Interview mit Naomi Wolf:Bush ist wie Hitler - oder jedenfalls ein bisschen

"So haben die das in Deutschland auch gemacht": Foltergefängnisse, Rechtsbeugung, Schikane - Kulturkritikerin Naomi Wolf warnt vor der Demontage der Demokratie in Amerika.

Andrian Kreye

Die Kulturkritikerin Naomi Wolf, Verfasserin von Büchern wie "The Beauty Myth" und "Fire with Fire", galt Anfang der neunziger Jahre als Speerspitze eines neuen Feminismus'. 1996 engagierte US-Präsident Bill Clinton sie als Beraterin für seinen Wahlkampf. Vier Jahre später beriet sie den Präsidentschaftskandidaten Al Gore.

Bush Hitler Naomi Wolf

Tochter von Holocaust-Überlebenden: Naomi Wolf.

(Foto: Foto: Reuters)

Heute arbeitet Naomi Wolf für die Soros Foundation in der Friedensforschung. Im Herbst veröffentlichte sie ihr neuestes Buch, "The End of America: A letter of warning to a young patriot", das sich mit den Folgen der Regierung Bush auseinandersetzt.

SZ: Sie vergleichen die Jahre der Bush-Regierung mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten. Kann man Bush wirklich mit Hitler vergleichen?

Naomi Wolf: Da müssen wir gleich mal differenzieren. Ich vergleiche Bush nicht mit Hitler. Ich ziehe nur Parallelen. Es gibt bestimmte Muster und Praktiken, die immer wieder auftauchen, wenn der demokratische Prozess gefährdet wird. Es wäre sehr dumm, wenn wir das nicht begreifen und nicht aus der Geschichte lernen würden.

SZ: Das klingt zwar differenzierter, ist aber immer noch ein Vergleich. Ziehen Sie diese Parallelen nicht gerade, weil sie rhetorische Sprengsätze sind?

Wolf: Durchaus. Gleich nach dem Holocaust war es ein Zeichen von Respekt, dass bestimmte Diskussionen tabu waren. Und natürlich können Sie solche Vergleiche nicht ziehen. Sie sind Deutscher. Ich würde mich sehr aufregen, wenn Sie als Deutscher daherkämen und mir erzählen würden, dass es in Amerika wie im Dritten Reich zugeht. Ich kann das sehr wohl. Und ich bin als Jüdin mit einer Familiengeschichte im Europa des Dritten Reiches sogar dazu verpflichtet. Dieses tiefe Trauma hängt sozusagen im zellularen Gedächtnis. Wenn man solche Parallelen erkennt, stellt sich ein regelrechtes Gefühl der Panik ein.

SZ: Auch bei Ihnen als Amerikanerin, die in den sechziger Jahren geboren wurde?

Wolf: Ich habe dieses Buch als Tochter von Holocaust-Überlebenden geschrieben. Meine Eltern haben mir in den letzten Jahren oft gesagt: So haben die das in Deutschland auch gemacht, es gibt wichtige Lektionen, wie man die Demokratie und die Bürgerrechte schützt.

Ich habe sie erst für verrückt erklärt. Aber dann habe ich angefangen, Bücher über die Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland zu lesen und erschrak. Inzwischen bin ich der Meinung, dass es für die Opfer sogar eine Ehre ist, wenn man diese Lektionen früh lernt.

SZ: Was haben Sie denn gelesen?

Wolf: Ich habe Josef Goebbels' Tagebücher gelesen, und die Parallelen waren beängstigend. Es gibt bestimmte Taktiken, um Demokratien zu schwächen, Korruption zum Beispiel. Eine andere Methode hat zum Beispiel Pinochet eingesetzt und die Pakistanis benutzen sie: Sie haben den öffentlichen Dienst gesäubert und Linientreue der Mächtigen installiert.

Bush ist wie Hitler - oder jedenfalls ein bisschen

SZ: Und das haben Pinochet und die pakistanischen Militärs von den Nazis gelernt?

Wolf: Eine der ersten Maßnahmen Goebbels' war es, den öffentlichen Dienst aufzulösen. Und dabei ist er als Erstes gegen die Anwälte vorgegangen. Wenn man die Geschichte betrachtet, dann ist das viel schlimmer als die Politisierung bestimmter Ämter. Eine Geschichte, die die New York Times beispielsweise nicht weiter verfolgt hat, ist die Tatsache, dass es wahrscheinlich Mails und Memos zwischen Bushs Rechtsberaterin Harriet Miers und dem Justizministerium gab, in der sie die Möglichkeit erwogen, nicht nur einige Bundesanwälte zu feuern, was ja bekannt ist, sondern alle. Und zwar gleichzeitig.

SZ: Aber im Gegensatz zu Deutschland in den dreißiger Jahren ist das ja nicht geschehen.

Wolf: Richtig. Das kann man auch nicht direkt vergleichen. Aber schon die Tatsache, dass ernsthaft darüber nachgedacht wurde, sollte den amerikanischen Bürgern zu denken geben. Die Bundesanwälte sind zum Beispiel für Wahlbetrug zuständig, für Unstimmigkeiten bei der Registrierung von Wählern. Und wenn erst einmal die Bundesanwälte weg sind, wird alles sehr schwierig.

Schauen Sie sich Berlin 1931 an. Da gab es legale Abtreibungen, es gab Rechte für Schwule, es gab Menschenrechtsanwälte, Menschenrechtsaktivisten, modernistische Architektur. Das sah wirklich nicht aus, als wäre das Land auf dem Weg in die Diktatur. Und gerade deswegen wäre es dumm, die Gefahr für Amerika zu unterschätzen, wenn es zum Beispiel der Exekutive immer mehr Macht gibt, um das Kriegsrecht zu verhängen - was mit dem National Defense Authorization Act des Jahres 2007 geschehen ist. Es ist höchst gefährlich, ein geheimes Gefängnissystem aufzubauen, in dem gefoltert wird. Nennen Sie mir eine Regierung, die geheime Gefängnisse unterhielt, in denen gefoltert wurde, die nicht irgendwann die Opposition verfolgt hat.

SZ: Warum gibt es keinen Aufschrei gegen solche Maßnahmen?

Wolf: Amerikaner sind naiv. Sie haben keine Vorstellung davon, wie anfällig eine Demokratie sein kann, wenn erst einmal eine bestimmte Zahl von Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt wird. Die Versuche, die Bundesanwälte zu feuern, sind ja nur ein Beispiel dafür. Ich würde das auch nicht so hoch hängen, wenn diese Regierung nicht sieben Jahre lang den Gesellschaftsvertrag unserer Demokratie mit Füßen getreten hätte. Sie geht einfach davon aus, dass wir das nicht bemerken. Und da soll ich als Amerikanerin nicht das Recht haben, das mit Hitler in den Dreißigern zu vergleichen? Als Kulturkritikerin muss ich diese dramatischen Angriffe auf die Demokratie einfach wahrnehmen.

Es gibt an diesen Wendepunkten der Geschichte einen Katerzustand, der sehr gefährlich ist, weil die Menschen nicht erkennen, was passiert: weil es einfach zu beängstigend ist, weil es schrittweise passiert und weil die Demokratie sehr klug und strategisch angegriffen wird. Bei den meisten solcher schrittweisen Angriffe auf eine Demokratie gibt es dann ein plötzliches traumatisches Ereignis.

SZ: Haben wir diese Wendepunkte in Amerika schon hinter uns?

Wolf: Ich glaube schon. Wenn Sie mir 2003, als der Skandal um die Folterungen in Abu Ghraib losbrach, erzählt hätten, dass wir drei Jahre später Folter per Gesetz legitimieren und so die Folterer in Amerika rückwirkend schützen - das ist definitiv ein Wendepunkt.

Oder nehmen Sie die Ärzte, die Folter unterstützt haben. Ärzte und Psychiater, die per Eid dazu verpflichtet sind, niemandem Schaden zuzufügen, und die per Unterschrift Praktiken zulassen, die das Rote Kreuz als Folter klassifiziert. Solche Ärzte gab es auch in Deutschland. Aber auch das ist kein Vergleich, sondern eine Parallele.

SZ: Mit dem Faschismus.

Wolf: Es geht natürlich nicht um Faschismus per se, ich habe das als eine Art Kurzformel für einen Essay benutzt. Aber die Diktatoren dieser Welt haben sich nun einmal gegenseitig studiert. Hitler lernte von Mussolini, Stalin studierte Hitler, Hitler studierte Stalin, die amerikanische Militärakademie School of the Americas studiert alle drei und brachte Diktatoren aus ganz Lateinamerika die Techniken bei, wie man Gesellschaften dichtmacht. Das ist kein Geheimnis. Mein Buch beschäftigt sich mit sechs verschiedenen Zeiten und Orten quer durch das Spektrum der Unterdrückung: Italien in den Zwanzigern, Deutschland in den Dreißigern, Ostdeutschland in den Fünfzigern, die Tschechoslowakei in den Sechzigern, Pinochets Coup von 1973 und China in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren. Die Tyrannen, egal ob sie von rechts oder links kommen, folgen denselben Mustern, um die Demokratie auszuhebeln.

SZ: Sehen Sie diese Muster in Amerika denn immer noch so oft?

Wolf: Immer öfter. Aber genau das passiert, wenn eine offene Gesellschaft systematisch geschwächt wird. Ein Schneeballeffekt entsteht. Vor einem Jahr habe ich alle paar Tage vielleicht ein, zwei Geschichten gefunden. Jetzt bekomme ich permanent E-Mails von Leuten, die mir erzählen, dass beispielsweise dieser Unterstützer der Demokraten angezeigt wird oder ein anderer einen Brief von der National Security Agency bekam, dass ein Blogger im Gefängnis ist oder gefeuert wurde, und noch schlimmer. Sie schreiben über einen Bauarbeiter, der im Irak arbeitet und Korruption bei Waffenverkäufen gesehen hat und eingesperrt und gefoltert wurde.

Wir beobachten eine ständige Begriffserweiterung. Nach den jüngsten Gesetzen gilt schon jemand als Terrorist, der einen Kuhstall anzündet, also jeder militante Tierschutzaktivist. Das gab es auch unter Stalin, diese ständig veränderbare Definition eines Staatsfeindes, eines Subversiven, eines Saboteurs. Deswegen ist es wichtig, dass man nicht nur die deutsche, sondern eben auch die italienische, tschechische, chilenische Geschichte studiert, weil der Siedepunkt in jedem Fall ein anderer war.

SZ: Europäer hoffen, dass nach Bush und Cheney alles besser wird. Selbst wenn Republikaner wie Rudy Giuliani oder Mitt Romney an die Macht kommen.

Wolf: In einer intakten Demokratie wäre das ja auch der Fall.

SZ: Würde sich denn mit einem Wahlsieg der Demokraten nicht tatsächlich alles verändern?

Wolf: Es ist natürlich möglich, dass meine ganze Argumentation vollkommen überzogen ist. Wunderbar. Dann gibt es eine Wahl, die Demokraten gewinnen, so wie sie übrigens im Jahr 2000 gewonnen haben und vielleicht auch im Jahr 2004 . . . Aber lassen wir das mal beiseite inklusive der enormen Angriffe auf die Demokratie in diesem Jahr.

Die Demokraten gewinnen also, oder wenigstens ein Republikaner, der bei Trost ist. Und der macht die Auflösungserscheinungen rückgängig. Dann wären mein Buch und meine Essays überflüssig, hysterisch, der Ruf einer Kassandra. Obwohl Kassandra ja recht hatte, wie sich herausgestellt hat.

Nutzen Sie Ihren gesunden Menschenverstand. Diese Regierung hat gegen den vierten Verfassungszusatz verstoßen, der gegen unrechtmäßige Durchsuchungen schützt, gegen den ersten Verfassungszusatz, der die Meinungsfreiheit garantiert, sie hat illegal einen Krieg begonnen, gefälschte Dokumente dafür benutzt, ein geheimes Gefängnissystem aufgebaut, in dem gefoltert wird, sie hat Leute entführt und gefoltert, sie hat das Parlament ignoriert, Verfügungen über den Kongress hinweg erlassen. Lauter Dinge, die sich seit 200 Jahren niemand mehr getraut hat. Angesichts dieser systematischen Demontage der Verfassung und ihrer Prinzipien, wie kann man da noch Vertrauen in dieses System haben?

SZ: Die Mehrheit schrumpft zwar, aber ein Großteil der Amerikaner hat offensichtlich immer noch großes Vertrauen in dieses System.

Wolf: Amerikaner glauben, dass die amerikanische Demokratie nicht totzukriegen ist und sich immer wieder von selbst erneuert. So ähnlich denken sie auch über die Natur und Rohstoffe. Dass Natur immer da sein wird, dass man sie aufreißen, ausbeuten und missbrauchen kann und sie trotzdem immer für uns sorgen wird. Aber nun stellt sich eben heraus, dass wir für Demokratie und die Natur sorgen müssen, wenn wir wollen, dass sie weiterhin für uns sorgen.

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