Interview: Zukunft des Journalismus (13):"Print ist nicht tot"

Jonathan Landman von der New York Times erklärt im Interview, wie professionelle Journalisten und Amateur-Blogger koexistieren können.

Stephan Weichert und Alexander Matschke

sueddeutsche.de: Mr. Landman, viele gedruckte Nachrichtenmedien in den USA beklagen dramatische Auflagenverluste und Personaleinsparungen. Auch die New York Times, nach wie vor Aushängeschild der weltweiten Prestige-Presse, bleibt davon offenbar nicht verschont. Im April dieses Jahres meldete die New York Times Company für das erste Quartal 2008 im Vergleich zum Vorjahr einen Umsatzverlust von 5,7 Prozent sowie einen Verlust an Anzeigeneinahmen von 10,6 Prozent. Im Mai wurde aus einem Memo des Chefredakteurs, Bill Keller, außerdem bekannt, dass die New York Times an die 100 Mitarbeiter entlassen will.

Interview: Zukunft des Journalismus (13): Eingangsgebäude der "New York Times". Sie ist seit 1851 auf dem Markt und wird auch "The Gray Lady" genannt.

Eingangsgebäude der "New York Times". Sie ist seit 1851 auf dem Markt und wird auch "The Gray Lady" genannt.

(Foto: Screenshot: www.commons.wikipedia.org)

Jonathan Landman: Nun, wir haben mit den gleichen übernatürlichen Kräften zu kämpfen, die das Pressegeschäft allerorten quälen: die Abwanderung der Kleinanzeigen ins Internet und der exorbitante Zuwachs neuer Publikationsplattformen. Das ist weder überraschend noch bleibt unsere Zeitung davon verschont. Alle diese Entwicklungen schaden uns ebenfalls, und die schlechte Wirtschaftslage tut das Übrige. Obwohl der US-Presse vor allem das Online-Anzeigengeschäft zu schaffen macht, haben wir hier einen unschlagbaren Vorteil gegenüber unseren Mitbewerbern, weil unsere Anzeigen ein nationales Publikum ansprechen. Ein weiterer Pluspunkt ist die Potenz und Reputation der Marke New York Times, die es uns ermöglichten, eine sehr nachgefragte Nachrichten-Webseite zu werden. Wir sind laut Nielsen die fünftgrößte in den USA - die BBC, die ebenfalls eine erfolgreiche Webseite betreibt, nicht mitgezählt. Außerdem haben wir einen überaus loyalen Leserstamm, der weiterhin die Printausgabe abonniert und so einen Großteil unserer Gewinne ausmacht. Ich möchte die schlechte Marktsituation gar nicht kleinreden, aber ich sehe für uns auch eine Reihe von Wettbewerbsvorteilen.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielen Nebengeschäfte für die Erlöse der New York Times Company?

Landman: Wissen Sie, für solche Fragen bin ich nicht der Richtige. Ich bin Zeitungsredakteur und kein Geschäftsmann. Wenn Sie über Business reden wollen, wenden Sie sich bitte an jemanden aus dem Management.

sueddeutsche.de: Also gut, lassen Sie uns stattdessen über das Schwarzbrot im Journalismus sprechen: die Nachrichten. In ihrer heutigen Ausgabe hat die New York Times auf der Titelseite eine Exklusiv-Geschichte über al-Qaida und eine weitere über irakische Söldner gebracht. Streben Sie mehr Exklusivität an, um sich von anderen Nachrichtenanbietern stärker abzugrenzen?

Landman: Das würde ich so nicht sagen. Die Times hat sich schon immer durch originäre Berichte ausgezeichnet, die Sie anderswo nicht lesen konnten. Deshalb beschäftigen wir auch weiterhin viele Auslandskorrespondenten und unterhalten ein großes Büro in Washington, um unseren Fokus auf ganz unterschiedliche gesellschaftliche Phänomene zu lenken. Außerdem leisten wir uns einen großen Mitarbeiterstab in vielen Städten des Landes, weil wir uns jetzt, wie seit eh und je, zu originärem Journalismus verpflichtet fühlen. Es ist also nichts Neues, wenn wir solche Geschichten auf der Titelseite bringen. Diese Beiträge stechen allerdings stärker heraus als früher, weil zunehmend massenkompatible und immer weniger exklusive Nachrichten produziert werden.

sueddeutsche.de: Wie wichtig ist für Sie als Redaktionsleiter das Motto "online first", gerade mit Blick auf Exklusiv-Storys?

Landman: Normalerweise veröffentlichen wir ein Stück dann, wenn es fertig ist - also häufig auch online. Als wir die Sex-Affäre um den New Yorker Gouverneur Eliot Spitzer aufdeckten und zuerst online brachten, hatten wir sie für über eine Stunde exklusiv. So werden wir es wohl künftig in den meisten Fällen handhaben. Aber es gibt manchmal auch Gründe, sich Geschichten für die Druckausgabe aufzusparen.

sueddeutsche.de: Würde der Qualitätsjournalismus stark leiden, wenn die gedruckte Zeitung eines Tages verschwände?

Landman: Das kommt auf die Alternative an. Gäbe es keine Alternative, dann wäre das eine Katastrophe. Wenn die Alternative hingegen ein wunderbares elektronisches Gerät wäre, mit dem man ein Buch, eine Zeitschrift oder Zeitung lesen kann, ist es egal, ob die Informationen auch auf Papier gedruckt sind oder nicht. Das Gleiche wird eben nur in anderer Form geliefert. Und wenn eine Hardware entwickelt würde, die es den Menschen erleichtert, Journalismus zu bekommen und dafür zu bezahlen, umso besser. Ich glaube nicht, dass die Frage ist, was passiert, wenn Print verschwindet, sondern eher, wie man den Qualitätsjournalismus unterstützt, der essentiell für das Funktionieren einer Demokratie ist.

sueddeutsche.de: Apropos: In den USA, aber auch in Deutschland wird gerade viel über gemeinnützige Initiativen wie Paul Steigers unabhängige Redaktion ProPublica diskutiert, die sich dem Recherchierjournalismus verschrieben hat und durch Stiftungsgelder finanziert wird. Was halten Sie davon?

Landman: Ich wünsche ihnen gutes Gelingen. Diese Initiative ist gründlich durchdacht, und jeder, der qualitativ hochwertigen Recherchejournalismus betreibt, tut unserer Demokratie etwas Gutes, weil derzeit alle Zeitungen im ganzen Land als Erstes an investigativer Berichterstattung sparen.

sueddeutsche.de: Wie Sie vermutlich wissen, recherchiert ProPublica eigenständig Geschichten, bietet diese dann aber etablierten Nachrichtenmedien zur Veröffentlichung an. Könnten Sie sich eine solche Kooperation zwischen der New York Times und ProPublica vorstellen?

Landman: Darüber ließe sich reden.

sueddeutsche.de: Stehen Sie Geschichten, die jemand anderes recherchiert hat, nicht skeptisch gegenüber?

Landman: Es würde sicherlich einige Schwierigkeiten mit sich bringen, weil wir sehr auf unsere Standards wie das Fact Checking achten. Wenn wir mit Redaktionen von außen zusammenarbeiten würden, müssten wir sicherlich in irgendeiner Form involviert sein. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, irgendetwas zu veröffentlichen, ohne zu wissen, was ich genau bekomme. Andererseits arbeiten wir schon seit vielen Jahren mit freien Journalisten zusammen, insofern ist solche Kooperation keine so abwegige Idee.

sueddeutsche.de: Die Reporter von ProPublica veröffentlichen einige ihrer Storys auch unmittelbar über Blogs. Wie wichtig ist Blogging inzwischen für den amerikanischen Journalismus?

Landman: Das Bloggen ist zweifellos wichtiger geworden, aber wir dürfen nicht vergessen, dass ein Blog zunächst nicht mehr als eine Software ist, also eine Möglichkeit, Nachrichten zu liefern. Blogs sind für manche Dinge gut geeignet, für andere weniger. Sie eignen sich beispielsweise großartig, um bei aktuellen Ereignissen auf dem Laufenden zu bleiben. Deshalb haben wir Blogs ziemlich erfolgreich für Breaking News eingesetzt. Außerdem eignen sich Blogs hervorragend für bestimme Kommentatoren. Sie sehen also, dass wir Blogs genauso für unsere Zwecke einspannen, wie es andere Zeitungen auch tun.

sueddeutsche.de: Könnte das Internet nicht doch irgendwann die Zeitung vollkommen verdrängen?

Landman: Alle bisherigen Medien tendieren zu einer Koexistenz, oder etwa nicht? Als das Radio startete, sagten die Leute "Das ist das Ende der Zeitungen und Zeitschriften" - aber so kam es nicht. Als dann das Fernsehen entwickelt wurde, sagten die Leute "Das ist das Ende des Radios" - aber so kam es nicht. Jetzt kommt das Internet und die Leute sagen wieder: "Das ist das Ende von Fernsehen, Radio, Zeitungen und Zeitschriften." Und vielleicht wird das Internet eines Tages tatsächlich ein Verteilsystem für alle diese Kommunikationsformen sein, aber dann ist es halt so. Es wäre sinnlos, sich dieser Entwicklung zu widersetzen.

Lesen Sie auf Seite zwei, was Landman von Amateur-Bloggern hält.

"Print ist nicht tot"

sueddeutsche.de: Warum brauchen wir überhaupt noch professionelle Journalisten? Man bekommt alle Informationen schließlich gratis im Internet, man braucht bloß zu googeln ...

Interview: Zukunft des Journalismus (13): Jonathan Landman arbeitet seit mehr als 20 Jahren bei der "New York Times".

Jonathan Landman arbeitet seit mehr als 20 Jahren bei der "New York Times".

(Foto: Foto: Stephan Weichert)

Landman: ... Gratisinformation und professioneller Journalismus sind doch zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Die New York Times gibt es online gratis, aber sie liefert ein professionelles Produkt. Ich glaube, es gibt im Journalismus - wie überall - genug Platz für Profis und für Amateure. Das bedeutet aber nicht, dass sie das Gleiche tun. Ich habe überhaupt kein Problem mit Amateurmusikern, die ein Streichquartett in ihren Wohnzimmern spielen. Aber das ist natürlich nicht dasselbe wie Berufsmusiker, denen Tausende Menschen in einer Konzerthalle begeistert zuhören. Genauso sind professionelle Journalisten, die über besondere Talente und eine Ausbildung verfügen, besonders gut in manchen Dingen, in denen Amateure nicht so gut sind. Folglich sind die Ergebnisse vollkommen automatisierter News-Angebote wie Google News nicht wirklich befriedigend. Die Idee, dass das Internet irgendwie Amateure zusammenbringt, die dann auf magische Weise qualitativ hochwertige Nachrichten produzieren, kann gar nicht funktionieren. Professor Jay Rosen von der New York University hat beispielsweise eine sehr interessante Kombination von Profis und Amateuren entwickelt, die vielversprechend ist.

sueddeutsche.de: Sie meinen das Format "Off the Bus" das Jay Rosen für die Online-Zeitung Huffington Post entwickelt hat.

Landman: Genau, dort beaufsichtigen professionelle Redakteure Amateurreporter und produzieren gemeinsam mit ihnen Videos und News-Beiträge. Was ich Ihnen an diesem Beispiel illustrieren möchte: Beiträge von Amateuren sind nicht zu unterschätzen. Sie können sich Amateurfotos auf der Online-Plattform flickr ansehen, Texte von Amateuren in der Huffington Post lesen und so weiter. Und ein kleiner Teil davon ist gut, ein großer sehr schlecht. Die Trefferquote bei professionellen Journalisten ist naturgemäß höher, weil sie dafür entlohnt werden. Das ist bei Amateuren anders, was aber nicht heißt, dass sie nichts beitragen können. Manchmal berichten Amateure wirklich sehr gut. Es gab beispielsweise einen Blog, in dem Amateure über den Prozess gegen Lewis Libby, den ehemaligen Sicherheitsberater von Dick Cheney, berichteten. Keiner von ihnen wurde dafür bezahlt, sie waren aber trotzdem überaus engagiert. Ich weiß nicht, wie diese Leute ihren Lebensunterhalt verdienen, denn irgendjemand muss ja schließlich die Miete bezahlen. Aber wie auch immer sie das geschafft haben: Sie haben sehr gut berichtet. Ich finde so etwas großartig, nur darauf alleine kann sich eine Demokratie nicht verlassen.

sueddeutsche.de: Wir alle wissen, dass es immer schwieriger wird, junge Menschen davon zu überzeugen, für guten Journalismus zu bezahlen. Wie wollen Sie als reines Verlagshaus im digitalen Zeitalter neue Geschäftsmodelle finden?

Landman: Das tun wir täglich. Aber noch einmal: Print ist nicht tot. Also lassen Sie uns die Todesanzeige nicht zu früh aufsetzen. Klar, Print könnte eines Tages aussterben, möglich ist alles. Aber momentan verdienen wir mehr Geld mit unseren Abonnements als jemals zuvor. Die Auflage der Zeitung ist in den vergangenen paar Jahren marginal gesunken, für uns war das jedoch im Ergebnis effizient, weil die Leser am Rande der Auflagenskala sehr teuer sind: Man muss sie ständig bewerben und ihnen Prämien schenken. Wir haben jetzt ungefähr 800.000 Abonnenten, die die Times seit mindestens zwei Jahren beziehen und sie nach Hause geliefert bekommen, sie also nicht am Kiosk kaufen. Das ist bedeutsam, weil sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass Leser, die unsere Zeitung zwei Jahre abonniert haben, Abonnenten auf Lebenszeit werden - oder zumindest annähernd. Das sind also 800.000 loyale Leser bei einer Gesamtauflage von über einer Million, die über 500 Dollar für ein Jahresabo zahlen. Für uns und unsere Werbekunden sind diese Leute sehr wertvoll, weil sie gebildet, wohlhabend und neugierig sind, viele Interessen haben, reisen, konsumieren. Dieses Geschäftsmodell ist also noch lange nicht tot. Es ist bedroht, soviel steht fest. Und die Abwanderung der Kleinanzeigen ist natürlich ein großes Problem. Aber es gibt ja noch unsere Online-Umsätze, die stark ansteigen und derzeit bei elf Prozent liegen. Sie sehen also, es werden neue Geschäftsmodelle entwickelt, allerdings sind sie nicht wirklich neu, sondern basieren immer noch auf Werbung.

Jonathan Landman, 1952 in New York geboren, studierte Geschichte in Amherst und Journalismus an der Graduate School of Journalism der Columbia University. Nachdem Landman für verschiedene Zeitungen gearbeitet hatte, begann er vor mehr als 20 Jahren seine Karriere bei der New York Times, für die er unter anderem als stellvertretender Leiter des Washingtoner Büros und verantwortlicher Redakteur des New-York-Ressorts tätig war. Seit zwei Jahren ist Landman Deputy Managing Editor der New York Times und verantwortlich für digitalen Journalismus. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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