Interview:Zu neuen Ufern

Arend Aghtes "Flussfahrt mit Huhn" sorgte 1983 für frischen Wind in der westdeutschen Kinderfilmflaute. Sowohl dieser Klassiker als auch seine neue Krimikomödie "Rettet Raffi!" sind beim Münchner Filmfest zu sehen

Interview von Barbara Hordych

Arend Agthe hatte für "Titanic" und "Pardon" geschrieben und war Mitglied der Neuen Frankfurter Schule um Robert Gernhardt und Friedrich Karl Waechter, bevor er 1983 mit dem völlig unpädagogischen Kinderfilm "Flussfahrt mit Huhn" Aufsehen erregte. Die Komödie schildert eine Verfolgungsjagd von vier Ausreißern entlang der Weser und zählt zu den erfolgreichsten Kinderfilmen aus bundesdeutscher Produktion. Jetzt, rund 30 Jahre später, kommt Agthes neuer Kinderfilm ins Kino: In "Rettet Raffi!" macht sich der achtjährige Sammy auf die Suche nach seinem geliebten Hamster, der mitsamt dem Familienauto entführt wurde. Beide Filme sind im Kinderprogramm des Münchner Filmfests zu sehen. Ein Gespräch mit dem Regisseur über das Genre Kinderfilm damals und heute.

SZ: Beim Wiedersehen mit "Flussfahrt mit Huhn" fällt einem das Fehlen jeglicher elektronischer Kommunikationsmittel auf.

Arend Agthe: Ja, da gab es in den letzten drei Jahrzehnten eine rasante Entwicklung. Die Szene etwa, in der der Opa in die Telefonzelle geht, um die Eltern anzurufen und ihnen vorzugaukeln, dass die vier Ausreißer-Kinder wohlbehalten bei ihm sind, ist heute so nicht mehr vorstellbar.

Stört das die Kinder, die den Film heute zum ersten Mal sehen?

Interessanterweise überhaupt nicht. Der Wunsch der Kinder im Publikum ist gleich geblieben, wie ich bei Wiederaufführungen erfahren habe. Sie wollen mit den Kindern im Boot sitzen und deren Abenteuer miterleben.

Auf dem Filmfest und auf DVD ist jetzt eine um 20 Minuten gekürzte Neufassung von "Flussfahrt mit Huhn" zu sehen. Was haben Sie weggelassen?

Der Film war ursprünglich viel elegischer. Wir haben mehr Tempo hineingebracht. Denn die Kinder heute haben eine andere Wahrnehmung als früher, sie sind schnellere Schnitte gewöhnt. Da gibt es etwa diese Nachtszene, in der der kleine Alex mit dem Boot abtreibt. Die haben wir damals sehr ausführlich und breit gezeigt, den Nebel auf dem Wasser, das unheimliche Dunkel um ihn herum. Diese Szene haben wir jetzt gekürzt, denn was da passiert, hat man schnell verstanden. Das waren direkt fünf Minuten, die dadurch wegfielen.

Interview: Der Regisseur Arend Aghte, 65, ist Grimme- und Bundesfilmpreisträger. Seine Film- und Fernsehkarriere begann 1983 mit "Flussfahrt mit Huhn".

Der Regisseur Arend Aghte, 65, ist Grimme- und Bundesfilmpreisträger. Seine Film- und Fernsehkarriere begann 1983 mit "Flussfahrt mit Huhn".

(Foto: A. Agthe)

Solche Szenen würden sie heute anders schneiden und zeigen? Damals gab es richtige Regeln für den Schnitt, wie viele es sein dürfen in einer Minute, was für Kinder zumutbar ist. Das war auch bei den Fernsehanstalten so, bei der ARD. Solche Regularien kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, die sind alle über Bord geworfen. Nehmen Sie etwa die Szene in "Rettet Raffi!", in der der kleine Hamster in der Tierklinik operiert wird. In der nächsten Szene springen wir direkt nach draußen in das wartende Auto, mitten hinein in einen Dialog. Solche Sprünge verstehen die Kinder heute problemlos, da muss ich gar nicht erzählen, was zwischendurch passiert ist.

Wie haben Sie als Filmemacher den Anschluss behalten?

Zum einen durch meine eigenen Kinder, die inzwischen erwachsen sind. Zum anderen durch meine Arbeit für die Redaktionsgruppe "Sesamstraße" und später die Fernsehserie "Siebenstein", da bin ich mitgewachsen, habe die innovativen Strömungen miterlebt, bin technisch up to date geblieben, auch im Trick-Realfilmbereich. Die ganzen Außenaufnahmen beispielsweise mit dem kleinen Hamster Raffi, die sind im Studio gedreht, auch wenn es so aussieht, als wenn er ganz real auf dem Hamburger Hafengelände unterwegs wäre.

Wenn Sie die Situation im Kinderfilmgenre betrachten - ist es heute leichter als vor 30 Jahren, Geschichten dieser Art zu realisieren?

Mein Anliegen war von Anfang an, Originalstoffe zu entwickeln und zu verfilmen. Und die haben es immer schwerer. Die Filmindustrie und -Förderung neigen dazu, auf bekannte Stoffe, Marken und Sequels zu setzen. Da ist die Neuverfilmung eines Kästner-Romans viel leichter durchzusetzen als ein komplett neues Thema. Deshalb finde ich auch eine solche Initiative wie "Der besondere Kinderfilm" so wichtig, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Originalstoffe zu fördern, im Idealfall von der Drehbuchentwicklung bis zur Realisierung.

Interview: Johanna (Julia Martinek) hat den kleinen Alex (Fedor Hoppe) aus der Weser gefischt, als der seinem über Bord gegangenen Teddy hinterhergesprungen war.

Johanna (Julia Martinek) hat den kleinen Alex (Fedor Hoppe) aus der Weser gefischt, als der seinem über Bord gegangenen Teddy hinterhergesprungen war.

(Foto: MFA)

Auch ihr neuer Film "Rettet Raffi!" ist wieder ein Originalstoff. Wie gestaltete sich die Realisierung?

Schwierig. Meine Frau, die Schauspielerin Bettina Kupfer und ich, haben zunächst ein Exposé geschrieben. Aber fast alle Filmförderungsinstitutionen haben abgewunken. Oder es kamen große Verleiher hinzu, die gleich ihre eigenen Vorstellungen mit einbringen wollten, solche, die wiederum wir ablehnten.

Was störte Sie an deren Wünschen?

Bei uns stehen die Kinder im Mittelpunkt, nicht die Erwachsenen. Die sind zwar auch vorhanden, treten aber hinter den Kindern zurück und sollen der Idee dienen. Das sah ein großer Verleih und potenzieller Co-Produzent anders. Der wollte bei der Besetzung mitreden, plädierte für Stars, die ihre ganz eigenen Gags und Szenen kriegen sollten, praktisch mit den Kindern konkurriert hätten.

Wie sind Sie weiter vorgegangen?

Wir haben uns gesagt, wir lassen uns unsere Geschichte nicht verbieten. Wir haben eben ein Buch daraus gemacht, das 2012 als Hardcover erschienen ist. Das verkaufte sich dann auch gar nicht schlecht, wir waren auch zu vielen Lesungen eingeladen.

Damit hatten Sie ein Buch. Aber wie wurde daraus ein Film?

Irgendwann haben wir den Punkt erreicht, an dem wir uns sagten: Jetzt machen wir es selber! Wir haben ein Crowdfundingprojekt gegründet. . .

. . . eine sehr neuzeitliche Art der Geldbeschaffung.

Sogar zu neuzeitlich für einige unserer Unterstützer. Die haben gesagt, "ja wir finden eure Idee schon toll, aber wir mögen nicht in so eine Internetbank einzahlen". Die haben wir dann als Investoren gewonnen, und als wir die ersten 100 000 Euro beisammen hatten, haben wir auch Gelder von der Filmförderung bekommen und konnten die Finanzierung durch Beteiligungen stemmen.

Gibt es schon ein nächstes Projekt?

Obwohl ich eigentlich keine Fortsetzungen mag, denken wir bereits über "Raffi 2" nach. In der die Erlebnisse des Hamsters mehr im Mittelpunkt stehen. Weil wir gemerkt haben, wie sehr er die Kinder fasziniert.

Rettet Raffi! Montag, 29. Juni, 9 Uhr; Flussfahrt mit Huhn, Samstag, 4. Juli, 14.30 Uhr, Gasteig, Carl-Orff-Saal

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