Süddeutsche Zeitung

Interview mit russischem Kunstsammler:"Was ich haben will, das kaufe ich"

Lesezeit: 6 min

Der russische Oligarch und Kunstsammler Pjotr Awen über explodierende Kunstmärkte, patriotische Pflichten und seine museumsreife Sammlung.

Sonja Zekri

Russische Sammler gelten als eine kaufkräftige, aber scheue Spezies. Sie fliegen im eigenen Jet zu den Auktionen in London oder New York, reisen mit ihren Käufen ab - und schweigen. Auf dem Kunstmarkt fürchtet man diese neuen Sammler, denn sie zahlen Preise, die sich kein Museum mehr leisten kann. Einer der wenigen Kunstliebhaber der ehemaligen Sowjetunion, der offen über seine Sammlung spricht, ist Pjotr Awen, der Präsident der Alfa-Bank.

SZ: Im vergangenen Mai hat ein unbekannter Oligarch Picassos "Dora Maar mit Katze" bei Sotheby's für 95 Millionen Dollar gekauft. Bis heute grübelt die Branche darüber, wer es war. Sie gehören zum Kreis der Verdächtigen.

Awen: Ich war es nicht. Aber ich weiß, wer es hat. Ein berühmter Oligarch, ein Georgier. Das Bild ist jetzt in Georgien, wo er es im Museum für Moderne Kunst ausstellen wird.

SZ: Das wissen Sie genau?

Awen: Da wird's gezeigt, hundertprozentig. Er hat es mir gesagt.

SZ: Für Sie war der Picasso nicht interessant?

Awen: Ich kaufe nur russische Kunst. Bis jetzt habe ich 250 Werke an drei Orten: Auf unserer Datscha, einem Holzhaus eine halbe Stunde von Moskau entfernt, in London und hier in Moskau. Im wesentlichen sammele ich Künstler aus der Zeit vor der Avantgarde.

Das beginnt mit den Reminiszenzen an die französische Kunst des 18. Jahrhunderts, geht über in die Gruppe "Blaue Rose" Anfang des 20. Jahrhunderts, dann folgt das Übliche, vor allem die Künstler der Gruppe "Bubnowy Walet", "Karobube" ...

SZ: ...einer Cezanne-inspirierten Moskauer Künstlergruppe, die zwischen 1910 und 1917 ausstellte.

Awen: Da sind wir bereits nah am deutschen Expressionismus. Von den "Karobube"-Künstlern habe ich die wichtigsten Werke, die finden Sie nicht mal im Museum. Ich habe das Beste von Michail Larionow, von Natalia Gontscharowa, Ilja Maschkow, Pjotr Kontschalowsky. Über die Jahre habe ich vielleicht ein, zwei Bilder verpasst, mehr nicht. Wenn ich etwas wirklich haben will, dann kaufe ich es. Das bereitet mir ein physisches Vergnügen - wie beim Sport oder im Geschäft. Nur ist Kunst entspannender.

SZ: Sie sammeln Künstler aus dem "Silbernen Zeitalter", aus den Jahrzehnten vor der Sowjetunion. Warum?

Awen: Es ist eine untergegangene Welt. Die Lyrik, die Literatur, alles ist verschwunden. Ich war der erste in Moskau, der sich ernsthaft für diese Periode interessiert hat. Die anderen sammelten Maler des russischem Realismus' aus dem 19. Jahrhundert wie Schischkin. Aber dann kauften sie ähnliche Werke wie ich, und die Bilder wurden sehr teuer. Larionow verkauft sich heute für 3,2 Millionen Euro. Und glauben Sie mir, das ist nicht das Ende. Inzwischen gehe ich gar nicht mehr zu Auktionen.

SZ: Zu teuer?

Awen: Irrational.

SZ: Aber Sie haben doch mitgeholfen, die Preise so explodieren zu lassen.

Awen: Ja. Aber was passiert ist, ist passiert. Die Bieter bei Sotheby's oder Christie's bauen heute keine Sammlungen auf so wie ich. Und wer nur Einzelwerke kauft, zahlt jeden Preis.

SZ: Im Jahr 2000 machte Sotheby's mit seiner Abteilung für Russische Kunst 5,5 Millionen Euro Umsatz, 2006 waren es 81 Millionen Euro. Nach den Impressionisten, zeitgenössischer Kunst und den Alten Meistern ist keine Abteilung so umsatzstark wie die russische.

Awen: Einige der Preissprünge sind gerechtfertigt, andere nicht. Natalia Gontscharowa beispielsweise sollte noch viel teurer verkauft werden. Die Russen sind bekannt dafür, dass sie mit Geld großzügig umgehen. In Moskau ist überall Geld. Wir haben eine ungeheure Umverteilung des Reichtums erlebt.

90 Prozent der Reichen kommen aus armen Verhältnissen. Als Kind hatte ich kein heißes Wasser, keine Heizung. Meine Mutter musste Holz für den Ofen sammeln. In Moskau!Ich habe darüber mal mit einem Kollegen meiner Einkommensklasse gesprochen...

SZ: ...ein schöner Ausdruck: ein Kollege Ihres Einkommens...

Awen: Er hatte kein heißes Wasser, bis er 30 war.

SZ: Das hat sich ja inzwischen geändert. Russische Sammler fliegen nach Venedig, Florida oder Köln. Sie auch?

Awen: Nein. 90 Prozent der Leute, die sich auf diesen Messen herumtreiben, haben keine Ahnung von Kunst.

SZ: Sie meiden Auktionen, Sie besuchen keine Messen. Wie kaufen Sie?

Awen: Ich bekomme jeden Tag E-Mails und Anrufe von Händlern aus der ganzen Welt. Ich genieße den Ruf, schnell zuzugreifen. Letztens rief ein Sammler aus London an, er brauchte Geld. Ich kaufte ihm zwei Werke ab. Heute kam ein Angebot für eine Sammlung russischer Avantgarde herein. Aber das sind Fälschungen. SZ: Woher wissen Sie das?

Awen: Ich habe zweimal große Sammlungen russischer Kunst außerhalb Russlands gekauft, in der Schweiz und in Deutschland, in Köln von einem sehr bekannten Typen aus Russland. Ich weiß, was noch übrig ist. Russische Avantgarde in der Schweiz? Unmöglich.

SZ: Sie gehören zu den wenigen russischen Kunstliebhabern, die über ihre Sammlungen sprechen. Warum sind die anderen so verschwiegen?

Awen: Nicht alle können sich richtig ausdrücken, und nicht alle zahlen Steuern. Außerdem gibt es in Moskau sowieso nur wenige seriöse Sammler.

SZ: Wie viele genau?

Awen: Zehn.

SZ: Drängt sich Kunst als Freizeitbeschäftigung auf, wenn man über genügend Geld verfügt?

Awen: Bei mir fing es schon in der Kindheit an. Unter meinen Freunden waren viele Künstler, Komar und Melamid zum Beispiel. Wir lebten im selben Haus, meine Mutter ist mit Melamids Mutter befreundet. Und als sie emigrierten, ließen sie ihre Bilder zurück. Ich war damals 17. Ich war immer umgeben von Künstlern und Musikern.

SZ: Ihr erstes Bild?

Awen: Ein Kusnezow. Ich habe es 1993 für 5000 Dollar gekauft. Heute ist es das Zehnfache wert, aber ich würde es nie hergeben.

SZ: Warum beschränken Sie sich auf russische Kunst?

Awen: Als ich anfing, hatte ich nicht das Geld für die Impressionisten. Außerdem will ich eine einheitliche Sammlung aufbauen. Ein bisschen Kirchner, ein bisschen Goya, das ist nichts für mich. Und natürlich war es naheliegend. Ich lebe seit 50 Jahren in Moskau. Ich weiß, wo ich billig kaufen kann und wo ich interessante Werke finde. Man muss seinen Standortvorteil nutzen - wie im Geschäftsleben.

SZ: Ihr Kollege Wiktor Wechselberg hat die Fabergé-Eier nach Russland gebracht, als Morgengabe für Präsident Wladimir Putin. Fühlen Sie als Sammler eine patriotische Verpflichtung?

Awen: Ich habe viele Motive, aber ja, es gibt auch einen patriotischen Impuls. Sammeln heißt Bewahren. Ich werde bald einen Katalog rausbringen, vielleicht baue ich eines Tages ein Museum.

SZ: Wann? Derzeit ist Ihre Sammlung ein Vergnügen für einen sehr exklusiven Kreis.

Awen: Oh, ich lade jedes Wochenende Gäste ein, nicht nur Freunde, sondern auch Journalisten und Museumsleute.Bildung beginnt immer erst in einem Teil der Gesellschaft. Wenn Sie sehr gute Sammlungen besitzen, kann dies die Gesellschaft beeinflussen.

SZ: Wie kann eine Sammlung in Ihrer privaten Datscha die Gesellschaft beeinflussen?

Awen: Ich wurde ja auch durch ein paar Moskauer Wohnungen geprägt. Da wurde musiziert, diskutiert. Man muss ein Umfeld schaffen, eine Atmosphäre. Das ist viel wichtiger als Museen. Wenn die Klassenkameraden meiner Kinder zu uns kommen - glauben Sie mir, ein oder zwei von ihnen werden eines Tages selbst Kunst sammeln.

SZ: Sammler wie Sie besitzen museumswürdige Kollektionen, aber die russischen Museen sind in einem erbärmlichen Zustand und werden von den eigenen Mitarbeitern ausgeraubt - wie im vergangenen Jahr die Eremitage.

Awen: Ich bin entschieden gegen krumme Sachen. Aber es stimmt, in Russland gibt es nur zwei Museen für russische Kunst mit nennenswerten Kollektionen: Die Tretjakow-Galerie in Moskau und das Russische Museum in Sankt Petersburg. Der Rest hat nicht zwanzig Prozent des Wertes meiner Sammlung.

Aber die Museen in Moskau besitzen Hunderttausende unglaublicher Stücke, die sie nie zeigen können. Wenn ich Kulturminister wäre, würde ich Werke aus Moskau und Sankt Petersburg in die Provinz schicken, wo man sie endlich sehen könnte.

SZ: Russland trumpft mit neuem Selbstbewusstsein auf. Welche Rolle spielt dabei die Kultur?

Awen: Schwer zu sagen. Die Kultur befindet sich in einem gewaltigen Umbruch. Ich gehöre zur Jury des Preises "Das große Buch". Mit 100000 Dollar ist es der höchstdotierte Literaturpreis in Russland. Aber es gibt nicht einen einzigen herausragenden Dichter - zum ersten Mal seit 200 Jahren. Es gibt keinen singulären Maler. Meine Kinder muss ich drängen, damit sie mal ein Buch in die Hand nehmen.

SZ: Kunst verliert man nicht so leicht wie einen lukrativen Posten, sie ist wertbeständiger als Aktien. In einer Zeit, da sich selbst Oligarchen ihres Reichtums nicht sicher sein können, sind Gemälde eine vergleichsweise sichere Geldanlage.

Awen: Das stimmt. Seit zwei, drei Jahren baue ich außerdem eine zweite Sammlung auf, Porzellan mit sowjetischer Propaganda. 300 Stücke habe ich bereits. Die Sammlung ist fast komplett.

SZ: Und was kommt danach?

Awen: Ich mag deutsche Kunst, den Neuen Realismus, Dix zum Beispiel.

SZ: Bitte ruinieren Sie nicht auch den deutschen Markt.

Awen: Keine Sorge, außerdem sind die Preise schon ziemlich hoch.

SZ: Würden Sie Video-Kunst kaufen?

Awen: Nein.

SZ: Sie haben einen konservativen Geschmack.

Awen: Ich bin konservativ.

SZ: Und zeitgenössische Kunst ist in Russland oft umstritten. Die Gruppe "Blaue Nasen" malt Jesus, Puschkin und Putin als neorussische Dreifaltigkeit, was manchen aufbrachte. Die Ausstellung "Vorsicht, Religion!" im Sacharow-Zentrum wurde verwüstet, der Museumsdirektor verurteilt. Kunst aus dem 19. Jahrhundert ist unverfänglicher.

Awen: Das stimmt. Kunst sollte sich aus der Politik heraushalten.

SZ: Gilt das auch für - wie sagten Sie? - "Menschen Ihres Einkommens"?

Awen: Absolut.

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Quelle:
SZ vom 13.8.2007
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