Süddeutsche Zeitung

Interview mit Natalie Portman:Stolz und Vorurteil

Sex und Verführungskunst sind entscheidende Mittel, um am Hof von Heinrich VIII. voranzukommen. Warum die heutige Gesellschaft ähnlich funktioniert, erzählt Natalie Portman im Interview.

Interview: Tobias Kniebe

Natalie Portman, 26, die intelligenteste Nachwuchskraft des amerikanischen Kinos, in "Die Schwester der Königin" als Anne Boleyn, smarte, skrupellose Aufsteigerin am Hof Heinrichs VIII. - da müssen die Funken sprühen.

SZ: Was war das Schwerste an dieser doch sehr harten Rolle?

Natalie Portman: Interessanterweise vor allem die freundlichen Augenblicke. Die Schwestern Mary und Anne Boleyn haben eine besondere Verbindung, sie sind sich sehr nahe. Wir wollten die Liebe, die sie im Geheimen zusammenschweißt, unbedingt spürbar machen - damit auch klar wird, welche schmerzhafte Dimension später der Verrat zwischen ihnen hat. Die leichten Momente waren besonders schwer zu finden.

SZ: Sex und Verführungskunst sind entscheidende Mittel, um am Hof von Heinrich VIII. voranzukommen. Ganze Familienschicksale hängen daran. Diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei. Oder?

Portman: Gar nichts ist vorbei. Damals waren es die Familien, die ihre Töchter in arrangierte Hochzeiten hineintrieben - oder einfach dazu, mit einem mächtigen Mann zu schlafen. Das konnte die Position des ganzen Klans verbessern. Heute beschließen viele Frauen freiwillig, auf dieselbe Weise eine Position in der Gesellschaft zu erreichen. Warum tun sie das? Sind es internalisierte Rollenmuster, von denen wir uns bis heute nicht völlig gelöst haben? Oder ist es wirklich der einzige oder gar der beste Weg, den ihnen die gegenwärtige Gesellschaft bietet? Man kann bei diesen Themen sehr ins Grübeln kommen . . .

SZ: Ein weiterer aktueller Aspekt sind die Gerüchte, die Verurteilungen, die öffentliche Aufmerksamkeit, denen die Menschen im Umkreis des Königs ausgesetzt sind. Erlebte Anne Boleyn bereits dieselbe Hetzjagd wie moderne Stars?

Portman: Das kann man so sehen. In gewisser Weise ist sie öffentliches Eigentum - genauso wie man heutzutage öffentliches Eigentum wird, wenn man in ein paar großen Filmen mitgespielt hat. Als Schauspieler ist man in einer sehr verwundbaren Position, man stellt sich gewissermaßen mit Haut und Haaren vor die Meute. Jeder kann einen beurteilen oder verurteilen, man verliert den Schutz, der normalen Menschen zusteht. Niemand würde zum Beispiel einem Unbekannten auf der Straße eine Kamera ins Gesicht halten und einfach abdrücken. Nur bei Stars und Prominenten gilt das als okay. Man braucht also ein ziemlich dickes Fell, wenn man sich in diese Welt hineinbegibt - aber man bekommt natürlich auch viel zurück. In meinem Fall zum Beispiel die Möglichkeit, tolle Rollen zu spielen.

SZ: Sie haben oft davon gesprochen, wie gut Ihre Eltern Sie vor den Gefahren geschützt haben, die auf Kinderstars lauern. Beneiden Sie Ihre wilderen jungen Kollegen um Verletzungen, aus denen sich auch große Kunst destillieren lässt?

Portman: Also, ich rede darüber nie - aber ich habe viele Dinge durchgemacht, die ich niemandem wünsche, die nie hätten passieren sollen. Glauben Sie mir, an Verletzungen, von denen ich zehren kann, herrscht kein Mangel.

SZ: Anne Boleyn sprengt alle Grenzen des gesellschaftlich akzeptierten Verhaltens - aber in Ihrer Darstellung muss man sie dafür auch bewundern . . .

Portman: Wissen Sie, es ist doch so: Wenn Frauen es wagen, sich offen zu ihrem Ehrgeiz zu bekennen, stehen sie bis heute heftig im Feuer. Natürlich ist Anne Boleyn hemmungslos, sie gibt keine Ruhe, bis ihre Konkurrenten erniedrigt und entmachtet sind. Auf der anderen Seite ist sie ein Motor der Veränderung - ohne ihre Entschlossenheit sähe England heute völlig anders aus. Dieses Muster sieht man auch in unserer Zeit noch, in viel weniger extremen Fällen: Ambitionierte Frauen werden als kalt und gewissenlos hingestellt, obwohl sie eigentlich nur Erfolg haben wollen - und nichts anderes tun, als die nötigen Schritte dafür zu unternehmen. Männer werden für ein solches Verhalten nie kritisiert.

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Quelle:
SZ vom 6.3.2008/ehr
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