sueddeutsche.de: "Doc Baumann", Sie sind ein Experte in der Bildbearbeitungsszene. Ach, was sage ich: Sie gelten als Guru, als Erleuchteter in Sachen Bild-Optimierung. Jemand, der in die tiefsten Tiefen der Software geschaut hat und sie virtuos einzusetzen vermag. Also: Der Klinsmann unter den Pixel-Trimmern. Muss denn der Normalsterbliche, der Sonntagsknipser auch so ein Experte, noch schlimmer: auch so ein Begnadeter sein, um mehr aus seinen selbstgeschossenen Bildern heraus zu holen?
Doc Baumann: (lacht) Nein, selbstverständlich nicht. Zuerst einmal gilt es, ein ordentliches Foto zu machen, also seine Kamera zu beherrschen, Bildausschnitt und - Aufbau, Licht, Blende etc. vor dem Drücken des Auslösers zu kontrollieren. Sich also schon Gedanken beim "Schuss" zu machen. Vielleicht dabei sogar schon mit dem Hintergedanken, wie dieses Bild nach der Bearbeitung am Computer einmal aussehen soll. Das sind schon immer die klassischen Themen des Fotografierens, daran hat sich auch durch die neue Technik wenig geändert. Ein gutes Ausgangsbild bietet viele Möglichkeiten für die anschließende Bearbeitung. Natürlich ein total verwackeltes Porträt, auf dem der Kopf nicht drauf ist, eben nicht. Und wenn es total über- oder unterbelichtet ist, kann auch die tollste Software keine Details mehr rekonstruieren, wo keine sind. Das kann auch ein Einsteiger nachvollziehen.
sueddeutsche.de: Kann er sicherlich. Aber dann: Ich habe also im Rahmen meiner Möglichkeiten so gewissenhaft wie möglich fotografiert. Was geschieht jetzt? Das Bild ist auf dem Speicherchip. Ich habe es sogar geschafft, es auf meinen Computer zu bekommen. Und jetzt?
Doc: Wenn sich jemand die Dunkelkammer an den Monitor des Computers holt, ist der erste Schritt die Optimierung von Digitalfotos. Das geht sehr viel einfacher und bequemer als früher im roten Dämmerlicht mit stinkenden Entwickler- und Fixierflüssigkeiten, und die Zwischenergebnisse sind am Bildschirm direkt überprüfbar. Nichts ist endgültig, man kann experimentieren, bis man mit dem Ergebnis voll zufrieden ist. Den meisten Kameras liegen darum auch Bildbearbeitungsprogramme mit rudimentären Funktionen bei. Die kauft man also mit. Solche Software, wie sie auch Scannern beigepackt wird, ist für Einsteiger sicherlich zunächst einmal ausreichend. Wie lange dieses "zunächst" dauert, hängt von den Ansprüchen ab. Damit kann man zumeist etwa "rote Augen" entfernen, Bilder drehen, in geringem Umfang nachbelichten, vielleicht auch noch zuschneiden. Gut. Um einzuschätzen, ob diese Grundfunktionen tatsächlich immer ausreichen, bin ich aber sicherlich der Falsche. Denn wenn ich solche Programme teste, vermisse ich spätestens beim dritten Schritt irgendeine Funktion, ohne die ich nicht weiterkomme - jedenfalls nicht mit dem Effekt und vom Arbeitsprozess her so elegant und vielseitig, wie ich es gewohnt bin. Wer professionelle Ansprüche an seine Bildbearbeitungsergebnisse stellt, braucht dann auch eine professionelle Software. Es gibt Programme, die hier aus guten Gründen als Standard für die digitale Bildbearbeitung bezeichnet werden.
sueddeutsche.de: Was benötigt man denn außerdem noch, um mehr aus seinen Bildern zu machen? Etwa aus den Urlaubsfotos?
Doc: Zur Optimierung eines Digitalfotos gehört zum Beispiel das Entfernen eines eventuellen Farbstichs, entstanden durch unregelmäßige Sonneneinstrahlung oder künstliches Licht - eventuell auch eine falsche Kameraeinstellung. Zudem kann und sollte man die hellsten und dunkelsten Stellen ausgleichen, so dass möglichst überall noch Details erkennbar sind. Man kann sich an die Korrektur ganz bestimmter Bildbereiche machen, wo etwa Farben oder Helligkeit verstärkt oder abgeschwächt werden. Meistens ist eine nachträgliche Schärfung sinnvoll; dafür gibt es ganz unterschiedliche Verfahren, mit denen man sich vertraut machen sollte. Denn sie zeigen anschließend unterschiedliche Ergebnisse. Und schließlich lässt sich auch ein neuer Bildausschnitt festlegen. So akzentuiert man die Wichtigste auf einem Foto, kann Störendes abschneiden und die Komposition insgesamt spannender oder ausgewogener gestalten.
sueddeutsche.de: Ok. Klingt gut. Damit ist man ja dann pro Bild auch schon gehörige Zeit beschäftigt.
Doc: Moment! Das war erst Schritt eins, die Optimierung. So erzielt man zwar bereits ansehnliche Fotos, die angeschaut und vorgezeigt werden können, ohne sich schämen zu müssen. Wer aber weitergehende Ansprüche hat, kann sein Bild nun verfremden, beispielsweise die Farbsättigung erhöhen oder verringern, High oder Low-Key-Fotos akzentuieren, das heißt die Schwarz-Weiß Komponenten gezielt überdrehen. Man kann Filter einsetzen, welche die Aussage des Fotos unterstützen.
sueddeutsche.de: Man hetzt also die Kavallerie auf jedes Bild, um nur ja nichts auszulassen? Ein Karneval des Möglichen, nur, weil es möglich ist?
Doc: Bloß nicht! Man muss wissen, was man von einem Bild will, was ausgedrückt werden soll: Alle digitalen Werkzeuge sind lediglich Hilfsmittel, um Ideen und Gestaltungsabsichten zu visualisieren. Das hängt vom Bild, aber auch vom persönlichen Stil ab - Technik ist kein Selbstzweck. Es interessiert niemanden, dass jemand im Web einen tollen neuen Effektfilter für sein Programm entdeckt haben, wenn er die Bilder nur lauter, aber nicht besser und interessanter macht.
sueddeutsche.de: Na gut. Jetzt steht also Tante Else wie eine Eins am Strand von Rimini. Aber, Hand aufs Herz!, es bleibt Tante Else am Strand von Rimini.
Doc: Eben ... deswegen kommen wir zu Schritt drei und damit zu dem, was mich persönlich vor allem an der digitalen Bildbearbeitung interessiert: Wir kommen zu Retuschen und Montagen. Das beginnt mit dem Entfernen störender Elemente. Etwa bei Tante Else, die sich in ihrem neonfarbenen Badeanzug vor einer Reklametafel ausmacht wie die Tarantel auf dem Geburtstagskuchen. Hier geht es um differenziertere Techniken, um exakt die Bildstellen einzugrenzen und auszuwählen, mit denen etwas geschehen soll: Sie können etwa das Umfeld von Tante Else mit weichem Rand selektieren und es mit einem Unschärfefilter bearbeiten, um den Hintergrund verschwimmen zu lassen und die Tante so optisch hervorzuheben. Sie können sie aber auch aus dem einen Bild herauskopieren - weg von der Reklametafel - und in ein anderes einfügen. Vielleicht haben Ihre Kinder auf einer Weide in Schleswig-Holstein ein Schaf gestreichelt, und nun versetzen Sie diese Szene auf den Markusplatz in Venedig. Oder Sie tauschen einen überbelichteten Himmel gegen einen mit schönen Kumuluswolken aus. Oder eben Tante Else gegen eine Tarantel.
sueddeutsche.de: Klingt ja lustig. So was haben wir früher auch mit Schere und Fotos aus Magazinen gemacht. Hier einen Kopf ausgeschnitten und dort auf einen anderen Körper gesetzt.
Doc: Und so sah es dann ja auch aus. Doch Vorsicht! Bloßes "Hier Ausschneiden!" und "Dort Einsetzen!" reicht nicht aus für eine perfekte Montage, die den Betrachter davon überzeugt, dass es tatsächlich so gewesen sein könnte und das Bild von einem vorgeblich realen Ereignis stammt. Damit nachvollziehbar wird, wie komplex und vielseitig diese Thematik ist: habe viele Bücher ausschließlich zu diesem Thema verfasst: Über die Berücksichtigung von Perspektive, Unschärfe, über Beleuchtung und Schattenwurf, Lichtstimmung und Bildlogik.
sueddeutsche.de: Professionelle Bildbearbeitung scheint eine Kunst geworden zu sein.
Doc: Das war sie schon immer. Ich vergleiche anspruchsvolle Bildbearbeitung gern mit dem Schachspielen: Als Anfänger ist man froh, wenn man weiß, wie die Figuren gezogen werden, und man kennt vielleicht ein paar klassische Eröffnungen. Auf diese Weise kann man mitspielen, viel mehr nicht. Ein Meister hat nicht nur den nächsten Zug im Kopf, sondern vier, fünf oder sechs - und bei der Bildbearbeitung ist es genauso. Wenn Sie gelernt haben, Ihre Bildbearbeitungs-Software zu beherrschen und anzuwenden, dann machen Sie vielleicht fünf Schritte, die völlig unsinnig erscheinen und das Bild immer schlechter aussehen lassen, und wenn Ihnen dabei jemand über die Schulter schaut, ist er wahrscheinlich entsetzt. Aber dann kommt der letzte der geplanten Schritte, und plötzlich ist da ein umwerfender Effekt zu sehen und ein faszinierendes Ergebnis.
Doc Baumann, Jahrgang 1950, hat Kunst studiert und über die "Bedingungen der Darstellungsfunktion von Bildern" promoviert. Er war Mitarbeiter diverser Fotographie-Zeitschriften und ist Herausgeber von "DOCMA - Doc Baumanns Magazin für digitale Bildbearbeitung". Seine andere Leidenschaft ist das Rockermilieu. Lange Jahre Jahre war er Chefredakteur und danach Herausgeber bei "Bikers News", dem Referenzheft der Szene. So hat er, neben unzähligen Büchern über Bildbearbeitung, auch welche wie "Chopper - Bilder aus dem Bikerleben" verfasst.