Süddeutsche Zeitung

Interview zur Zukunft des Journalismus (1):"Google News ist unser Feind"

Mehr Einsparungen, weniger Qualitätsberichterstattung? Medien-Experte John Lloyd aus Oxford spricht über die Personalisierung des Journalismus und erklärt, wie die Tageszeitung den Kampf um den Leser gewinnen kann. Der Start unserer neuen Serie "Zeitenwechsel".

Leif Kramp und Stephan Weichert

"Zeitenwechsel" - eine neue Serie zur Zukunft des Journalismus geht Trends in der Presse und im Internet nach. Zusammen mit dem Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik bereitet sueddeutsche.de dabei in den nächsten Wochen acht Interviews mit namhaften Experten auf. Den Anfang macht John Lloyd, Herausgeber der Financial Times und Direktor des Reuters Institute for the Study of Journalism an der Oxford University. Alle Interviews werden unter sueddeutsche.de/zeitenwechsel abrufbar sein.

SZ: Mr. Lloyd, mittlerweile ist es fast schon beängstigend still geworden um Rupert Murdochs neueste Errungenschaft, das "Wall Street Journal". Ist das nur die Ruhe vor dem Sturm?

John Lloyd: Um es mal so zu sagen: Es hat für mich den Anschein, als ob Familienunternehmen wie das der Grahams mit der "Washington Post" und das der Sulzbergers mit der "New York Times" immer noch besser darin sind, Qualität und Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten. Das gilt übrigens auch für Stiftungen wie die, die den "Guardian" und "Le Monde" herausgeben - oder für kleinere Unternehmen wie Pearson mit der "Financial Times" und Dow Jones mit dem "Wall Street Journal". Diese Unternehmen geraten jetzt allerdings zunehmend unter Druck, wie die Übernahme von Dow Jones zeigt. Das heißt: wir müssen mit noch mehr Einsparungen, weniger Qualitätsberichterstattung und wahrscheinlich auch weniger Unabhängigkeit rechnen.

SZ: Wo liegt denn das Problem? Geht die Qualitätspresse nicht konsequent genug auf die veränderten Nutzungsgewohnheiten ihrer Leser ein?

Lloyd: Das kommt drauf an. "Washington Post", "Guardian", "Le Monde" und "La Repubblica" haben beispielsweise sehr erfolgreiche Internetauftritte etabliert, die inzwischen viel mehr Leser erreichen als ihre Druckausgaben. Doch genau darin liegt das Paradoxe: Ihre Inhalte werden von einem größeren Publikum gelesen, aber ihre Auflagen und Einnahmen sinken - für einige Titel sogar in sehr kritische Regionen. Ich sehe da momentan keinen Ausweg.

SZ: Dabei mangelt es ja nicht an Versuchen, das Ruder rumzureißen.

Lloyd: Die Qualitätsblätter haben ja schon alles versucht. Schauen Sie sich "The Times" und "The Independent" an, das waren mal die führenden Stimmen Großbritanniens. Aber nachdem beide auf das Tabloid-Format umgestellt haben und jetzt häufiger mit Gesundheits- und Lifestyle-Geschichten als mit den wirklich großen Themen aufmachen, hat zumindest die "Times" ihre Rolle als offizielle Chronistin des politischen Zeitgeschehens eingebüßt. Der "Independent" ist dagegen zu einem "Viewspaper" mit meinungslastigen, fettgedruckten Storys auf der Titelseite verkommen. Egal, ob "Times", "Independent", "Guardian" oder "Telegraph" - alle verlieren kontinuierlich an Auflage. Die einzige Qualitätszeitung, die derzeit zulegt, ist die "Financial Times" - und die hat sich am wenigsten verändert. Meiner Meinung nach liegt der Großteil ihres Erfolg an der globalen Leserschaft und einer thematischen Nische: die der hochrangigen Wirtschaft und Politik.

SZ: Könnten traditionelle Stilformen wie die Reportage oder der investigative Report nicht die Ehrenrettung für die Qualitätspresse bedeuten?

Lloyd: Viele denken ja, dass gerade lange Reportagen und die investigative Berichterstattung das Hauptproblem sind für die desolate Situation der Presse - und zwar deshalb, weil die Leute das alles gar nicht lesen. Unsere Aufgabe als Journalisten ist es also herauszufinden, wie wir diese Formate, die wir für besonders wichtig halten, lesbar machen. Was wir dabei nicht übersehen dürfen, ist, dass die meisten der langen Formate inzwischen in Büchern publiziert werden. Noch vor 20 Jahren hat kaum ein Journalist Bücher geschrieben. Jetzt tun das offenbar alle.

SZ: Könnte der Staat der Presse mit Beihilfen unter die Arme greifen?

Lloyd: Nein! Zeitungen sind reine Markterzeugnisse. Jede bezuschusste Zeitung würde früher oder später harmlos werden.

Auf der Seite 2 verrät John Lloyd, welche Medienrevolutionen noch zu erwarten sind.

SZ: Wie viel Zeit geben Sie der Papierzeitung noch, welche Titel wird es auch in 20 Jahren noch geben?

Lloyd: Zu den Qualitätszeitungen, die überleben, gehören wahrscheinlich "FAZ", "Die Zeit", "Figaro", "Financial Times", "New York Times", "Washington Post", "Corriere della Sera", "La Repubblica", "El País" und einige andere. Sie werden überleben, weil sie eine Kernleserschaft haben, die sie am Leben hält, weil sie eine Online-Strategie gefunden haben und Unterstützer besitzen oder in Zukunft noch welche finden werden. Zeitungen, die ich für gefährdet halte, sind einige der großen Stadtzeitungen in den Vereinigten Staaten oder "Libération" in Frankreich, "La Stampa" in Italien und möglicherweise "Die Welt", wenn es für den Verlag irgendwann zu teuer wird, sie zu halten. Der springende Punkt ist, dass Papierzeitungen den Übergang ins Netz schaffen und dort genug Geld verdienen müssen, um eine beachtliche Belegschaft an Korrespondenten zu finanzieren. Scheitern sie damit, ist es egal, ob sie überleben oder nicht.

SZ: Sehen Sie in "Googles News" eher einen Freund oder Feind für die Zeitungswirtschaft?

Lloyd: "Google News" ist derzeit eher unser Feind als Verbündeter. Und zwar weil dort Nachrichten nicht selbst produziert, sondern einfach Anderen weggenommen werden. Dadurch wird die Anziehungskraft derer geschwächt, die fürs Nachrichtensammeln bezahlen müssen. Die stellen Google unfreiwillig ihre Ressourcen zur Verfügung und bekommen nichts zurück.

SZ: Werden soziale Netzwerke wie Facebook das Internet revolutionieren?

Lloyd: Facebook und andere Social Networks ziehen radikale Effekte nach sich, gar keine Frage. Die Kombination aus Networking und der Bereitstellung von Nachrichten und Videos ergänzt die klassischen Nachrichtenmedien um einen völlig neuen Faktor: Der Konsument ist nicht mehr länger Kunde, sondern ein "Freund" oder sagen wir besser: ein "Kontakt", dessen Interessen seine anderen "Kontakte" bestens kennen. Über diese Kontakte erhält eine neue Generation von Mediennutzern das Gros ihrer Information, und nicht aus der Presse oder dem Fernsehen.

SZ: Welche Bedeutung räumen Sie Heimvideos nach dem "WeTube"-Prinzip ein?

Lloyd: Das weitet den Journalismus ins Persönliche. Dort sehe ich große Wachstumschancen für den Journalismus, allerdings wird das nicht als Journalismus anerkannt. Es sind vor allem jüngere Leute, die über sich selbst und ihre Welt berichten und so mit Nachrichten größere oder kleinere Kontaktkreis beliefern. Das ist eine Form von Journalismus - und wenn wir nach den reinen Nutzungszeiten gehen wollen, ersetzt es sogar den eher konventionellen Journalismus.

SZ: Stehen in naher Zukunft noch weitere Medienrevolutionen an?

Lloyd: Die nahe Medienzukunft wird eine Konsolidierung heutiger Trends sein: Es wird noch einfacher, schneller und bequemer werden, einen Zugang zu Programmen, Unterhaltung, Kommunikation und Information über einen Bildschirm oder ein Mobiltelefon zu erhalten. Unsere Kommunikation wird flüchtiger und zugleich intensiver. Das größte Problem für den Journalismus aber ist, ob das, was wir "Public Service Journalism" nennen, also die Analyse und Recherche, aber auch Schlagzeilen, überlebt oder nicht - und wer das finanzieren wird.

John Lloyd ist Direktor am Reuters Institute for the Study of Journalism an der Oxford Universität, Mitherausgeber der "Financial Times" und Kolumnist für "La Repubblica". Zuvor leitete er mehrere Jahre das Moskauer Redaktionsbüro der "Financial Times" und war Gründungsherausgeber des "FT Magazine". Darüber hinaus gehört er dem Direktorium des "Prospect Magazine" sowie der Moscow School of Political Studies an, arbeitet als Referent des St. Anne's College in Oxford und hat eine Gastprofessur der School of Journalism an der City University. Lloyd wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. als Journalist des Jahres, Fachautor des Jahres und mit dem David Watt Prize. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen gehören "Rebirth of a Nation: An Anatomy of Russia" (1998) und "What the Media are Doing to Our Politics" (2003). Lloyd ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in London.

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