Interview:"Von Waldsterben keine Spur"

TV-Produzent Wolfgang Rademann über die neue "Schwarzwaldklinik", die heile Welt und Pflaumen im Fernsehen.

Interview: Titus Arnu

SZ: Herr Rademann, Sie haben mit der 90-Minuten-Produktion einer neuen Schwarzwaldklinik begonnen, die ganz die alte von 1984 ist. Auch die meisten Schauspieler von damals sind wieder dabei. Wird die geplante Sendung zum 20. Geburtstag eine reine Nostalgie-Show?

Wolfgang Rademann: Das wird eine Familienfeier vom Feinsten. Wir haben das große Glück, dass fast alle Schauspieler von damals noch leben. Auch hinter den Kulissen arbeitet die alte Mannschaft: gleicher Regisseur, gleicher Kameramann, gleiche Kostümbildnerin. Es gibt ein Wiedersehen mit Professor Brinkmann, Schwester Hildegard und all den anderen. Wir drehen bis Anfang September im Glottertal, am Titisee und Umgebung. Der Schwarzwald ist noch genauso schön wie damals - von Waldsterben keine Spur.

SZ: Ja, wirklich herrlich: der schöne Wald, der nette Professor, die liebe Krankenschwester - heile Welt als Gegentrend zum Ekel-Programm der Privaten?

Rademann: Eher ein Gegenprogramm zur Realität. Die Leute haben genug von schlechten Nachrichten - und scheinen sich nach einer Welt wie in der Schwarzwaldklinik zu sehnen. Sie wollen eine Kleinstadt, Natur, eine Familie. Wenn ich jung wäre, würde ich sofort eine Fernsehserie machen, die einen Kontrast bietet zum miesen Wetterbericht, zur miesen wirtschaftlichen Lage und zur miesen Politik. Ich würde einfach den Leuten geben, was sie wollen.

SZ: Die Schwarzwaldklinik hat auch so funktioniert. War die Serie das Beste, das Sie erreicht haben?

Rademann: Das Beste war meiner Meinung nach Lili Palmer: Eine Frau bleibt eine Frau. Am meisten Spaß hat mir die Peter Alexander Show gemacht. Die Schwarzwaldklinik war auf jeden Fall das Erfolgreichste: Wir hatten bis zu 28 Millionen Zuschauer pro Folge.

SZ: Quote ist Ihr Erfolgsmaßstab?

Rademann: Ich würde sagen: Breitenwirkung. Die Quote war damals bei zwei Programmen nicht so wichtig wie heute. Heutzutage tritt den Sender-Verantwortlichen bei einer Quote von fünf Millionen ein Lächeln ins Gesicht, bei sechs Millionen ein Strahlen und bei sieben Millionen fallen sie in Ohnmacht. Bei den Werten der Schwarzwaldklinik können einem diese Zahlen nicht imponieren.

SZ: Das heißt, heutzutage sind solche Fernseherfolge ausgeschlossen?

Rademann: Ich bemitleide die Kollegen, die heute Fernsehunterhaltung machen. Die Schnelllebigkeit unserer Zeit tötet die Qualität unseres Fernsehens. Es gibt nicht einmal mehr Zeit, einen Nachspann in Ruhe anzuschauen. Kaum ist das dramatische Finale vorbei und der Nachspann läuft, haut einem der Sprecher um die Ohren, dass die nachfolgende Sendung noch spannender sei. Die Eigenwerbung der Sender tötet jede aufkeimende Emotion beim Zuschauer.

SZ: Schwarzwaldklinik war ein Familienereignis. Warum gibt es so etwas heute nur noch bei Wetten, dass...?

Rademann: Die Zeiten sind vorbei. Diese Form des Fernsehens ist ausgestorben. Fast alle Familien haben mehrere Fernseher, das Publikum splittet sich auf in zig verschiedene Zielgruppen. Einige sehen immer noch gerne Sachen wie Die Schwarzwaldklinik, und es gibt andererseits Junge, die sogar Die Alm gut finden.

SZ: Glauben Sie, dass Auswüchse wie Die Alm auf Pro Sieben wieder verschwinden?

"Von Waldsterben keine Spur"

Rademann: Leider nein. Ich dachte, dass Big Brother eine Ausnahmeerscheinung bleibt. Aber ich musste mich korrigieren - Trash ist anscheinend langfristig gefragt. Auch die Nachmittags-Talkshows mit diesen furchtbaren Laiendarstellern sind ja nicht unerfolgreich. Es gibt da einen Publikumsgeschmack, den man nicht unterschätzen darf, der einen aber auch traurig macht.

SZ: Gab es bei Ihrem eigenen Schaffen eine Trivialitäts-Grenze?

Rademann: Es gab eine Geschmacksgrenze. Es musste mir gefallen. Gemessen an dem, was man heute so sieht, war diese Grenze recht hoch. Aber das ganze Elend begann ja schon viel früher, mit der Erfindung der Fernbedienung. SZ: Wieso denn das?

Rademann: Früher musste man mit seinem Hintern aus dem Sessel hoch und das nächste Programm drücken. Nach dem dritten Aufstehen hatte man die Schnauze voll und schaute sich eben eine Sendung zu Ende an. Heute kann ich auf Knopfdruck den Sender wechseln, und damit ist diese schreckliche Ungeduld entstanden. Schon nach drei Minuten werden die Leute nervös und zappen weg. Dadurch hat sich die gesamte Dramaturgie geändert. Wir müssen mit der Wurst nach der Speckseite werfen, damit der Zuschauer dran bleibt.

SZ: Bei der Premiere der Schwarzwaldklinik sahen viele Kritiker den Untergang des Abendlandes. Heutzutage gilt die Serie als Kulturgut, das erfolgreich ins Ausland exportiert wurde.

Rademann: Für den internationalen Erfolg habe ich keine Erklärung, für die Rezeption in Deutschland schon. Auch die Kritiker haben sich eben der Zeit angepasst. Wenn ich heute Ponkie in der Abendzeitung lese und das mit der Ponkie vor 20 Jahren vergleiche, stelle ich fest, dass sie heute Sachen gut findet, bei denen sie damals Schaum vor dem Mund hatte. Selbst Spiegel, FAZ oder auch die Süddeutsche gehen heute milder mit der Fernsehunterhaltung um.

SZ: Nehmen Sie die Kritiken über Ihre Sendungen denn überhaupt wahr?

Rademann: Es gibt ja kaum noch welche, sieht man mal von der taz ab. Jede TV-Illustrierte und jede Tageszeitung hatte früher noch ihre Kritik-Seite. In den Blütezeiten hatten wir 38 verschiedene Kritiken zu einer Sendung. Heutzutage kriege ich keine zehn mehr zusammen.

SZ: Wie haben Sie die teilweise recht hämischen Kritiken an Schwarzwaldklinik und Traumschiff verarbeitet?

Rademann: Es gibt Profis unter den Kritikern, die habe ich hoch geschätzt. Die haben genau gesagt, was Scheiße ist. Ich bin dann mit der Kritik in der Hand in die Sitzung gegangen und habe vorgeschlagen, auf die Hinweise zu achten. Meistens war das auch richtig.

SZ: Sie gelten als Zeitungs-Junkie und sind berühmt für Ihre Plastiktüte voller Papier, die Sie mit sich herumschleppen. Lesen Sie immer noch so viel?

Rademann: Ja, ich habe täglich meine sechs Zeitungen: Bild, Welt, Abendzeitung, B.Z., Tagesspiegel, Hamburger Abendblatt - ein Riesen-Papierberg, den ich voller Ungeduld und Freude verschlinge. Ich nutze die Lektüre auch, um neue Geschichten zu finden und die Stimmung im Land zu spüren.

SZ: Sie haben früher mit Stars wie Peter Alexander, Harald Juhnke und Grit Böttcher gearbeitet. Wie sehen Sie die populären Figuren von heute - Daniel Küblböck, Dieter Bohlen, Stefan Raab?

Rademann: Mir tut es weh zu sehen, welche Pflaumen heute im Fernsehen sind: Nichtskönner, Leichtgewichte, junge Helden ohne Bestand. Damals gab es Stars, mit denen man Neuland betreten konnte. Ich habe mit Lili Palmer das Special erfunden, mit dem Verrückten Paar Juhnke und Grit Böttcher die Comedy eingeführt und Schwarzwaldklinik als erste Familienserie etabliert. Alles ist da gewesen, alles schon mal gemacht. Heute kann man nur sich selbst kopieren.

SZ: War Schwarzwaldklinik nicht ursprünglich auch eine Kopie? Rademann: Ja, sie entstand nach dem Vorbild der tschechischen Serie Das Krankenhaus am Rande der Stadt, die mit großem Erfolg in der ARD lief. Ich gebe zu: Ich habe mir immer Anregungen geholt im ausländischen Fernsehen. Das kann man heute nicht mehr machen: Es ist alles abgegrast. Auch international wurde alles hin- und herkopiert.

SZ: Falls Ihnen nichts mehr einfällt... - würden Sie sich im Schwarzwald zur Ruhe setzen? Jeden Tag ein Kännchen Kaffee Hag auf einer Terrasse am Titisee trinken? Rademann: (lacht) Nein, lieber nicht. Erstens ist mir noch immer irgendetwas eingefallen. Und zweitens liege ich lieber unter Palmen als unter Tannen.

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