Süddeutsche Zeitung

Interview mit dem Gründer der "St. Pauli Nachrichten":"Viele sind größenwahnsinnig geblieben"

Günter Zint, 1968 Gründer der St. Pauli Nachrichten, spricht über Revolution, den Sekt der Macht und die perfekte Zeitung.

Interview: Uli Kreikebaum

Günter Ulrich Zint, geboren 1941 in Fulda, startete seine berufliche Laufbahn als Bildjournalist und Redakteur bei der Deutschen Presseagentur. Bekannt wurde er durch seine Fotos aus dem Hamburger Star-Club. Er war beim Spiegel und gründete 1968 mit Antiquitätenhändler Helmut Rosenberg die St. Pauli Nachrichten. Mit einer Mischung aus linkem Boulevard, Satire und nackten Frauen erreichte das Blatt eine Millionenauflage. Mit Günter Wallraff hat Zint viele politische Reportagen und Bücher publiziert (z.B. "Der Aufmacher" und "Ganz unten"). 1991 eröffnete Zint in St. Pauli ein Stadtteilmuseum. Aktuell arbeitet er an einer Dokumentation über den Hamburger Nachtclub Salambo. Zint lebt mit seiner Frau und vier Kindern in Worpswede. SZ

SZ: Herr Zint, was haben Sie sich dabei gedacht, im April 1968 die St. Pauli-Nachrichten zu gründen?

Günter Zint: Wir wollten Bild mit pfiffigen und provokanten Geschichten links überholen. Der Sex kam eher zufällig dazu. Wir bekamen Briefe von Lesern, die auf Partnersuche waren. Bis dahin hatten wir nur sehr schüchtern Barbusiges gezeigt. Der Kontaktanzeigenteil hat dem Blatt dann zu seiner Millionenauflage verholfen.

SZ: Obwohl schnell klar war, dass die Menschen das Blatt kaum wegen der Texte von Stefan Aust oder Henryk M. Broder kauften, wollten Sie eine linke Revolution anzetteln?

Zint: Wir waren etwas größenwahnsinnig und glaubten, bald die Regierung stellen zu können. Es war schließlich unsere Jugend! Als Helmut (Rosenberg, Mitgründer der St. Pauli Nachrichten d. Red.) immer mehr auf die Nackedeis setzte, habe ich mich ausbezahlen lassen.

SZ: Ihre damaligen Kollegen Aust und Broder haben Karriere im Establishment gemacht - warum nicht Sie?

Zint: Na ja, Gott sei Dank! Wenn ich mal schlecht drauf war, bin ich nicht zum Psychiater, sondern lieber in eine Hafenkneipe gegangen. Ich habe mich immer mit Kieztypen wohler gefühlt als mit den Hochintellektuellen. Stefan (Aust) hat sich für ein anderes Leben entschieden. Es war ihm klar, dass er beim Spiegel irgendwann nicht mehr so frei schreiben kann wie wir damals.

SZ: Nostalgisch geworden, als Sie nach Austs Rauswurf beim Spiegel seine alten Kolumnen neu auflegten?

Zint: Ein bisschen schon: "Strauss kam aus dem Wienerwald, da stellten ihn zwei Nutten kalt", "Angst und Schrecken über Venlo - wollte Franz-Josef Strauss Lufthansa-Jet kapern?" Wenn man liest, wie Stefan damals geschrieben hat! Mal sehen, vielleicht rafft er sich ja nochmal auf, jetzt, als freier Mann. Auf seine gesammelten Werke von damals war er auf jeden Fall ganz scharf.

SZ: In Ihrer gemeinsamen Zeit hat Aust Terroristen verteidigt, die unschuldige Menschen umgebracht haben. Um gegen das imperialistische System vorzugehen, gebe es manchmal kein anderes Mittel. Das liest sich heute befremdlich.

Zint: Da würde ich ihn gern heute nochmal zu interviewen. Oh Gott im Himmel, hat der eine Wandlung durchgemacht! Stefan hat mit seinen Feinden ein paar Jahre später Sekt getrunken. Im Kopf war er wohl nie extrem, sondern immer ein Liberaler, der Macht wollte. Bei uns hat er sich ein bisschen ausgetobt.

SZ: Hielten Sie Gewalt auch für ein legitimes Mittel?

Zint: Meine Kamera war am Ende immer die bessere Waffe.

SZ: Sie waren vor der Zeit bei den St.PauliNachrichten bestbezahlter Spiegel-Fotograf. Wie zügelt man sein Ego, wenn man vom gefragten Mann zum Randreporter wird?

Zint: Ich würde mich nicht als Randreporter bezeichnen. Es gibt zu viele, die die alten Zeiten nicht abstreifen konnten, sich von ihrer Macht haben korrumpieren lassen, oder größenwahnsinnig geblieben sind.

SZ: An wen denken Sie?

Zint: Henryk (Broder) zum Beispiel ist seit langem ein abgrundtiefer Zyniker, der in einer Talkshow sagt: "Als Täter lebt es sich besser denn als Opfer." Oder Götz Aly, der nur Aufmerksamkeit erregen will mit seinem Buch Unser Kampf und dafür völlig wirre Parallelen zwischen den Nazis und der 68ern zieht.

SZ: Verlieren Bilder und relevante Geschichten in einer überinformierten Gesellschaft an Wert?

Zint: Definitiv. Ich kann da nur an Neil Postman erinnern, der schon vor mehr als 20 Jahren gewusst hat, wir amüsieren uns zu Tode. Die Menschen werden heute mit so vielen Nebensächlichkeiten zugemüllt, dass es ihnen kaum noch möglich ist, sich auf die politischen Inhalte zu konzentrieren.

SZ: Kann man sich der Digitalfotografie noch verweigern?

Zint: Nee. Dann würde ich nicht mehr ein Bild an Zeitungen verkaufen. Aber es gibt natürlich viele Dinge, die mich an der Digitalisierung ärgern: Das Prinzip Leserreporter ist für mich Schmeißfliegenjournalismus.

SZ: Immer noch Wut auf Bild?

Zint: Immer mehr. Wenn ich höre, was Kai Diekmann (Bild-Chefredakteur) schreibt, dass "wir 68er" heute noch die geistige Hygienepolizei wären - oh Gott, wenn es doch so wäre! Bei Bild stimmen jeden Tag zwei Dinge - Preis und Datum. Ich habe mal einen Chefredakteur vom Spiegel in einem billigen Puff auf dem Kiez getroffen. Er hat mir etwas peinlich berührt erzählt, er wolle Milieustudien betreiben. Dann fragte er mich, ob er mal mit in die Redaktion der St. Pauli Nachrichten dürfe. Dort hat er am Schreibtisch gesessen und gesagt, er würde am liebsten mal acht Wochen die Bild machen, um die Nation zu verarschen. Ich hab' noch Fotos, wie er dort saß.

SZ: Wie müsste die perfekte Zeitung heute aussehen?

Zint: Ein bisschen taz, ein bisschen Spiegel, etwas Lokalzeitung, ein paar Überregionale wie die SZ und die FR, eine winzige Prise Bild - es gibt so eine Formel, wie eine Zeitung aussehen müsste.

SZ: Heute gibt es wie 1968 einen Krieg, für den die USA kritisiert werden, und eine große Koalition, die Reformen blockiert. Trotzdem interessiert sich die Jugend nicht für Politik. Sind daran die Medien schuld, weil sie zu sehr auf den Mainstream setzen?

Zint: Heute regiert der vorauseilende Gehorsam. Früher sagte man, in Anlehnung an Egon Erwin Kisch, dass junge Journalisten ein paar Jahre kischen und dann kuschen. Heute kuschen viele von Anfang an - weil sich viele Journalistenschulen und Redaktionen schreibtischgerechte Leute heranzüchten. Viele Talente werden zu Verlautbarern von Pressemitteilungen und Zeitgeist.

SZ: Sie haben mehr als drei Millionen Bilder gemacht. Wie lebt es sich davon?

Zint: Leben kann ich davon nicht. Die meisten Leute, die uns anfragen, sind Bürgerinitiativen und andere Leute, die kein Geld haben. Das St. Pauli Museum macht die Hamburger Kulturbehörde möglich. Jan Philipp Reemtsma finanziert die Digitalisierung der politischen Bilder. Ich lebe von meinen Büchern, Filmen und vom direkten Fotoverkauf. Ganz wenig kommt über Fotohonorare, dieses Jahr dank des Interesses an 1968 ein bisschen mehr.

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Quelle:
SZ vom 11.04.2008/korc
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