Interview mit Oscar-Preisträgerin Diablo Cody:Bekenntnisse einer Exhibitionistin

Die Dita von Teese der diesjährigen Oscar-Verleihung über ihr Vorleben als Stripperin, den Blog, mit dem sie berühmt wurde, ihr gekröntes Drehbuch "Juno", starke Frauen und weiche Männer.

Anke Sterneborg

Auf den ersten Blick wirkt Diablo Cody wie die große Schwester ihrer Figur "Juno"- ein bisschen älter gewiss, aber trotzdem genauso neugierig und spontan, mit Klamotten aus dem Vintageshop, mit einem Pagenschnitt und verschmitzten Grübchen in den Wangen. Im Gespräch darf man sich fast wie eine Freundin fühlen, auf die sie mit sprudelnder Offenheit reagiert.

Interview mit Oscar-Preisträgerin Diablo Cody: Diablo Cody, mit bürgerlichem Namen Brook Busey, beim Oscar-Abräumen.

Diablo Cody, mit bürgerlichem Namen Brook Busey, beim Oscar-Abräumen.

(Foto: Foto: ap)

SZ: Sie sind berühmt geworden mit einem Blog, in dem Sie mit entwaffnender Offenheit und frecher Schnauze aus Ihrem Leben und von Ihren Gefühlen erzählen: Das klingt so, als würden Sie Ihr Tagebuch öffentlich führen?

Cody: Seit ich denken kann, schreibe ich Tagebuch. Ich habe da immer sehr viel Mühe reingesteckt, und es erschien mir sinnlos, dass es nur für mich war. Als dann 2000 die ersten Blogs auftauchten, war das perfekt für mich: Ich konnte über mein Leben reden und bekam Feedback, der Exhibitionistin in mir ist das sehr entgegengekommen. Sobald ich rausgetüftelt hatte, wie man bloggen kann, habe ich es getan. Damals war das noch eine wilde frontier da draußen, man musste wirklich etwas von Computern verstehen, heute kann das jedes Kind. Als ich dann mit dem Strippen anfing, schlug es richtig ein. Plötzlich hatte ich ein Thema, das Aufmerksamkeit erregte, und nach einer Weile fingen die Leute an, über mich zu schreiben.

SZ: Der körperliche Strip auf der Bühne der Rotlichtbars und der Seelenstrip im Internet - sind das zwei unterschiedliche Arten, sich zu entblößen?

Cody: Absolut, es ist wirklich so, ich entblöße mich und empfinde das inzwischen als zweischneidiges Schwert. Viele Jahre lang habe ich das sehr genossen, weil ich sehr stolz darauf bin, offen und ehrlich zu sein und nichts zu verbergen. Aber inzwischen stelle ich immer häufiger fest, dass ich mich nach mehr Privatheit sehne. Aber es ist sehr schwer, das wieder rückgängig zu machen.

SZ: Ging es Ihnen beim Strippen vor allem um Provokation - oder war da auch Neugier im Spiel?

Cody: Das war eine Rebellion gegen meine Herkunft und meine Erziehung, die ich nie als schlecht empfunden habe, sondern nur als extrem vanilleweich. Mein Leben verlief immer sehr geordnet, und ich hatte immer das Gefühl, dass das überhaupt nicht zu mir passt. Als ich dann über die Schriftstellerboheme las, hatte ich das Gefühl, dass ich auch aus dem Koffer leben und die Welt erkunden sollte, statt in einem biederen Vorort von Chicago dahinzuschimmeln, jeden Morgen aufzustehen und in die Schule zu gehen. Mit 25 fragte ich mich, ob es schon zu spät war, noch einmal anzufangen und ein Freak zu werden - und mir wurde klar, dass es nicht zu spät war.

SZ: Was war das Beste, was war das Schlimmste an der Arbeit im Rotlichtmilieu?

Cody: Das Beste war die Autonomie, die man da hat. Im Vergleich zu Büroarbeit ist der Stripperalltag unglaublich befreiend, man bestimmt seine Arbeitszeit, man kommt und geht, wann man will, meistens jedenfalls, man lebt nach seinem eigenen Rhythmus. Das Schlimmste ist, wenn du begreifst, dass auf deinen Körper ein Preisgeld ausgesetzt ist, dass du wie eine Ware behandelt wirst. Doch das passiert in Hollywood ganz genauso - auch wenn ich das persönlich noch nicht erlebt habe.

SZ: Wann kam der Punkt, an dem Sie wussten, jetzt reicht es?

Cody: Das war Zufall, ich mache immer alles ganz spontan und denke nicht gerne über Dinge nach, bevor ich sie tue. Eines Tages habe ich mich beim Strippen umgeschaut und wusste, es war vorbei. Ich habe meine Kleider angezogen und meinen Manager gefragt, ob ich den Rest des Tages freihaben kann, ging und kam nie wieder zurück.

Bekenntnisse einer Exhibitionistin

SZ: Ihre nächste Geschichte handelt von einer Cheerleaderin, die zur Serienmörderin wird: Das klingt ein bisschen wie der Karrierewechsel von der Autorin zur Stripperin . . .

Interview mit Oscar-Preisträgerin Diablo Cody: Diablo Cody wurde 2005 durch ihren Blog "Pussy Ranch" bekannt, in dem sie offene und sarkastische Einblicke in ihr Leben als Stripperin im Nachtleben von Minneapolis gab. Daraus wurde das Buch "Candy Girl". Für "Juno", ihr erstes Script, gewann sie im Februar prompt den Oscar - und brachte damit einen völlig neuen Ton nach Hollywood. Ihre Blitzkarriere kommentiert die schlagfertige 29-Jährige so: "Sie können mir die schönsten Kleider und den teuersten Schmuck anziehen. Sie können mir Preise geben und die Hornhaut von meinen verdammt großen Füßen abfeilen - und trotzdem werde ich immer ich selbst sein. Und ich werde mich nie schämen."

Diablo Cody wurde 2005 durch ihren Blog "Pussy Ranch" bekannt, in dem sie offene und sarkastische Einblicke in ihr Leben als Stripperin im Nachtleben von Minneapolis gab. Daraus wurde das Buch "Candy Girl". Für "Juno", ihr erstes Script, gewann sie im Februar prompt den Oscar - und brachte damit einen völlig neuen Ton nach Hollywood. Ihre Blitzkarriere kommentiert die schlagfertige 29-Jährige so: "Sie können mir die schönsten Kleider und den teuersten Schmuck anziehen. Sie können mir Preise geben und die Hornhaut von meinen verdammt großen Füßen abfeilen - und trotzdem werde ich immer ich selbst sein. Und ich werde mich nie schämen."

(Foto: Foto: ap)

Cody: Diese Frau ist völlig besessen von dieser ungreifbaren Macht, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Als ich das Drehbuch im Sommer 2006 schrieb, spiegelte es viele meiner eigenen Ängste. Damals hatte ich gerade das "Juno"-Skript verkauft, Journalisten begannen sich zu melden, Regisseure riefen an, innerhalb eines einzigen Jahres hatte sich mein Leben dramatisch verändert, und manchmal hatte ich das Gefühl, gar nicht mehr ich selber zu sein. Also habe ich dieses Drehbuch geschrieben, über ein Mädchen, das von einer dunklen Macht bestimmt wird. Alles was ich schreibe, hat sehr viel mit meinem Innersten zu tun.

SZ: Empfinden Sie Ihren ungeheuren Erfolg schon als Fluch?

Cody: Nein, ich will mich nicht beschweren, das ist alles ein Traum. Aber es gibt Aspekte, die albtraumhaft sind. Jeder Mensch, der morgens anonym aufwacht, sollte dankbar dafür sein, weil man dann nur für das gehasst oder geliebt wird, was man tatsächlich selbst tut. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, projizieren die Leute all ihre eigenen Unsicherheiten und Hoffnungen auf dich - und sie urteilen völlig irrational. Das empfinde ich als ungeheuer ermüdend, und ich bin nicht mal berühmt, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das für jemanden wie Brad Pitt sein muss.

SZ: Im Internet gibt es auch schon Hasstiraden auf Sie. . .

Cody: Das ist schwer für mich, ich bin ein Mensch, der sich alles sehr zu Herzen nimmt. Ich musste mich wirklich zwingen, vom Internet fernzubleiben, irgendwann habe ich zu meinem Selbstschutz tatsächlich so ein Schloss an meinem Computer angebracht, wie das sonst Eltern bei ihren Kindern tun. Eine Zeitlang habe ich wirklich jeden einzelnen Tag geweint, weil es immer neue Gemeinheiten gab, die irgendjemand über mich geschrieben hat.

SZ: Ist das der Grund, warum Ihr "Pussy Ranch"-Blog geschlossen ist?

Cody: Alle sagen immer, mein Blog sei geschlossen, doch wenn Sie genau schauen, dann gibt es einen Link zu MySpace. Dort kann ich besser kontrollieren, wer meinen Blog liest und wer kommentieren darf.

SZ: Wie unterschiedlich ist Ihr Ansatz beim Blog- oder Drehbuchschreiben?

Cody: Bloggen begreife ich gar nicht als Schreibarbeit, das ist einfach nur Gehirnentrümpelung. Drehbuchschreiben ist dagegen richtige Arbeit, ein Schöpfungsakt.

SZ: Wo haben Sie sich Rat und Inspiration geholt?

Cody: Bei jedem einzelnen Film, den ich jemals gesehen habe, vor allem die kleineren Filme mit den persönlicheren Geschichten. Es mag seltsam klingen, aber direkt bevor ich mit dem Schreiben anfing, habe ich "Napoleon Dynamite" gesehen, und dieser Film hat mich sehr bestärkt. Vorher dachte ich immer, dass meine Idee vielleicht viel zu klein und unwichtig ist, um daraus einen Film zu machen. Dann kam diese kleine Geschichte über einen seltsamen Typen und seinen merkwürdigen Freund, die in Idaho einen Schulwahlkampf führen. Und sie hat so vielen Menschen Spaß bereitet, plötzlich wurden die Dialoge überall zitiert. Da dachte ich mir, wenn die das können, kann ich es auch!

SZ: Die Männer stehen bei Ihnen ja sehr im Schatten all dieser starken, schillernden Frauen.

Cody: Das gefällt mir, und es ist natürlich kein Zufall: Mir ist irgendwann klar geworden, dass die wichtigsten Männer in meinem Leben immer Beta-Männchen sind, sie sind alle ein bisschen stiller und schüchterner, ja fast schon unterwürfig. Mein Vater ist ein sehr sanfter Mann, genau wie mein Bruder, mein Ex-Mann ist ein echter Schatz. Ich habe mich niemals mit aggressiven Machomännern umgeben und wüsste darum auch gar nicht, wie ich über sie schreiben sollte.

SZ: Hat es Sie überrascht, dass ein Filmproduzent in der Welt der Blogs nach Talenten sucht?

Cody: Auf den ersten Blick erscheint das in der Tat seltsam, aber genauer betrachtet ist es eine richtig gute Idee, im Internet nach Talenten zu suchen. Ganz einfach, weil sich da unglaublich viele Autoren selbst präsentieren, und viele von ihnen sind sehr talentiert.

SZ: Einerseits sind Ihre Geschichten ganz nah an Ihrer eigenen Erfahrung, andererseits arbeiten Sie mit extrem stilisierten Dialogen: Ist das Ihre Art, die Wirklichkeit zu filtern, sich zu schützen?

Cody: Ich liebe einfach die Sprache, ihren Rhythmus, ihre Melodie - und es würde mich überhaupt nicht interessieren, einen Film zu schreiben, in dem die Leute ganz realistisch und alltäglich daherreden. Geschliffene Dialoge sind großartig, ich freue mich, wenn die Menschen sagen: 'Hey, das klingt cool!' Wenn ich ein paar Leuten bei einer langweiligen Unterhaltung zuhören will, kann ich doch einfach vors Haus gehen.

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