Investigativer Journalismus:Das liebe Geld

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Kann ein Büro für investigative Recherche unabhängig sein, wenn es von einem klaifornischen Unternehmer bezahlt wird? Pro Publica in New York hat erstmals für CBS produziert und die Medienbranche horcht auf.

Thomas Schuler

Ende Juni strahlte das amerikanische Fernseh-Magazin 60 Minutes auf CBS einen Beitrag über den arabischsprachigen Fernsehsender Al-Hurra aus.

Hat erfolgreich mit dem Recherchebüro Pro Publica zusammengearbeitet: der amerikanische TV-Sender CBS. (Foto: Screenshot: www.cbsnews.com)

Al-Hurra wurde 2004 von der amerikanischen Regierung gegründet, um amerikanische Werte zu betonen und so das Image der USA nach dem Einmarsch im Irak 2003 zu verbessern.

Der amerikanische Präsident George Bush und seine Regierung haben dafür bislang rund 500 Millionen Dollar ausgegeben. Steuergelder, die nach Meinung von 60 Minutes verschwendet wurden.

Die Vorwürfe lauten unter anderem: Statt amerikanische Werte zu verbreiten, hätten der Fernsehsender Al-Hurra und der dazu gehörige Radiosender Sawa Terroristen zu militanter Gegenwehr aufrufen lassen, Antiamerikanismus und Gegnern von Israel eine Stimme gegeben und Vorwürfe verbreitet, der Holocaust sei nicht wissenschaftlich bewiesen.

Statt über wichtige aktuelle politische Ereignisse zu berichten, habe der Sender eine Kochsendung ausgestrahlt. Der Chef sei weder Journalist, noch spreche er Arabisch und verstehe nicht, was gesendet wird. Im arabischen Raum verfüge Al-Hurra über keine Glaubwürdigkeit.

Markenzeichen

60 Minutes hat sich mit solch aufwendig recherchierten Beiträgen in Jahrzehnten den Ruf des führenden investigativen Magazins im amerikanischen Fernsehen erworben und seinem Sender viel Geld eingebracht.

Neu ist, dass der Anstoß zur Recherche diesmal nicht aus der Redaktion von 60 Minutes, sondern von einem unabhängigen Büro für investigativen Journalismus ausging. Das Büro heißt Pro Publica und wurde im Januar gegründet, der Beitrag auf CBS war die erste Arbeit des Büros.

Einer der vier Producer, die gemeinsam recherchierten, kam von Pro Publica, sagt Richard Tofel, der geschäftsführende Redakteur des Büros. Auf der Website propublica.org ist die Geschichte ebenfalls veröffentlicht.

Pro Publica gilt als eines der ambitioniertesten journalistischen Projekte der amerikanischen Medienwelt: 25 Redakteure und Reporter verfügen über ein Budget von jährlich zehn Millionen Dollar, um damit über Macht und Fehlentwicklungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu recherchieren und die Ergebnisse kostenlos in namhaften Publikationen und Sendern zu veröffentlichen.

Das Budget ist für drei Jahre gesichert. Die Redaktion von Pro Publica ist größer als entsprechende Zeitungsredaktionen. Die New York Times beschäftigt zwölf Reporter und Redakteure in ihrem Ressort für investigative Recherche.

Das Geld von Pro Publica kommt von dem kalifornischen Unternehmer Herbert M. Sandler und seiner Frau Marion, die am Verkauf ihres Unternehmens für Immobilienkredite 2,4 Milliarden Dollar verdienten.

Der Mäzen und die Medien

Paul E. Steiger hatte die Idee für dieses Projekt, das sich - sehr staatstragend - als Dienst an der Allgemeinheit versteht. Steiger war bis Mai 2007 Chefredakteur des Wall Street Journal, insgesamt 16 Jahre lang. Unter Steiger gewann die Zeitung 16 Pulitzerpreise. Inzwischen hat der Medienunternehmer Rupert Murdoch den Verlag und seine angesehene Wirtschaftszeitung gekauft.

Pro Publica ist nicht die erste Redaktion, die sich mit fragwürdigen Berichten von Al-Hurra beschäftigt. Ausgerechnet das Wall Street Journal hat die Verschwendung von Steuergeldern 2007 mehrfach kritisiert. Zwar war Steiger damals noch Chefredakteur. Doch die Berichte erschienen auf der Meinungsseite, für die er nicht zuständig war.

Als Chef vom Dienst engagierte Steiger Stephen Engelberg, der 18 Jahre für die New York Times gearbeitet hat, zuletzt bis 2002 als Leiter der investigativen Redaktion. Recherchen über Korruption in Mexiko (1997) und über Al Qaida (2001), die er leitete, wurden mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet.

Lesen Sie auf Seite 2 über Ängste und Hoffnungen der Medienbranche.

2002 wurde Engelberg Chef vom Dienst der Tageszeitung Oregonian in Portland im Bundesstaat Oregon, die mit ihm ebenfalls einen Pulitzerpreis gewann und für eine investigative Recherche für einen weiteren Pulitzerpreis nominiert war.

Mittlerweile haben Steiger und Engelberg 14 Reporter eingestellt, darunter Jeff Gerth, der als Reporter der New York Times fast 30 Jahre investigativ arbeitete und für seine Recherchen zweimal den Pulitzerpreis erhielt.

Gerth sei der einzige, mit dem er zusammen arbeiten könne, sagte einst der Reporter Seymour Hersh und empfahl ihn der Times. Irritierend empfinde er allerdings, wie freundlich Gerth stets sei: Nichts könne ihn aus der Ruhe bringen.

Gerth recherchierte zahlreiche Enthüllungen, etwa zu Al Qaida und zu fragwürdigen Geschäftsverbindungen zwischen den Clintons in der Affäre "Whitewater". Gerth sei "der vielleicht erfolgreichste investigative Reporter der New York Times", urteilte 2001 das Fachblatt Columbia Journalism Review, "und zuletzt auch der umstrittendste".

Eine Anspielung auf einen Bericht von 1999 über den chinesischstämmigen Wissenschaftler Wen Ho Lo, den er der Spionage bezichtigte. Der Wissenschaftler saß neun Monate im Gefängnis, wurde aber später von einem Gericht freigesprochen. Die New York Times nahm ihre Vorwürfe zurück und räumte auf einer halben Seite zahlreiche Fehler ein.

Zur Redaktion von Pro Publica gehören weiterhin mehrere Redakteure, ein Blogger, der die Website propublica.org aktualisiert, und eine Spezialistin für Recherchen mit Hilfe von Computern, die große Mengen von Daten auswerten soll.

Ein oder zwei Reporter und einen Redakteur werde man noch einstellen, dann sei das Team komplett, sagt Tofel, der beim Wall Street Journal ein enger Mitarbeiter von Steiger war.

Innovatives Konzept

Die Website soll eine Anlaufstelle für Informationen über investigativen Journalismus werden. Dazu gehört auch, dass immer fortlaufend "die fünf größten Enthüllungen, die nicht von Pro Public aufgedeckt wurden", unter dem Begriff "Scandal Watch" eingestellt werden.

Pro Publica ergänzt auch die Veröffentlichung über Al Hurra auf der Website und arbeite an sechs weiteren Geschichten, sagt Tofel. Redaktionskonferenzen gebe es nicht; die Reporter arbeiteten für sich und eng mit den Redakteuren zusammen.

Richard Tofel führt durch die Redaktionsräume in der 23. Etage eines Bürohauses am Broadway in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen World Trade Center. Sieben der 14 Reporter haben ihre Arbeit aufgenommen, am 1. August werden alle Schreibtische besetzt sein, sagt Tofel.

Pro Publica weckt Hoffnungen und Ängste zugleich: Hoffnungen, dass es trotz der journalistischen Krise positive Entwicklungen gibt. Und Ängste, dass sich das Büro unabhängig nennt, sein Journalismus aber nicht unabhängig von Interessen der Geldgeber sei.

Kritisiert wird zum Beispiel, dass Herbert Sandler den Aufsichtsrat leitet. Die Sandlers, heißt es, seien ja vielleicht parteipolitisch motiviert, sie hätten den Demokraten bekanntlich viel Geld gespendet. Auch müsse investigativer Journalismus regional, nicht landesweit verbessert werden.

Strikte Trennung

Bei Pro Publica reagiert man gelassen auf diese Kritik: Es gebe bereits mehrere lokale und regionale Initiativen, sagt Tofel. Und was den Einfluss der Geldgeber auf Themen und Recherchen betrifft: Herr Sandler habe den Bericht auf CBS gesehen und habe die Redaktion wissen lassen, dass er ihn gut fand und "sehr zufrieden" sei, sagt Tofel.

Sandler habe allerdings erst in der Ankündigung drei Tage vor Ausstrahlung erfahren, wovon der Beitrag handle und ihn nicht vorab gesehen. Paul Steiger sagte in einem Interview im Public TV: Das habe er mit Herbert Sandler so vereinbart noch ehe er den Job als Chefredakteur annahm.

Er wolle Journalismus produzieren, der bei der Recherche keine parteiische Position einnehme und sei auf größtmögliche Unabhängigkeit bedacht, sagte Steiger sinngemäß.

Er habe Sandler gefragt, was passiere, wenn sie über eine der linken Organisationen kritisch berichteten, die der Unternehmer unterstütze. Sandler habe ihm gesagt, das sei für ihn "kein Problem".

Steiger vereinbarte mit den Geldgebern, dass sie grundsätzlich nicht erfahren, woran die Redaktion arbeite. Der Chefredakteur betont, er verfüge nun über die gleiche redaktionelle Freiheit in seinen Entscheidungen wie er sie beim Wall Street Journal genossen habe.

Der wesentliche Unterschied sei, dass er sich keine Sorgen um die Finanzierung seiner Recherchen machen müsse. Zumindest nicht, was die ersten drei Jahre angeht.

Der Beitrag über Al-Hurra vom 23. Juni steht unter cbsnews.com/sections/60minutes zum freien Abruf.

© SZ vom 8.7.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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