Interview mit Giovanni di Lorenzo:"Wir haben in den Abgrund geschaut"

Die "Zeit" wird 60: Die Journalisten Theo Sommer und Giovanni di Lorenzo über Verleger, Politik und Wandel. Ein Interview von Hans-Jürgen Jakobs und Christiane Langrock-Kögel

SZ: Herr di Lorenzo, Herr Sommer, was sagt Ihnen der "Plan Murmeltier"?

Giovanni di Lorenzo

Giovanni di Lorenzo: "Veränderungen darf man nicht in schlechten Zeiten einleiten."

(Foto: Foto: AP)

Theo Sommer: Der stammt von Gerd Bucerius, aus dem Jahr 1946, aus einem bitteren Winter, in dem die Deutschen nichts zu essen hatten. Da schlug er vor, alle in einen Winterschlaf zu versenken, um den Kalorienverbrauch zu reduzieren. Der Plan sorgte für viel Aufregung.

SZ: Sein Artikel erschien kurz nach Gründung der Zeit am 21. Februar 1946. Der Mit-Gründer Bucerius war CDU-Politiker, der seine Zeitung als Teil der politischen Arbeit begriff.

Sommer: Er wollte, dass diesmal die Richtigen die Zeitungen machen.

SZ: Ist sein Plan aufgegangen? Hat die Zeit die deutsche Politik in sechs Jahrzehnten wirklich beeinflusst?

Sommer: Darüber habe ich mir nie Illusionen gemacht. Macht haben wir nicht - und Einfluss nur, insoweit wir überzeugen können. Die Zeit hat - neben anderen Blättern - sicher eine ganz wichtige Rolle gespielt, um der Ostpolitik in der Öffentlichkeit Anklang zu verschaffen.

Giovanni di Lorenzo: Wenn das stimmt, verstehe ich ein geflügeltes Wort hier in der Zeit nicht, das jahrzehntelang gültig war, nämlich die Frage in der politischen Konferenz:"Was wollen wir der Regierung diese Woche raten?"

Sommer: Gut, wir haben uns immer ein bisschen als Schattenkabinett verstanden: Was sind die großen Themen und Probleme der Woche, und was wären die angemessenen Lösungen? Das hat die Politiker natürlich auch interessiert.

SZ: Sie, Herr Sommer, tauschten 1969 für sechs Monate die Redaktionsstube mit dem Verteidigungsministerium und bauten dort den Planungsstab auf.

Sommer: Helmut Schmidt hatte schon früh gefragt, ob ich - wenn er Minister würde - zu ihm kommen würde. Die Zeit hat auch zwei Regierungssprecher produziert: Kurt Becker bei Schmidt, Dieter Stolze bei Helmut Kohl.

SZ: War es selbstverständlicher Teil journalistischer Arbeit, auf die andere Seite zu wechseln? Auch Spiegel-Gründer Rudolf Augstein saß im Bundestag.

di Lorenzo: Ich finde dieses Verfahren heute schwierig: Der Journalist als Sprecher oder lebenslanger Berater von Politikern. Ich sehe es auch nicht ungern, wenn Kollegen ihre Mitgliedschaft in einer politischen Partei ruhen lassen, wenn sie zu uns kommen. Unsere grö§te Loyalität sollte dem Leser gelten.

„Wir haben in den Abgrund geschaut“

Sommer: Ich habe auch immer gesagt: Journalisten sollten keiner Partei angehören. Wenn ich mir die politische Richtung der Zeit über die Jahrzehnte anschaue, dann waren die Redakteure typische Wechselwähler. Am Anfang waren wir konservativ, dann gegen Adenauer und die Große Koalition - jedenfalls in der Mehrheit. Auf der anderen Seite hat mir die Zeit in Bonn ein Verständnis für das Funktionieren von Regierung und Verwaltung mitgegeben, was mir in der publizistischen Arbeit viel erleichterte.

di Lorenzo: Ted Sommers Generation spürte Verantwortung für das ganze Land. Da haben sich die Besten der Republik vorgenommen, einen Beitrag zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaft zu leisten - und gingen eben auch in die Politik. Diese Haltung ist in meiner Generation nicht mehr vorhanden. Für das Geld und das Karriererisiko wollen sich die herausragenden Talente nicht an den Pranger stellen lassen. Schade, dass von den Guten so viele in den Journalismus gehen - und so wenige in die Politik.

SZ: Die Zeit war also eine politische Institution der alten Bundesrepublik?

Sommer: Sicher. Damals gab es große, emotionale Themen: Oder-Neiße, ja oder nein? Wiederbewaffnung? Atomenergie? Da konnte man noch mit Leidenschaft schreiben. Diese Themen waren später weg - die Zeit hätte sich auch ohne die Wiedervereinigung verändern müssen.

SZ: Heute ist Politik auch Teil der Unterhaltung, ein Faktor der Mediengesellschaft mit vielen Kunstthemen.

di Lorenzo: Aber die Grundsätze der Zeit sind noch lebendig. Dazu gehört, zwischen Substanz und Show genau zu trennen. Es beeindruckt mich sehr, wie die Jungen hier die Spur der Alten aufnehmen. Die Zeit wird 60 Jahre alt, aber es fühlt sich an wie 600.

SZ: Was hei§t das nun für die neue Rolle Ihrer Wochenzeitung?

di Lorenzo: Die Zeit folgt dem Grundsatz, sich Moden und Mätzchen zu widersetzen. Im Zweifelsfall hei§t das: Lieber Zeit für Geist als Zeitgeist. Das hei§t nicht, dass wir uns nicht verändert hätten - wir haben uns dramatisch verändert. Aber der Spagat zwischen Tradition und Neuerung ist ganz gut gelungen. Wenn Sie die Zeit 1996 vergleichen mit der Zeit 2006, haben Sie in der Form das Gefühl, es handele sich um zwei verschiedene Zeitungen.

SZ: Wurde es den alten Blattmachern nicht manchmal sehr mulmig, bei so viel Wandel: Überall Farbe, Gesellschaftsthemen auf Seite eins, kürzere Leitartikel?

Sommer: Ich empfinde durchaus, dass die Tradition weitergereicht wird. Grundsätzlich ist sie für die Redaktion auch eher hilfreich als hinderlich. Als ich vor 40 Jahren zur Zeit kam, hatten wir keine Unterzeilen, keine Fotos. Die haben wir erst eingeführt. Das Dossier wurde erfunden, das Zeit-Magazin, das Wissen. Als ich 1992 als Chefredakteur abgetreten bin, da fing der große Konkurrenzkampf der Medien erst an. Alles wurde bunt...

SZ: ...und bedrohlich. Die Auflage bršckelte, die Zeit verlor an Relevanz.

Sommer: Wirklich gefährlich wurde es, als wir allzu jugendlich wurden - geschminkt auf hippig-flippig. Das war eine Phase, in der wir die Jugend nicht gewannen und die Älteren verloren. Doch haben Josef Joffe und Michael Naumann als Chefredakteure und Herausgeber dies wieder begradigt. Ich glaube, heute haben wir die Balance wieder.

SZ: Sie sprechen die Zeit von Chefredakteur Roger de Weck an. Hat er nicht manchen alten Zopf abgeschnitten?

di Lorenzo: Er musste die Maggie Thatcher der Zeit spielen. Dadurch hat er seinen Nachfolgern vieles erleichtert. Ich bin in diesem Punkt anderer Ansicht als Sie, Ted, weil ich damals unser Blatt noch von außen beobachtet habe. Es gab eine lang anhaltende Phase, die ich als sehr bedrohlich für die Zeit empfunden habe - in der sie als hoffnungslos altmodisch hingestellt wurde. Ich glaube nicht, dass sie nur an Exzessen bei der Modernisierung gelitten hat - sondern auch an der zeitweiligen Fixierung auf einige Marotten und auf ihr Innenleben.

Sommer: Ich würde nicht widersprechen. Aber die Kollegen von der Woche, die ein paar Häuser weiter saßen und über die alte Tante Zeit höhnten, die sind heute nicht mehr da.

„Wir haben in den Abgrund geschaut“

SZ: Vielleicht hat Die Woche - 1993 gegründet, 2001 eingestellt - die Zeit ja auch wachgerüttelt?

di Lorenzo: Wenn Auflage und Gewinne bröckeln, wird eine Zeitung in ihren Grundfesten erschüttert - auch ohne Konkurrenz durch andere Blätter. Die Woche war eine Bereicherung. Sie hat Elemente eingeführt, die alle nachgemacht haben. Aber die Woche war auch ein Beispiel dafür, dass man sich nicht auf das Urteil von Journalisten verlassen darf. Wäre es nach deren Resonanz gegangen, müsste die Woche heute eine Auflage von 500000 haben und die Zeit 40 000.

Sommer: Gute Journalisten reichen eben allein nicht aus. Sie brauchen auch gute Verleger mit starken Nerven und großem Durchhaltevermögen.

di Lorenzo: Veränderungen darf man nicht in schlechten Zeiten einleiten - weil einem dann schnell das Heft aus der Hand genommen wird. Nachhaltige Veränderungen schaffen Sie nur in homöopathischen Dosen und in guten Zeiten.

Sommer: Es kommt eines hinzu: Verleger Bucerius ist 1995 mit 89 Jahren gestorben. Er hatte in den letzten fünf Jahren seines Lebens keine Kraft mehr zu umwälzenden Entscheidungen. Mit dem neuen Verleger wurde dann vieles auf einmal reformiert.

SZ: Es scheint, als hätten Verlag und Redaktion der Zeit heute ein so enges Verhältnis wie nie. Redakteure moderieren Symposien, begleiten Zeit-Reisen, betreuen Buch-Editionen. Wurde da eine grundsätzliche Scheu überwunden?

di Lorenzo: Es gibt noch große Berührungsängste - was sicher nicht an der Person der Geschäftsführer liegt. Bei jeder Aktion wird neu diskutiert, und zwar aufs Kontroverseste. Die prägendste Erfahrung für Blattmacher meines Alters war der Zusammenbruch des Anzeigenmarkts zur Jahrhundertwende: Wir haben in den Abgrund geschaut. Seitdem trauen wir keinem Frieden mehr - Anzeigenerlöse und Auflagenzahlen sind unglaublich volatil. Immer größere Umsatzanteile kommen bei Qualitätszeitungen aus dem Vertrieb. Das, was dann noch fehlt, müssen Nebengeschäfte bringen. Ein großer Druck! So etwas Erfolgreiches wie das erste Zeit-Lexikon werden wir nie wieder finden. Dennoch: Bei allem, was wir tun, bemühen wir uns, der Tchiboisierung der Marke zu trotzen.

SZ: Die Zeit hat nach 1946 mehr als zwei Jahrzehnte lang in den Abgrund gesehen und Verluste gemacht. Ohne die Illustrierte Stern, die Bucerius zum Teil gehörte, hätte es das Blatt nicht geschafft.

Sommer: Es ging uns dreckig nach der Währungsreform. Damals hat Bucerius seine Häuser verpfändet und einen Millionenkredit aufgenommen. Richtig, der Stern hat uns alimentiert - das war die Dame von St. Pauli, die ihre Tochter in die Klosterschule schickte. Aber seit 1974 hat Bucerius mit der Zeit verdient.

di Lorenzo: Bucerius war ein unglaublich wacher, urteilssicherer Kritiker der Zeitung. Viele der Neuerungen, mit denen die Redaktion zeitweise Probleme hatte, hätten seine Zustimmung unbedingt bekommen.

Sommer: In jüngeren Jahren, ja. Er war immer auf Neues aus. Das beste Beispiel ist das Zeit-Magazin, das er gegen die Redaktion durchboxte. Manchmal aber sagten wir ihm: "Rauben Sie der Redaktion nicht den letzten Schneid, indem Sie andauernd sagen: ,In drei Jahren muss ich euch sowieso einstellen.'"

SZ: Zeitung könne man nur im "Kreis von Halbverrückten machen", sagte er.

Sommer: Ja, deswegen hat er sich auch wohlgefühlt bei uns. Davon hatten wir genug. Halbverrückte waren ihm lieber als Redaktionsbeamte.

di Lorenzo: Es gibt keinen wirklich herausragenden Autor, der nicht auch etwas verrückt ist.

Sommer: Wissen Sie, am Mittwochmittag fing das Gebäude hier an zu zittern, weil die Rotationspresse noch im Erdgeschoss stand. Durch die Paternoster zogen Duftschwaden von Druckerschwärze nach oben. Dann hat sich Bucerius ein Makulatur-Exemplar gegriffen und fuhr nach Hause. Am nächsten Tag kam er mit markierten Ausschnitten an. Oder schickte Briefe, die mal acht Seiten lang waren, mal 20. Es ging um die Richtung und die Richtigkeit. Bis in die Grammatik der Nebensätze hinein übte er Kritik. Das, Giovanni, ist nicht mehr die Art der modernen Verleger.

SZ: Wie ist der jetzige Zeit-Besitzer, der Verleger Stefan von Holtzbrinck?

di Lorenzo: Er respektiert die Unabhängigkeit der Redaktion. Er liest die Zeitung. Er kennt die Autoren und äußert sich zu einzelnen Artikeln.

Sommer: Der neue Verleger hat seine Meinung, er ist aber nicht interventionistisch. Bucerius wird meistens verkannt: Er war viel interventionistischer als Axel Springer. Später hat Bucerius dann seine eigene Kolumne gehabt.

di Lorenzo: Wir sind bei der Zeit aber nicht vaterlos geworden, denn wir haben hier die weltweit einmalige Konstellation, dass vier Vorgänger von mir noch in der Redaktion sind und manchmal in der selben Konferenz sitzen. Ich bin dafür schon deshalb prädestiniert, weil ich als Kind die Erfahrung einer Großfamilie gemacht habe. Seither weiß ich, wie schön es ist, wenn viele Generationen unter einem Dach leben.

„Wir haben in den Abgrund geschaut“

SZ: Wird das Modell mit mehreren Herausgebern bleiben? Der einstige Kulturstaatsminister Michael Naumann will im nächsten Jahr, mit 65, ausscheiden.

di Lorenzo: Die Entscheidungen liegen allein bei den Betroffenen und bei den Verlegern. Wenn Mike Naumann geht, werde ich alles zu tun, um ihn wenigstens als Autor zu behalten. Ob die Zeit auf ewige Zeiten das Herausgebermodell braucht, das kann Theo Sommer wahrscheinlich besser beurteilen.

Sommer: Als der Verlag mit de Weck über Kreuz lag, war es gut, dass Herausgeber einspringen konnten. Und Helmut Schmidt hat dem Blatt als Herausgeber bis heute ein besonderes Profil gegeben. Im Prinzip braucht jeder Chefredakteur gelegentlich jemanden, der ihm mal einen Brief schreibt oder mit dem er vertrauliche Dinge vertraulich besprechen kann. Aber ich glaube, das wir Alten die Nerven von Giovanni gelegentlich schon arg strapazieren.

di Lorenzo: (lacht) Meistens seid ihr das reinste Vergnügen, und ich suche oft und gerne den Rat der Weisen. Nur auf einen Briefwechsel lege ich es nicht unbedingt an. Das kostet zu viel Geduld und Zeit.

SZ: In der Chef-Funktion galt bei der Zeit der Spruch: "Autorität kommt von Autor.". Heute wird ein Chefredakteur auch an Marketingkünsten gemessen.

Sommer: Die Verlage stellen heute Anforderungen an die Chefredakteure, die mir erspart blieben. Es war zwar schön, wenn ich bei Werner Höfer im Internationalen Frühschoppen saß - aber bei Anzeigenkunden aufzutreten oder auf allen möglichen Veranstaltungen, davon war man weit entfernt.

di Lorenzo: Mit diesem Teil unserer Tätigkeit muss man seinen Frieden machen, aber die Prioritäten bleiben doch klar. Und natürlich muss der Chefredakteur in der Lage sein, seiner Redaktion das eine oder andere auch persönlich vorzumachen.

Sommer: Vorzuschreiben notfalls.

di Lorenzo: Noch wichtiger ist, dass der Chefredakteur unter ungleich schwierigeren Bedingungen versucht, ein Ermšglicher zu sein - also dafür sorgt, dass Autorität durch gute Autoren kommt.

SZ: Autorität bei dem Zahnarzt aus Gummersbach, der schon immer als typischer Zeit-Leser galt?

Sommer: Na gut, er hat sich scheiden lassen und seine zweite Frau war dann eine Grüne...

di Lorenzo: ...die von uns auch lange gut bedient worden ist. Wir haben jetzt erstmals messen lassen, was die Leute genau lesen. Die Redaktion kann sich bestätigt fühlen. Es gibt ein ausgeprägtes Gefühl für Qualität - und auch lange Texte werden goutiert.

Sommer: Lang dürfen sie sein, aber nicht langatmig oder langweilig. Wir haben es uns stets geleistet, Minderheiten zu bedienen. Das hilft der Reputation.

di Lorenzo: Ja. Wir wollen keinen Quotenjournalismus, aber die Ignorierung von Artikeln durch den Leser, wenn es sie den gibt, auch nicht zum Prinzip erklären. Wir werden weiter behutsam ändern. Ich schließe nicht aus, dass wir, wie in der Vergangenheit auch, sogar neue Ressorts gründen werden.

SZ: Wollen Sie mehr Unterhaltung, auch mehr Boulevard?

di Lorenzo: Nein, unter keinen Umständen. Man darf Artikel, die die Erfahrungswelten der Leser berühren, nicht mit Boulevard gleichsetzen oder Artikel über Prominente mit yellow press. Auch bei uns schlägt Jan Ullrich eine rumänische Pianistin. Wir brauchen eine vernünftige Mischung zwischen analysierenden und darstellenden Stücken. Mehr denn je müssen Zeitungen Orientierung bieten - mit einer sinnlichen Dimension. Solche Oasen des Lesevergnügens muss es selbst im protestantischen Hamburg geben.

SZ: Da hilft wohl nur ein katholischer Chefredakteur.

di Lorenzo (lacht): Da hat vielleicht am meisten meine Prägung bei einer großen süddeutschen Zeitung geholfen.

SZ: Und jetzt gehen Sie davon aus, mit Sinn und Sinnlichkeit die Auflage im nächsten Jahr von derzeit 481 000 über die magische 500 000er Grenze zu liften?

di Lorenzo: Nein. Wir haben schon Grenzen überschritten, die vorher nicht vorstellbar waren. Wenn es weitere Zuwächse gibt - zum Beispiel bei Jüngeren, Frauen, Ostdeutschen -, dann freue ich mich. Aber das ist kein Automatismus.

SZ: Früher galten die Hamburger Wochenblätter Spiegel, Stern und Zeit den Konservativen als Kampfpresse. Wofür kämpfen die drei heute?

Sommer: Diese Hamburger Kumpanei gibt es nicht mehr. Der Stern hat sich aus dem Dreier-Kleeblatt politisch weitgehend verabschiedet. Auch der Spiegel ist, seitdem Augstein nicht mehr schreibt, zwar noch ein Schwergewicht, aber keines, das politische Meinung macht.

di Lorenzo: Ich kenne meine Hamburger Kollegen, und ich schätze sie, aber jeder kämpft für sich allein. Für die Zeit ist wichtig, übergeordnete Ziele nicht aus den Augen zu lassen.

SZ: Und die wären?

di Lorenzo: Antworten auf die Frage zu finden, was eine demokratische Gesellschaft zusammenhält, wenn eine kriegerische Bedrohung von außen fehlt und der Staat keine großen Wohltaten mehr verteilen kann. Und weiter größtmögliche Freiheit bei der Berichterstattung zu gewährleisten, auch wenn wirtschaftliche Interessen der Zeitung berührt sind.

Sommer: Wenn wir Pech haben, bekommen wir wieder eine äußere Bedrohung, wobei es unsere Aufgabe sein sollte, das zu verhindern. Historisch ist die Demokratie eine Arbeits-Demokratie. Deshalb müssen wir immer wieder neu über unsere Arbeitswelt nachdenken. Und wir müssen für eine Bildungspolitik kämpfen, die es ermöglicht, dass es in 20, 30 Jahren noch Zeit-Leser gibt.

di Lorenzo: Das Vertrauen in die Marke Zeit ist groß. Das ist die Leistung unserer Vorgänger. Wir Jungen sind nun dafür verantwortlich, dass dieses Kapital unter wirtschaftlich ungleich schwierigeren Bedingungen nicht verschwendet wird. Es ist eine Wette auf die Zukunft: Ich glaube auch deswegen an die Zukunft von Zeitungen, weil gut gemachte Blätter die einzige Instanz bilden, die noch in der Lage ist, einen öffentlichen Diskurs vernünftig zu organisieren.

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