Interview mit dem The Cure-Sänger:"Warum fragt jemand nach der Farbe meines Lippenstifts?"

Seit 1977 gibt es The Cure mit Frontmann Robert Smith. Nach längerer Ausszeit hat die britische Band ein neues Album aufgenommen und ist wieder auf Tournee. Gabriela Herpell sprach mit dem Sänger über Make-up, Kinder, Beckham und ein misslungenes Konzert.

Das Konzert auf dem Southside-Open-Air im Schwäbischen ist gerade vorbei. Robert Smith steht in der Garderobe und fragt, ob man etwas trinken möchte. Er serviert, macht sich selbst ein Bier auf, lässt sich aufs Sofa fallen.

Robert Smith

Robert Smith

(Foto: Foto: ddp)

Die schwarzgefärbten Haare fallen ihm ins Gesicht, das Make-Up ist zerlaufen. Angeblich soll man sich beeilen. Aber Robert Smith ist ein einnehmender Mensch. Er nimmt sich für dieses Gespräch eine Stunde Zeit. Um viertel nach Zwei in der Nacht verabschiedet er sich mit einer Umarmung.

SZ: War das ein Konzert nach Ihrem Geschmack?

Robert Smith: Ja, das Publikum war sehr nett, das hat die Katastrophe von gestern in Hamburg wieder gut gemacht.

SZ: Die distanzierten Norddeutschen.

Robert Smith: Daran lag es nicht. Ich dachte, wir sind in Hamburg, da können wir es mit einem etwas experimentelleren Set versuchen. Ich hatte damit gerechnet, ein eingespieltes Cure-Publikum vor mir zu haben und nicht darüber nachgedacht, dass es das South-Side-Festival war und die Hives vor uns spielten.

Dazu kam, dass es bitterkalt war. Und dann noch dieser riesige Abstand zwischen uns und den Zuschauern, vollkommen lächerlich, ich konnte die Leute nicht sehen. Naja, wir haben acht oder neun Songs von der neuen Platte gespielt, und es hat gar nicht funktioniert.

SZ: Ist das immer noch schlimm für Sie, nach all den Jahren im Geschäft?

Robert Smith: Es ist schrecklich. Stellen Sie sich vor, Sie stehen da auf der Bühne und es kommt gar nichts zurück vom Publikum.

SZ: Warum haben Sie nicht schnell ein paar Ihrer sicheren Hits gespielt?

Robert Smith: Das geht dann nicht mehr, die Setliste muss man vorher durchgeben, dann kann man nicht mehr viel ändern. So ein Fehler in der Planung ist mir in den letzten zehn Jahren nicht unterlaufen.

SZ: Sie haben heute die Konsequenzen gezogen und den Leuten immer wieder mal einen alten Song serviert . . .

Robert Smith: Man muss einfach begreifen, dass wir auf so einem Festival nur eine Band von vielen sind und die Hälfte des Publikums niemals vorher bewusst einen Cure-Song gehört hat.

SZ: Sie sind seit 25 Jahren im Geschäft, da kommen viele Interviews zusammen: Welche Frage haben Sie eine Million Mal beantworten müssen?

Robert Smith: Die Frage nach der Farbe meines Lippenstifts.

SZ: Ich hätte richtig geraten.

Robert Smith: Es ist auch die Frage, die mich am meisten nervt. Es ist doch so egal, welche Farbe. Die Tatsache, dass ich Lippenstift trage, mag interessant sein, aber die Farbe?

SZ: Ich hätte gedacht, alle fragen nach der Marke.

Robert Smith: Das tun sie dann auch noch.

SZ: Haben Sie die Marke gewechselt über die Jahre?

Robert Smith: Ja. Ich trage die Farbe, mit der ich mich am wohlsten fühle. Das sieht dann aus, als hätte ich mir in die Lippe gebissen.

SZ: Ist Ihr Lippenstift zur Gewohnheit geworden - oder ein Statement?

Robert Smith: Sie wollen also tatsächlich auch mit dem Lippenstift weitermachen! Nun, mit 13 habe ich mich im Badezimmer eingeschlossen, das Make-Up meiner Schwester ausprobiert, bin geschminkt in die Schule gegangen und gleich mal wieder nach Hause geschickt worden.

SZ: Um sich abzuschminken.

Robert Smith: Um am nächsten Tag ohne Make-Up wieder zu kommen. Ich hatte Haare bis zum Hintern, habe Damenkleider in der Schule angezogen - und wurde schon wieder nach Hause geschickt.

SZ: Und Ihre Eltern?

Robert Smith: Die waren sehr geduldig. Sie hofften, dass ich eines Tages einfach damit aufhören würde.

SZ: Da hoffen sie bis heute drauf.

Robert Smith: Ich habe immer mal kurz damit aufgehört - und dann wieder angefangen, nachdem ich Thin Lizzy oder David Bowie im Konzert gesehen hatte. Dann war es plötzlich nichts Besonderes mehr für Leute in meinem Alter, und ich habe es sein lassen. Bis ich die ersten Fotos von mir auf der Bühne sah! Ich fand mein Gesicht nichtssagend und leer. So wollte ich nicht aussehen. Geschminkt fand ich mein Gesicht ausdrucksvoller, darum trägt man ja nun mal auch Make-up.

SZ: Damals hatten Sie den Blick doch nur starr auf Ihre Gitarre gerichtet.

Robert Smith: Ja, ich wollte eigentlich nicht gesehen werden. Aber wenn ich hoch schaute, sollten die Leute meine Augen sehen. Ich weiß, das klingt komisch, ich finde es auch schwierig, darüber zu reden, weil es dann so wirkt wie bei Stars, die in Interviews sagen, dass sie es eigentlich gar nicht mögen, im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu stehen. Das ist lächerlich! Jedenfalls: Als wir dann "Pornography" gemacht haben, fing ich an mit Lippenstift und rotem Lidschatten. Vorher war es nur schwarzer Kajal.

"Warum fragt jemand nach der Farbe meines Lippenstifts?"

SZ: Tragen Sie nur auf der Bühne Make-up?

Robert Smith: Da macht es am meisten Spaß. Vor Auftritten betrachte ich mich im Spiegel und probiere Dinge aus.

SZ: Wie findet das Ihre Frau?

Robert Smith: Meine Frau mag es, wenn ich mich schminke. Sie mag überhaupt, wie ich aussehe. Das ist ein großes Glück. Ich muss mich ja nicht angucken.

SZ: Ich dachte, zu Hause wären Sie ungeschminkt.

Robert Smith: Ich schminke mich natürlich nicht, um einen Spaziergang am Strand zu machen.

SZ: Strand? Sie sehen nicht aus wie jemand, der Strandspaziergänge macht.

Robert Smith: Mein Garten geht bis zum Meer. Da ist kein Sand, da sind Felsen. Und der Strand ist in England, da ist also auch keine Sonne. Es ist ein düsterer Strand.

SZ: Der düstere Strand ist dort, wo Sie aufgewachsen sind, oder? In Crawley.

Robert Smith: Ja, 25 Kilometer von Brighton entfernt.

SZ: Sie sind nie aus Crawley weggezogen. Sie sind mit der Frau zusammen, die Sie mit 18 Jahren kennen gelernt haben. Sie tragen immer noch schwarze Kleidung, dieselbe Frisur, über das Make-up haben wir ja lange genug geredet. Kann es sein, dass Sie Veränderung nicht mögen?

Robert Smith: Veränderung ist ein Thema, mit dem ich mich immerzu beschäftige. Im ersten Song auf der neuen Platte zum Beispiel geht es vor allem darum, wie man feststellt, wer man eigentlich ist. Und ob man glaubt, dass man sich verändern und doch man selbst bleiben kann. Man muss einfach akzeptieren, dass Menschen sich verändern können.

SZ: Aber das gefällt Ihnen eigentlich nicht.

Robert Smith: Das ist es nicht. Ich frage mich immer, wann wird man eigentlich man selbst? Ich bin zum Beispiel mit bestimmten Wertmaßstäben groß geworden, die habe ich verinnerlicht. Aber an welchem Punkt bin ich ich geworden? Was heute Abend passiert, wird mich in irgendeiner Weise verändern. Also kann ich niemals ich sein, weil ich mich ständig verändere. Ich weiß auch nicht, rede ich mich gerade um Kopf und Kragen?

SZ: Nein, aber ich war nicht darauf gefasst, das Thema so philosophisch anzugehen. Ich glaube, mir ging es wohl eher um Äußerlichkeiten.

Robert Smith: Mit einem Freund streite ich mich dauernd darüber. Er glaubt, dass man zwischen fünf und neun Jahren zu der Person wird, die man ist, und danach verändert man sich im Grunde nicht mehr.

SZ: Das glaube ich nicht.

Robert Smith: Aber es ist was dran! Ich habe noch Freunde aus meiner Teenagerzeit. Es hat auch Vorteile, wenn man da bleibt, wo man herkommt. Ich sehe in ihnen manchmal immer noch das 13-jährige Kind. Ich glaube, dass sich zwischen elf und 15 Jahren viel herauskristallisiert.

SZ: Sehen Sie das bei sich selbst denn auch so? Wenn Sie so an den 15-jährigen Robert Smith denken?

Robert Smith: Absolut. Ich glaube, wenn ich mich in diesem Raum mit meinem 15-jährigen Ich zusammensetzen würde, würden wir uns gut verstehen. Ich glaube sogar, dass wir ähnlich auf bestimmte Situationen reagieren würden. Ich habe mich nicht sehr verändert. Aber wenn ich mir die Erfahrungen der letzten 30 Jahre anschaue, ist der Unterschied zwischen dem 15-jährigen und dem 45-jährigen Robert Smith wieder verdammt riesig.

SZ: Was ist mit den Menschen, die Ihnen am nächsten stehen? Man bemerkt doch Veränderungen.

Robert Smith: Sicher. Mein Vater hat sich verändert, er hat sich enorm verändert! Er sagt, dass ich es bin, der sich verändert hat, und ihn anders betrachte, aber ich finde, er hat sich verändert. Da sehen Sie, wie kompliziert das ist. Wer kann das beurteilen?

SZ: Was ist mit Ihrer Frau? Sie sind so lange zusammen. Verändert man sich dann gemeinsam? Verändert sich die Beziehung?

Robert Smith: Das ist die einzige Beziehung in meinem Leben, die sich kaum verändert hat. Wenn man so lange zusammen ist und keine Kinder hat, verändert sich nicht viel. Kinder stülpen eine Beziehung komplett um, glaube ich, aber wir haben keine. Wir kannten uns schon, als ich noch keine Band hatte. Das bedeutet, dass Mary mit mir da hineingewachsen ist, dass sie weiß, worum es da geht, und dass ich wiederum in dem Moment, in dem ich nach Hause komme, wieder der sein kann, den sie damals kennen gelernt hat.

SZ: Und das genießen Sie?

"Warum fragt jemand nach der Farbe meines Lippenstifts?"

Robert Smith: Ja, das bringt mich auf den Boden zurück. Mir wird oft vorgeworfen, ich sei nie erwachsen geworden. Ich fühle mich aber ausgesprochen erwachsen. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre unerwachsener. Unbeschwerter. Kindischer.

SZ: Wäre es zu indiskret zu fragen, warum Sie keine Kinder haben?

Robert Smith: Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich keine Kinder haben würde. Das war das einzige Mal, das mein Vater mich geschlagen hat.

SZ: Was man mit zwölf sagt und vielleicht am Ende provozierend meint, muss man aber mit 30 nicht genauso sagen.

Robert Smith: Da sehen Sie es wieder, manche Dinge verändern sich eben nicht mehr. Ich könnte es nicht aushalten, Vater zu sein. Das hört sich trocken und herzlos an, aber ich habe einfach nie diesen Drang in mir gespürt, ein Kind zu haben.

SZ: Und Ihre Frau?

Robert Smith: Es gab eine Zeit, da waren wir beide so Anfang 30, da schwankte Mary und dachte, sie wolle vielleicht doch Kinder. Ich hätte sie mit ihr bekommen, wenn sie sie wirklich gewollt hätte. Ich meine, um Mary zu behalten.

SZ: Sie würden alles für sie tun?

Robert Smith: Well, so schwer wäre es nun auch wieder nicht gewesen, Kinder zu bekommen.

SZ: Sie sind ein sehr netter Mann.

Robert Smith: Nein, nein, nein . . .

SZ: Doch, ich meine es ernst. Alles, was Sie über Ihre Frau sagen, klingt sehr liebevoll. Dachten Sie, das wäre ironisch?

Robert Smith: Es klang ein bisschen zynisch: nett!

SZ: Es sollte ein Kompliment sein. Mary wollte dann aber doch keine Kinder.

Robert Smith: Nein. Und wir haben auch reichlich Kinder um uns herum: 21 Neffen und Nichten. Mary kommt aus einer großen Familie, ich habe drei Geschwister und alle haben mindestens drei Kinder, manche sogar fünf. Nur wir haben keine Kinder. Wenn wir also alle zusammen sind, ist das schon fast surreal. Die Kinder betrachten uns beide weder als Kinder noch als Erwachsene. Wahrscheinlich, weil wir ihnen nie etwas vorschreiben, sondern ihnen Dinge beibringen, die ihre Eltern ihnen nicht beibringen.

SZ: Da werden sich die Eltern ja freuen.

Robert Smith: Wir sind nicht verantwortungslos dabei. Manchmal denke ich, wir hören den Kindern einfach besser zu. Eltern hören ihren Kindern oft nicht richtig zu.

SZ: Also haben Sie Kinder ganz gern.

Robert Smith: Ich habe Kinder irrsinnig gern! Es ist so leicht, mit Kindern zusammen zu sein. Sie stellen nur Fragen, die sie beantwortet haben wollen, nicht diese Fragen, auf die niemand eine Antwort erwartet. Man muss nachdenken, um ihnen zu antworten. Auf dem Cover der neuen Platte sehen Sie übrigens die Zeichnungen von meinen Neffen und Nichten.

SZ: Hm, vielleicht wären Sie ein guter Vater.

Robert Smith: Aber Kinder machen so müde! Haben Sie welche?

SZ: Einen Sohn.

Robert Smith: Dann müssen Sie es ja wissen. Alle Leute um mich herum, die Kinder haben, können nichts mehr unternehmen. Sie sind immer müde. Man hat den Eindruck, als würden sie die ersten Jahre mit ihren Kindern in einer Art Trance verbringen!

SZ: Stimmt: Schlaf wird plötzlich zu einem Riesenthema.

Robert Smith: Ich gehe jetzt dauernd mit Leuten aus, die 15, 20 Jahre jünger sind als ich. Einfach, weil sie noch keine Kinder haben.

SZ: Gibt es irgendetwas, das Sie gerne an ihrem Leben verändern würden?

Robert Smith: Weniger trinken wäre nicht schlecht. Aber ich mache das, was ich mache, sehr gern. Ich bin gern mit der Person zusammen, mit der ich zusammen bin, und ich lebe gern dort, wo ich lebe. Ich bin viel unterwegs, und mein Zuhause gibt mir Normalität. Ich kann mir kein besseres Leben vorstellen. Langweilig, oder? Ich setze mich jedes Jahr hin und überlege, was ich dieses Jahr anders machen könnte. Dann fällt mir wieder nichts ein.

SZ: Aber einen Wunsch hatten Sie ganz sicher, auch wenn er nichts mit Ihrem Leben zu tun hat: Dass England weiter kommt gegen die Portugiesen.

Robert Smith: Nein, ich finde Portugal am besten.

SZ: Fühlen Sie in einem solchen Moment nicht mit David Beckham?

Robert Smith: Mit Beckham? Nein! Er ist eine Flasche. Er sieht nur noch Dollars und versucht, sich in der Welt seiner Frau zurecht zu finden, anstatt seinem Instinkt zu folgen. Aber sagen Sie mal: Leben Sie hier in der Nähe? Es ist spät, und Sie haben doch gesagt, Sie müssen noch nach Hause fahren.

SZ: Ja, ich muss nach München.

Robert Smith: Sind Sie glücklich in Süddeutschland?

SZ: Es ist okay. Haben Sie etwas gegen Süddeutschland?

Robert Smith: Ich würde den Norden besser finden. Aber Sie sollten dort sein, wo Sie das Gefühl haben, hinzugehören. Sie bekommen keine zweite Chance.

Robert Smith, 45, gründete 1977 die Band "The Cure" in klassischer Drei-Mann-Besetzung. Die Anfänge waren punk-orientiert, mit "Seventeen Seconds" veröffentlichte die Band dann 1980 ihr Meisterwerk. In jener Zeit veränderte sich das Aussehen der Bandmitglieder: Aus den Schuljungen wurden Rocker mit hochtoupierten Haaren, Make-Up und schwarzer Kleidung.

Obwohl "The Cure" von den Gothic-Fans als ihre Band betrachtet wurde, hatten sie große Hits, die weit über die Szene hinaus erfolgreich waren, zum Beispiel "Boys Don't Cry", "Lovecats" und "Lullaby". Die neue, schlicht "The Cure" betitelte und ziemlich rockige Platte ist gerade erschienen.

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