Interview:Sam Peckinpah? Der war ein Wahnsinniger!

Mario Adorf über die Faszination des Bösen, die Tücken der Reiterei und über unangenehme Überraschungen bei Premieren.

Interview: S. Vahabzadeh, F. Göttler

Der Mann ist das Gedächtnis von beinahe fünfzig Jahren Filmgeschichte, unglaublich die Präzision, mit der er sich an kleinste Details erinnert, und grandios die Lust, mit der er seine Erlebnisse erzählt - nein wahrhaft heraufbeschwört.

Interview: Spielt das menschliche Gesicht des Bösewichts: Mario Adorf.

Spielt das menschliche Gesicht des Bösewichts: Mario Adorf.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Zu den Filmen, die zu Ihren Ehren auf dem Filmfest München laufen, gehört "Major Dundee", den Sie mit Charlton Heston machten unter der Regie von Sam Peckinpah - er wird in einer restaurierten Fassung zu sehen sein. Haben Sie von dem Krach, den Peckinpah mit dem Studio bekam, damals etwas mitbekommen?

Mario Adorf: Schon nach vierzehn Tagen kam das sogenannte Big Brass der Columbia runter nach Mexiko, mit der Absicht, den Regisseur zu feuern. Da hat sich Charlton Heston vor Peckinpah gestellt. Nach vier Monaten merkte man, dass der Film viel zu lang wurde, er musste bis zum 30. April abgedreht sein. Da hat Peckinpah drei, vier Tage lang, ohne jemals seine Stiefel auszuziehen, gedreht - der Kameramann, die Assistenten, alles was ersetzbar war, wurde in zwei Teams aufgeteilt.

Das war das einzige, was ich damals in Mexiko davon mitbekam. Zu meinem Leidwesen habe ich dann bei der Premiere in Rom gesehen, dass der Film statt knapp fünf Stunden nur zwei Stunden und zwanzig Minuten dauerte, und dass meine Rolle, die sowieso nicht riesig war, der Schere weitgehend zum Opfer gefallen war. Ich weiß nicht, wie es in der neuen Fassung ist - aber an der alten war ich nicht mehr so richtig beteiligt.

SZ: Ist das wirklich so, wie es immer wieder erzählt wird - kein Mensch hat einen gewarnt, und in der Premiere ist plötzlich von der eigenen Rolle nur noch die Hälfte übrig?

Adorf: Ja, das ist mir sogar bei der "Blechtrommel" passiert! In meiner Lieblingsszene kommen zwei SS-Männer in den Laden von Matzerath und wollen Oskar holen, um ihn in ein Heim zu bringen. Grass hat uns immer eingeschärft: Das sind alles bürgerliche Charaktere, aber jeder von ihnen hat einen heldenhaften Moment.

Und für Matzerath war das, wenn dieser Mitläufer, dieser Opportunist, dieser gehörnte Ehemann, dieser Feigling, sich an die Theke stellt und sagt: Ihr kriegt mein Kind nicht. Und dabei weiß er, dass er nicht der Vater ist.

In der Premiere stellte ich fest, dass die Szene weg war - das habe ich mit Schlöndorff immer wieder durchgesprochen, wir verstehen uns ja sehr gut. Und er sagte, es habe sich gezeigt, dass es solche Anstalten 1944 nicht mehr gab. Ich sagte: Ist doch egal! Die Szene ist doch gut! So was Ähnliches habe ich auch mit Floresto Vancini erlebt, als ich Mussolini spielte in "Die Ermordung Matteottis". Mussolini ist ja jeden Morgen ausgeritten, und ich sagte: Einmal nur, lass ihn doch einmal auf dem Pferd sitzen!

SZ: Da hat Sie aber die Rolle ganz schön fasziniert, dass Sie dafür gekämpft haben, dass Mussolini reiten darf.

Adorf: Das war eine Frage der Eitelkeit und der Fertigkeit - ich bin eben gut zu Pferde. Aber es wäre auch eine schöne Abwechslung gewesen, der Mann musste viel am Schreibtisch sitzen.

SZ: Haben Sie eine Lust daran entwickelt, finstere Figuren zu spielen?

Adorf: Ja - ich war da in einem ähnlichen Dilemma wie Bruno Ganz heute, im "Untergang". Man hat mir vorgeworfen, ich hätte den Mussolini zu sympathisch gemacht. Brecht hat gesagt: Wir müssen die Bösewichter denunzieren. Als ich den Arturo Ui gespielt habe, habe ich das getan - das kann man im Theater auch, eine Figur lächerlich machen, sie spielen im Sinne von Brecht. Aber im Kino regiert der Realismus. Ich kann doch jetzt den Mussolini nicht böser spielen als er war.

SZ: Es gibt ja auch keinen Bösewicht, der sich selbst als solcher sehen kann.

Adorf: Nicht mal seine Umwelt kann das - ich habe noch nie gehört, das jemand sagt: He, da drüben geht ein Bösewicht! Im Gegenteil, wenn man bei ganz schlimmen Verbrechern die Nachbarn fragt, sagen sie: "Ach, das war ein netter Mann." So ging es uns ja mit "Nachts, wenn der Teufel kam" - die Familie des Mörders, den ich dort spielte, hat bis zuletzt gegen den Film prozessiert. Ich habe ihn auch als Kranken gespielt, nicht als Bösewicht. Den gibt's eben nicht.

SZ: Das ist ja beim Kommissar Beizmenne in "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" auch so - eigentlich spielen Sie den sehr charmant.

Adorf: Das war wie beim Adenauer, dieser rheinische Dialekt lässt die Dinge weniger schlimm klingen.

SZ: Wer hatte diese Idee denn?

Adorf: Das habe ich mit Schlöndorff und vor allem mit Margarethe von Trotta ausgeschnapst. Die Arbeit mit den Schauspielern, das hat sie sehr gut gemacht.

SZ: Wenn Sie heute mit Schlöndorff arbeiten - Sie haben eben zusammen Theater gemacht, "Enigma" -, sprechen Sie dann viel mit ihm über den Charakter?

Adorf: Da hat er wenig eingegriffen in meine Schauspielerei, er ist ein kluger Mann und ich habe ja auf ihm bestanden. Wir haben "Enigma" in Norwegen und Berlin gedreht. Das war eine schöne Arbeit - wir saßen dann zusammen und haben gesagt: Wir haben viel mehr Spaß gehabt bei der Filmarbeit als beim Theater. Das war ein bisschen bitter für uns beide.

SZ: Wie sind denn die Erinnerungen an Sam Peckinpah?

Adorf: Der war ein Wahnsinniger. Aber Spaß gemacht hat es. War natürlich eine harte Zeit, wir sind ja durch halb Mexiko geritten. Charlton Heston hat dreißig Pfund abgenommen, weil er an Montezumas Rache litt. Er ist aber nie vom Pferd abgestiegen. Und als ihn einer fragte, warum er nicht aufs Klo geht, hat er gesagt: "I don't want to slow down production!"

Einmal ist er vom Pferd gefallen - da hat er beim Absteigen, ohne Sattel, etwas getan, was ein guter Reiter nicht tut, er hat das Bein über den Hals geschwungen, und das Pferd riss den Kopf hoch, und er knallte auf den Betonboden. Zwei Wochen später sollte er beim Reiten dieses berühmte "Hooo!" machen mit hochgestrecktem Arm, auf dem Pferd. Er versuchte es, aber es war nur ein "Ho...", mit dem Arm auf Halbmast. Peckinpah sagte: "Chuck, nicht so!"

Und dann musste er zugeben, dass er sich wehgetan hatte, und als Peckinpah fragte, warum er das nicht gesagt hat, antwortete er: "I didn't want to slow down production." Aber Peckinpah war auch schwierig, als ich mal einen Vorschlag machen wollte für meine Szene, sagte er nur: Lies das Drehbuch. Er hat mir dann in "The Wild Bunch" eine Rolle angeboten, aber ich hatte keinen Bock drauf, noch einen Mexikaner zu spielen.

Auch für "Steiner" hat er mir eine Rolle angeboten. Ich hatte die Nase voll von Peckinpah, mit allem Respekt. Er war ein toller Regisseur, aber auch ein rücksichtsloser, harter Knochen.

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