Interview zur Zukunft des Journalismus (2):"Wir werden von Blogs und Gelaber überflutet"

Finanzspekulanten könnten bald den letzten Nagel in den Sarg des traditionellen Journalismus stoßen. Wie das zu verhindern ist, verrät David Talbot, Gründer des Onlineportals salon.com.

Leif Kramp und Stephan Weichert

"Zeitenwechsel" - eine neue Serie zur Zukunft des Journalismus geht Trends in der Presse und im Internet nach. Zusammen mit dem Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik bereitet sueddeutsche.de dabei in den nächsten Wochen acht Interviews mit namhaften Experten auf. Alle Interviews sind unter sueddeutsche.de/zeitenwechsel abrufbar.

Interview zur Zukunft des Journalismus (2): David Talbot: Mit "salon.com" zeigt er, dass Onlinejournalismus und Qualität keine Gegensätze sind.

David Talbot: Mit "salon.com" zeigt er, dass Onlinejournalismus und Qualität keine Gegensätze sind.

(Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Mr. Talbot, wie schätzen Sie den Milliarden-Dollar-Poker um Facebook zwischen Google und Microsoft ein? Haben Online-Plattformen wie Facebook oder Xing die Macht, das Internet zu revolutionieren?

David Talbot: Soziales Netzwerken gehörte schon immer zum Reizvollsten, was das Internet zu bieten hat. Seit den Ursprüngen der Online-Revolution wollen die Leute mithilfe dieses Mediums interagieren und nicht bloß passiv Medienangebote konsumieren. Daher betrachte ich das Facebook-Drama als Fortsetzung dieser Geschichte. Ich glaube sogar, dass auch Nachrichtenseiten soziale Netzwerke integrieren müssen, wenn sie von dieser Revolution ausgeschlossen nicht sein wollen.

sueddeutsche.de: Brauchen wir angesichts von Web 2.0 denn überhaupt noch professionellen Journalismus?

Talbot: Natürlich, mehr denn je! Im Web 2.0 werden wir ja täglich von Blogs und Gelaber überflutet - was wir deshalb brauchen, sind sauber recherchierte, glaubwürdige Informationen. Und dafür brauchen wir redaktionelle Filter. Blogger haben die Medienwelt mit neuer demokratischer Energie bereichert, aber Blogs schreien nach professioneller redaktioneller Aufbereitung.

sueddeutsche.de: Ist den Profis im Vergleich zur Armee der Blogger nicht auch ein wenig die Leidenschaft abhanden gekommen?

Talbot: Ja, ich glaube, dass fest angestellte Redakteure und Autoren großer Blätter unter einer Krise ihrer journalistischen Seele leiden, weil die Verlage ihrerseits unter Kürzungen, Skandalen und Übernahmen durch Großunternehmen leiden. Sie sollten am besten alle der Bewegung zur Wiederbelebung des Qualitätsjournalismus beitreten, um ihren Kampfesgeist aufzufrischen.

sueddeutsche.de: Sehen Sie in solchen Übernahmen also eine akute Gefahr für den Qualitätsjournalismus?

Talbot: Finanzspekulanten und Medienmogule könnten schon bald den letzten Nagel in den Sarg des amerikanischen Journalismus treiben. Die US-Presse wird zwischen den technologischen Herausforderungen des Internet und den Profiterwartungen großer Medienkonzerne förmlich zerquetscht. Gerade Rupert Murdochs Mediengeschäfte sind stark gesteuert von persönlichen Motiven, namentlich vor allem seiner konservativen politischen Agenda. Wenn wir nicht bald alternative Besitzstrukturen für die Presselandschaft in diesem Land finden, etwa Kombimodelle mit öffentlich-privaten Anteilsverhältnissen oder Mitarbeiterbeteiligungen, wird die Presse weiter den Bach runtergehen - und Amerikas Demokratie mit sich reißen.

Auf der nächsten Seite spekuliert David Talbot, welche Printmedien die Internetrevolution überleben werden.

"Wir werden von Blogs und Gelaber überflutet"

sueddeutsche.de: Heißt das, sie befürworten Alimentierungen durch Stiftungen oder den Staat?

Talbot: Heutzutage spricht aus Sicht von Nachrichtenanbietern einiges für öffentliche Beihilfen oder Business-Modelle auf Nonprofit-Basis, weil der seriöse Journalismus ganz eindeutig nicht mehr am Markt bestehen kann. Aber staatliche Subventionen und sogar die Stiftungsmodelle bringen immer auch eigene Probleme mit sich. Öffentlich-rechtliche Medien in den USA - wie das Public Broadcasting System PBS - neigen dazu, befangen und überängstlich vor Kontroversen zu sein. Allgemein gesagt befürworte ich also die Risiken und Belohnungen des Marktes, aber möglicherweise ist das beste System eines, das etwas von beidem integriert - beispielsweise ein privates Unternehmen, das Zuschüsse oder Spenden für investigativen Journalismus und andere gesellschaftlich relevante Projekte erbittet, die für den Werbemarkt normalerweise unattraktiv sind.

sueddeutsche.de: Wie viel Zeit geben Sie der gedruckten Zeitung noch?

Talbot: Die Zeit drängt, keine Frage. Schon jetzt beobachten wir in den USA massive Entlassungswellen, Zeitungen werden kaputtgespart. Das schadet der Qualität und führt zu weiteren Auflagenverlusten. Für die amerikanische Presse ist das eine Todesspirale: Die einzigen Zeitungen, die überleben, werden diejenigen sein, die weiterhin in ihr redaktionelles Produkt investieren und den Übergang in die digitale Ära meistern. Trotz ihrer eigenen finanziellen Probleme gibt es bei der New York Times Anzeichen dafür, dass sie das schaffen könnte. Die Times ist für mich ohnehin die einzige unentbehrliche Zeitung Amerikas, und solange sie durch ihre einzigartige Verlagsstruktur in Familienbesitz geschützt ist, bin ich zuversichtlich, dass sie eine starke Marke bleiben wird.

sueddeutsche.de: Hand aufs Herz: Was ist in der Diskussion um die Zukunft der Zeitung lediglich Schwarzmalerei, und was ist wirklich wahrscheinlich?

Talbot: Der allgegenwärtige Pessimismus ist in der Regel gut begründet. Der Marxist Antonio Gramsci hat einmal gesagt: Was wir brauchen, ist ein Pessimismus des Intellekts und einen Optimismus des Geistes, wenn wir versuchen wollen, unseren Beruf zu retten.

sueddeutsche.de: Bleiben Online-Portale wie salon.com von den gravierenden Umwälzungen im Journalismus verschont?

Talbot: Als einer der Pioniere des Web 1.0 steht salon.com ähnlichen Herausforderungen gegenüber wie alle anderen auch - besonders wenn versucht wird, Blogs und soziale Netzwerke in das traditionelle Redaktions- und Geschäftsmodell zu integrieren. Aber salon.com hat sich eine Art von Unternehmergeist bewahrt, der nötig ist, um die Medienzukunft mitzugestalten.

David Talbot ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender von Fenton Communications, einem Public-Relations-Unternehmen mit Büros in Washington, San Francisco und New York, das sich auf Non-Profit-Organisationen (Greenpeace, Human Rights Watch, MoveOn u.a.) spezialisiert hat. Talbot ist Gründer und ehemaliger Chefredakteur des Online-Magazins salon.com und wurde von der "New York Times" als "Pionier des Online-Journalismus" gefeiert. Zuvor arbeitete Talbot als Redakteur für das linksintellektuelle US-Magazin "Mother Jones" und schrieb unter anderem für "Time", "The New Yorker", "Rolling Stone" und "Los Angeles Times". Er ist Autor des "New York Times"-Bestsellers "Brothers: The Hidden History of the Kennedy Years" (2007). Derzeit baut er eine regionale Online-News-Engine für den Raum San Francisco auf, wo er mit seiner Familie lebt.

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