Süddeutsche Zeitung

Interview mit Tim Burton:"Ich mag richtig unkorrekte, blutige Horrorfilme"

Der Filmemacher über den Zyklus des Lebens und die Tänze des Todes, Pinocchio und Frankenstein, Johnny Depp und seine "Corpse Bride".

Interview: Susan Vahabzadeh

Vor einigen Wochen hat er uns mit Charlie zu Willy Wonka in die Schokoladefabrik geführt, nun geleitet uns Tim Burton, der sich mit "Edward mit den Scherenhänden", "Batman" und "The Nightmare Before Christmas" als Meister des phantastischen Kinos etabliert hat, in seinem Puppenfilm "Corpse Bride" ins Totenreich.

SZ: Das ist wirklich unglaublich, ein rührendes Zitat aus "Vom Winde verweht" in einem Tim-Burton-Film - heißt das, Ihr Filmgeschmack hat sich nun völlig gewandelt?

Tim Burton: Die Leute sagen immer, man verändert sich, wenn man ein Kind hat - aber das habe ich an mir aber noch nicht bemerkt. Nein, "Vom Winde verweht" passte einfach in diesem Moment des Films - wir wurden halt alle total von der Emotion mitgerissen, als wir die Szene gemacht haben. Und ich mag den Film schon, auch wenn ich ihn nicht jeden Tag sehen muss.

SZ: Die Emotionalität dieser Szene - die Toten tauchen auf einer Hochzeitsgesellschaft auf, und die Lebenden erschrecken sich erst, erkennen dann aber ihre verlorenen Liebsten wieder - ist ja wirklich überwältigend. So charmant wurde der Tod noch selten umarmt.

Tim Burton:Das hat natürlich damit zu tun, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Tod immer nur als düsteres Element betrachtet wird. Ich bin in Los Angeles aufgewachsen, da gibt es viele Latinos, die den "Day of Death" - das ist irgendwann um Halloween herum - feiern, mit tanzenden Skeletten. Da wird, obwohl es um den Tod geht, das Leben gefeiert. Dieses Herangehen wollte ich mir aneignen. Natürlich ist es traurig, wenn jemand stirbt, der einem nahe stand - aber ich wollte positiv damit umgehen.

SZ: Kommt daher also Ihre cineastische Vorliebe für Tod und Verwesung ?

Tim Burton:Die kommt eigentlich daher, dass ich immer Horrorfilme mochte. Ich mag sie einfach. Aber das ist natürlich symbolisch fürs Leben - Pflanzen wachsen, Jahreszeiten wechseln, Raupen werden Schmetterlinge und sterben. Das ist der Zyklus des Lebens: Composing and decomposing, erschaffen und verwesen, das gehört zusammen. Ich mochte als Kind "Frankenstein" und solche Sachen - da lernt man etwas über gesellschaftliche Irrtümer, das sind eigentlich Fabeln über Außenseiter. Aber ich mag auch richtig unkorrekte, blutige Horrorfilme, wenn sie den richtigen Ton treffen. Ich denke, die Leute nehmen solche Filme oft zu wörtlich - ich interessiere mich mehr für das Symbolische.

SZ: Bei der "Corpse Bride" Emily ist es Ihnen ja gelungen, dass man sie nach einer Weile sehr attraktiv findet, obwohl sie nicht mehr ganz vollständig ist.

Tim Burton:Wir haben sie einfach behandelt wie eine Schauspielerin. Sie wurde perfekt ausgeleuchtet, wurde gefilmt wie einen Star. Man kann Puppenfilme ja tatsächlich drehen wie einen normalen Realfilm. Es geht hier um eine Dreiecksbeziehung, und da ist es wichtig, das Gleichgewicht zu finden, man muss alle Figuren gleich mögen, finde ich. Für mich müssen schöne Liebesgeschichten immer auch eine bittere Komponente haben - die haben sie im Leben auch.

SZ: Wie wurden die Puppen entwickelt?

Tim Burton:Die ersten Entwürfe sind zwölf Jahre alt. Puppen muss man den technischen Möglichkeiten anpassen, man beginnt auf dem Papier und passt sie dann der dritten Dimension an. Das endgültige Design war fertig lange, bevor wir die Sprecher besetzt haben - deswegen wundert es mich, dass die Leute finden, Victor, den Johnny Depp spricht, sei ihm ähnlich.

SZ: Mit Johnny Depp arbeiten Sie schon seit 15 Jahren - besetzen Sie ihn als Ihr Alter Ego?

Tim Burton:Ich weiß nicht, ich arbeite gern mit ihm, weil er willens ist, sich in alle möglichen Sachen hineinzuversetzen. Aber ich habe immer das Gefühl, wir haben ein sehr ähnliches Empfindungsvermögen. Mit Schauspielern für einen Puppentrickfilm arbeiten, das ist wirklich ein eigenartiger Job, denn man hat sie nie gemeinsam bei der Arbeit, und manchmal liegen diese verschiedenen Aufnahmen auch noch Monate auseinander. Ich hatte also Glück, dass ich so eine unglaubliche Besetzung zusammengebracht habe - Johnny und Helena Bonham Carter, meine Frau, und Albert Finney - die kannte ich alle schon - und ein paar, die ich immer schon großartig fand, Joanna Lumley und Tracey Ullman und Emily Watson.

SZ: Haben Sie sich all der britischen Schauspieler wegen entschieden, die Geschichte in England spielen zu lassen?

Tim Burton:Es sollte eigentlich ein Märchenland sein, in der die Geschichte spielt, aber an dem viktorianischen Setting, für dass ich mich entschieden habe, gefiel mir, dass das Land der Lebenden so sehr viel lebloser wirkt als das Totenreich. Grau und expressionistisch und feucht, im Gegensatz zu einem viel freundlicheren Totenreich.

SZ: Sie haben bei Disney angefangen, mit Zeichentrickarbeiten, lange vor "Batman" - was halten Sie denn von der Computerrevolution der letzten Jahre?

Tim Burton:Ich denke, die technische Seite wird überbewertet. Pixar ist nicht wegen der Computer per se erfolgreich, sondern weil sie gute Filme machen. Bei der Art von Animation, die ich mache, muss man froh sein, wenn sie sich im Kino gut genug schlägt, dass sie am Leben bleiben darf: Dass man das beschützen kann, was man liebt.

SZ: Können Sie das inzwischen, rein filmisch gesehen?

Tim Burton:Man versucht's. Ich hatte Glück und habe mich wie ein bewegliches Ziel in Situationen rein manövriert - und wieder heraus. Ich sitze immer zwischen allen Stühlen, man nennt mich weder Indie-Regisseur noch Studio-Regisseur, aber ich möchte sowieso kein Label haben. Filmemachen ist so teuer, und ob man das Geld nun von einem Studio bekommt oder von einem seltsamen Konglomerat aus ausländischen Investoren - man ist immer jemandem verpflichtet.

SZ: Warum fühlen sich viele Leute zum Puppentrick mehr hingezogen als zu Zeichnungen?

Tim Burton:Ich weiß es nicht wirklich, aber bei mir ist das so: Puppen sind etwas besonderes, sie haben immer etwas Handgemachtes, Emotionales, mit dem man sich identifizieren kann. Sie sind da, man hat sie angefasst, es steckt menschliche Energie drin. Und das ist was anderes, als ob jemand in den Computer gehackt hat. Ich habe Puppen schon immer geliebt Das ist Pinocchio, das ist Frankenstein - man erweckt das unbeseelte Objekt zum Leben.

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Quelle:
SZ vom 2. November 2005
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