegen die sowjetischen Besatzungstruppen unterstützte.

Nun ist er - mit offiziellen Visa - über Syrien in den Irak gefahren, in die Zone des Mordens und der faktischen Anarchie. Fünf Tage hielt er sich, ohne offizielle Begleiter, dank eines Verbindungsmannes im Ort Ramadi auf und hat sich dort einige Widerstandskämpfer vorführen lassen, die gegen die Amerikaner und die irakischen Ordnungskräfte streiten. Sie reden - unter falschen Namen - von ihren Motiven und Handlungen. Ja, sogar ein Al-Qaida-Terrorist ist dabei, obwohl das Todenhöfer erst nicht wollte, und der Autor schreibt in seinem Werk "Was tötest du, Zaid?", dass ihm dies später in seiner Heimat gewiss Ärger einbringen werde.

Es geht dem Reisenden darum - und das ist sicher verdienstvoll -, jenen im Irak eine Stimme zu geben, die sonst nicht gehört werden. Todenhöfer will dort differenzieren, wo westliche Medien und Politiker pauschal von "Terrorismus" reden, er will sensibilisieren für legitime Freiheitswünsche bei al-Muqawama, dem irakischen Widerstand. Er will zeigen, was irakische Menschen denken und sagen, wenn Hubschrauber und Humvees das Gelände nicht für Presse- und Politikerkonvois gesäubert und gesichert haben. Er hält an mehr als einer Stelle fest, dass der Westen viel zu wenig über den Islam weiß.

Geschichten aus Notwehr

"Das Traurige ist, dass die Öffentlichkeit auf die pinocchialen Manipulationen der Kriegstreiber immer wieder hereinfällt", schreibt der Mann von Burda. Bei seiner Irak-Exkursion ließ sich Todenhöfer einen Oberlippenbart wachsen, er zog eine weiße irakische Dishdasha an und wechselte hektisch die Standorte, um nicht aufzufallen. Es sei gut, dass endlich einmal ein Journalist komme, um sich ein Bild zu machen, erfuhr der Deutsche bei seinen Gesprächen, und daraufhin erwiderte Todenhöfer, nein, er sei kein Journalist, er sei "Medienmanager". Der Dialog wird ihm gleichwohl geschmeichelt haben.

Im Mittelpunkt seiner sehr persönlich gehaltenen Erzählungen steht der 21-jährige Widerstandskämpfer Zaid. Dessen Bruder Haroun sei auf offener Straße in Ramadi im Juli 2006 von amerikanischen Scharfschützen getötet worden, einfach so; sein anderer Bruder Karim wiederum sei im Januar 2007 von einem US-Soldaten erschossen worden. Er hatte noch etwas aus dem Haus holen wollen, das die Familie nach einem Bombeneinschlag auf dem Nachbargrundstück verlassen musste.

So schloss sich Zaid einer nationalistischen-baathistischen Widerstandsgruppe an und wurde für die Fernzündung bei Explosionen verantwortlich. Was er tue, sei Notwehr, sagt Zaid. Sein größter Wunsch sei "Frieden" und eine große Familie: "Wir haben die gleichen Träume wie ihr."

Der Irak ist voll, so scheint es bei Todenhöfer, von solchen Notwehr-Geschichten. Rami, der Mann von al-Qaida, sagt, er gehöre dem gemäßigten Flügel der Organisation an und lehne es ab, Zivilisten zu töten. Er unterstütze al-Qaida, weil sie am am engagiertesten gegen die Besatzer kämpfe. Überall sei nur Not, Leid, Demütigung, Blut und Tod im Land. Todenhöfer fragt rhetorisch: "Ist die Antiterrorpolitik des Westens nicht gerade deshalb so erfolglos gewesen, weil sich die meisten Politiker nie ernsthaft mit dem Phänomen des Terrorismus beschäftgt haben?"

Von Burda nach Bagdad

Tatsächlich ist der Medienmanager hier ein bisschen Wallraff. Er kann all die Gräuelgeschichten, die ihm in Ramadi über marodierende amerikanische GIs und irakische "Guantanamos" erzählt werden, nicht nachprüfen, er kann überhaupt nichts gegenchecken, er kann nur Quellen sprudeln lassen, die vielleicht trübe sind. Das ist sicher auch nicht die ganze Wahrheit, aber immerhin ein weiterer Teil davon - und Element einer Welt, die erkennbar außer Kontrolle geraten ist. Es gebe im Irak mehr christliche Widerstandskämpfer als Al-Qaida-Terroristen, sagt Yussuf einmal.

Todenhöfer sieht die Geschichte der arabischen Völker als eine "Geschichte großer Siege und großer Niederlagen", wobei es in den letzten 200 Jahren "nicht mehr viel zu feiern gab" - der Kolonialismus habe "die arabische, ja die gesamte muslimische Zivilisation weit zurückgeworfen". Der Autor zieht eine lange Linie von den Verbrechen der Fremdenlegionäre in Algerien über die Invasion der Sowjets in Afghanistan zur Gewalt in Bagdad.

Todenhöfer, der seine früheren Reisen nach Afghanistan und in den Irak in den Bestsellern "Wer weint schon um Abdul und Tanaya" sowie "Andy und Marwa" beschrieb, hat nun als wichtigste Erkenntnis gewonnen, dass die Ursachen des Terrorismus beseitigt werden müssten - und die Hauptursache sei die menschenverachtende Art gegenüber der muslimischen Welt.

"Man kann Völker nicht ständig demütigen. Erst wenn wir die muslimischen Länder genauso fair behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen, werden wir den Terrorismus überwinden", schreibt der frühere Unionspolitiker im Geiste Kants. Todenhöfer, der für dieses Buch die Bibel und den Koran las und exzerpierte, hat gegen Ende noch einige spitze Thesen aufgearbeitet, zum Beispiel, dass der Westen viel gewalttätiger sei als die muslimische Welt oder dass Muslime die westliche Kultur "entscheidend mitgeprägt" hätten. Und: "Nichts fördert den Terrorismus mehr als die Antiterrorkriege des Westens. Die muslimischen Länder müssen ihre Probleme mit dem radikalen Islamismus selbst lösen."

Die radikalen Kräfte, so Todenhöfers Analyse, hätten sich gegenseitig hochgeschaukelt. Der Westen sei nicht legitimiert, überall auf der Welt gegen radikal-islamische Bewegungen vorzugehen und habe nicht das Recht, "die Welt in ein blutig-chaotisches Schlachtfeld zu verwandeln, um seine Vorstellungen von der Welt durchzusetzen". Sein klares Diktum: "Westliche Kampftruppen (und deutsche Tornados) haben im Irak, in Afghanistan oder in Somalia nichts verloren." Der Kampf gegen den Terrorismus werde nicht militärisch entschieden, sondern in den Herzen der 1,4 Milliarden Muslime.

Es ist ein langer Weg von Burda nach Bagdad, von bunten Zeitschriften zu den Friedhöfen des Irak, von der Glamourwelt des Westens zu dem Elend der angeblich Befreiten. Das Taxi brachte den Medienmanager Jürgen Todenhöfer wieder zurück nach Damaskus, wo es ihm ein alter Märchenerzähler angetan hat. Auch er will Geschichten einer besseren Welt erzählen, und am Ende ist er dabei wieder sehr politisch geworden.

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