Interview mit dem Fotografen David LaChapelle:"Madonna war echt ein Albtraum"

Wollen Sie ein Interview mit dem Fotografen lesen, der die Frau hier links abgelichtet hat. Wollen Sie? Sie wollen? Gut. Er heißt David LaChapelle, ist ein Meister glamouröser Übertreibung und hat nun genug von zickigen Stars - darum will er sich jetzt zurückziehen.

Dirk Peitz

Niemand fotografiert so glamourös und gleichzeitig so erotisch wie der 37-jährige Amerikaner David LaChapelle. In den vergangenen Jahren erregte er Aufmerksamkeit mit grellen, gern auch anrüchigen Bildern und Musikvideos. LaChapelle, der als 17-Jähriger bei Andy Warhols Magazin Interview anfing, hat für Zeitschriften wie The Face, Vanity Fair, Vogue, Rolling Stone mit Models und Stars gearbeitet. Seine Videos für Christina Aguilera (,,Dirrty''), Elton John oder Mariah Carey sind quietschbunte Orgien von Farben und Fleisch. Derzeit sind LaChapelles Fotografien gleich zweimal in Berlin zu sehen, bis zum 20. Mai 2007 in der Ausstellung ,,Men, War & Peace'' in der Helmut Newton Foundation zusammen mit Männerporträts Newtons und Kriegsfotografien von James Nachtwey - und die Galerie Jablonka zeigt bis zum 17. Februar 2007 neueste Bilder LaChapelles, die für seinen bei Taschen erschienenen Fotoband ,,Heaven To Hell'' entstanden sind.

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SZ: Mr. LaChapelle, wie definieren Sie Glamour?

David LaChapelle: Meine persönliche Auffassung ändert sich genauso oft wie die allgemeine Vorstellung davon. Ich begann meine Karriere damit, einfach Menschen zu fotografieren, die bedeutsam waren für die Popkultur. Nach und nach hat die Klatschindustrie aber immer weitere Kreise für glamourös erklärt, die Personnage wurde immer umfassender, bis am Ende die Figur Paris Hilton stand.

SZ: Die haben sie fotografiert, als sie 16 Jahre alt war. Kaum jemand kannte sie damals, sie wirkt auf dem Bild wie ein verzogenes Gör, das sich bei der reichen Oma austobt. Ist Paris Hilton heute die Antithese zum Glamour?

LaChapelle: Das ist sie tatsächlich, sie ist die ideale Verkörperung einer obsessiven, substanzlosen Selbstzurschaustellung, sozusagen ein Image in Reinform. Was an sich ja wunderbar ist: Pin-ups gab es immer, und Paris Hilton ist im Grunde auch eins, nur haben sich die Inszenierungsformen für diesen Typus von Figur gewandelt. Aber als die eigentlich neue Qualität empfinde ich die Art von Hysterie, die sie als Pin-up verbreiten kann, die Aufmerksamkeit, die das Publikum ihr schenkt. Das ist neu, und damit erst wird sie bedeutsam für die heutige Kultur. Andy Warhol hätte sie geliebt, sie ist die ultimative künstliche Gestalt! Ich meine das nicht herablassend, im Gegenteil, ich mag Paris Hilton, ich kenne sie, seit sie 14, 15 war. Reiche zu hassen und Arme zu lieben: das ist mir zu einfach. Es weint sich zu leicht um das einfache Volk.

"Madonna war echt ein Albtraum"

SZ: Aber die Umkehrung dieser Form der Sozialromantik ist letztlich auch wieder romantisch, oder?

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LaChapelle: Ich kann nur von meinen persönlichen Erlebnissen sprechen. Als ich vor einiger Zeit den Dokumentarfilm ,,Rize'' über Tänzer aus dem Ghetto von South Central Los Angeles machte, fand ich meine Haltung bestätigt: Reichtum und Glamour haben wenig mit Geld zu tun. Wie viel Liebe, Energie, Wärme, Freude, letztlich immateriellen Reichtum und Glamour diese Kids besaßen! So etwas findet man nicht in Beverly Hills. Ich kenne einen Haufen weltberühmter Menschen. Diese Leute sollten die glücklichsten auf unserem Planeten sein, doch was ist los? Sie schaufeln Drogen in ihre Körper, suchen in hemmunglosem Shopping so etwas wie Lebenssinn, weil da sonst bloß diese gähnende Leere ist und all die Ängste - es ist schockierend. Und wir warten nur darauf, dass sie straucheln.

SZ: Sie selbst sind dank Ihrer Fotografien von Stars selbst zu einem geworden.

LaChapelle: Es war wirklich kein Ziel von mir, eine B-Celebrity zu sein, die A-Celebrities fotografiert. Ich reiße mich nicht darum, Fotos von mir in der Zeitung zu sehen, ich wehre mich aber auch nicht dagegen. Es ist mir egal. Was mir nicht egal ist, ist der Inhalt meiner Bilder. Da habe ich vor einer Weile festgestellt: Ich will nicht wie Herb Ritts enden, dessen letztes Foto vor seinem Tod Ben Affleck in der Wüste zeigte. Auf meinem letzten Bild soll etwas anderes zu sehen sein als irgendein verfluchter Filmstar. Was aber auf meinen nächsten Bildern wirklich zu sehen sein wird, weiß ich selbst noch nicht genau.

SZ: Sie kehren der Star-Fotografie den Rücken?

LaChapelle: Richtig. Ich fotografiere keine Stars und keine Mode mehr. Ich habe in den letzten knapp zwei Jahrzehnten ständig in Flugzeugen herumgesessen, ich bin von einem Job zum nächsten gehetzt, von einem Shooting zum nächsten, von einem Star zum nächsten, und ganz ehrlich: Ich habe es satt.

SZ: Ist es ein Zufall, dass Sie sich zu einer Zeit von der Inszenierung von Stars verabschieden, da es offenkundig ein wachsendes Unbehagen beim Publikum über diese Leute gibt?

LaChapelle: Ist das wirklich so?

SZ: Zumindest erschienen Stars nie geheimnisloser, verfügbarer, durch ihre Omnipräsenz letztlich nervtötender als gerade heute.

LaChapelle: Das mag stimmen. Aber es gibt nach wie vor eine massenhafte Nachfrage nach ihren Bildern, nach Pseudoinformationen über sie. Das Publikum scheint regelrecht süchtig danach, mit allen negativen Randaspekten eines Suchtverhaltens - die Dosis muss ständig gesteigert werden. Aber möglicherweise bin ich ja tatsächlich ein Barometer dafür, dass die Leute genervt sind. Ich wollte aber auch nie Fotos von berühmten Menschen machen, nur weil sie Projektionsflächen für Publikumsträume sind. Ich wollte Geschichten erzählen und gleichzeitig subversive Kommentare über die Popkultur abgeben. Als ich die Rapperin Lil'Kim mit dem Logo von Louis Vuitton auf ihrer Haut fotografierte, war das nicht bloß ein alberner Effekt - es ging darum, die Warenförmigkeit des Fleisches in unserer Zeit zu thematisieren. Okay, das geschah, indem ich einen Star ablichtete, aber dadurch wurde das Thema eher noch weiter gefasst. Es geht in meinen Fotografien um Dinge wie Konsum, Obsessionen, Schönheitsideale, Exzess - dafür sind Stars einfach das perfekte Anschauungsmaterial.

"Madonna war echt ein Albtraum"

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(Foto: Alle Fotos: © Image courtesy David LaChapelle studio)

SZ: Einige Ihrer jüngsten Bilder zeigen Models vor Häusern mit Sturmschäden. War das schon eine Ankündigung ihres Ausstiegs aus der Modefotografie? Oder ist das eine Art ,,Radical Chic''?

LaChapelle: Das war meine Art, auf das ökologische Desaster des Klimawandels hinzuweisen. Ich habe für diese Fotos mächtig Ärger bekommen. Sie entstanden ursprünglich für die italienische Vogue, und ausgerechnet als die Ausgabe gerade an den Kiosken war, hat der Hurrikan Katrina New Orleans getroffen. Die Leute bei der Vogue waren erbost: Was sollen diese Ruinen, kannst du nicht Bilder machen, wie du sie vor fünf Jahren gemacht hast? Nein, kann ich nicht, ich bin jetzt künstlerisch woanders. Aber das war schon immer so: Die Magazine wollten immer das von mir, was ich jeweils fünf Jahre zuvor gemacht hatte.

SZ: Und jetzt wollen Sie all dem abschwören?

LaChapelle: Richtig. Ich habe Madonna abgesagt, ich habe Christina Aguilera abgesagt, ich habe einen ganzen Haufen Jobs abgesagt, als man mir schon mit sehr annehmbaren Schecks vor der Nase herumwedelte. Aber es geht einfach nicht mehr. Zum Beispiel Madonna - ich sollte das Musikvideo zu ,,Hung Up'' machen, aber sie war einfach ... nun ja, gemein zu mir. Sie war ein Albtraum. Nein, ich habe genug Geld, ich muss mich nicht mehr von Leuten wie Madonna anschreien lassen. Abgesehen davon: Ich habe ästhetisch auf diesem Feld alles gesagt, was ich zu sagen hatte. Ich bin der Mode- und Star-Fotografie entwachsen - schon allein deshalb, weil man mich dort nicht machen lässt, was ich will. Also muss ich mir andere Inhalte und Orte dafür suchen, und die einzigen Orte sind für mich heute Galerien und Museen. Ich will nicht mehr mit Popstars arbeiten, die mich mit ihren Ideen foltern. Also: Scheiß auf sie! Auf Wiedersehen! Interessiert mich nicht mehr.

SZ: Warum haben Sie sich denn ursprünglich für diese Leute zu interessieren begonnen?

LaChapelle: Nennen Sie es eine private, nicht besonders originelle Obsession. Ich liebe Musik, und ich habe schlicht zu Musik von Whitney Houston, Elton John oder Madonna in Clubs getanzt, sie im Radio gehört, so wie Millionen anderer Menschen. Nur dass ich später die Musiker fotografiert habe, ich habe sie größer als das Leben gemacht, sie auf cineastische Weise aufgeblasen. Das sogenannte Natürliche, die Realität hat mich als Darstellungsmodus nie interessiert. Nan Goldin und Wolfgang Tillmans zählen zwar zu meinen Lieblingsfotografen - das ist aber ein Grund mehr, anders zu arbeiten.

SZ: Neben Ihren Fotoarbeiten haben Sie stets auch Videos und Werbeclips gemacht, Sie haben Bühnenshows ausgestattet für Elton John in Las Vegas und den Film ,,Rize'' gedreht. Haben Sie sich schon entschieden, in welchem Medium Sie zukünftig arbeiten?

LaChapelle: Ich liebe die Fotografie. Und ich weiß: Ich werde niemals einen Hollywoodfilm machen. Ich habe ,,Rize'' zwar komplett allein finanziert, brauchte aber einen Filmverleih dafür. Die Erfahrung mit diesem Metier hat mich gelehrt: Ich werde nie wieder mit Hollywood zusammenarbeiten, da wird gelogen, betrogen, gestohlen ... Ehrlich: In keinem Ghetto in den USA habe ich je so große Angst gehabt wie in der Gegenwart von Hollywoodtypen in Businessanzügen. Sollte ich also je wieder im Medium Film arbeiten, wird das außerhalb dieses Systems sein. Aber im Moment fotografiere ich nur, zu Hause in Hawaii vor allem und ein bisschen im Studio in Los Angeles.

SZ: Das letzte Star-Bild, das sie gemacht haben, ist eine Pietà - Courtney Love hält einen blonden Mann im Arm, eine Art Junkie-Jesus, der ihrem verstorbenen Ehemann Kurt Cobain auffällig ähnelt. Ist das Ihr Fazit nach 20 Jahren Celebrity-Fotografie: Die gefallenen Stars sind die quasireligiösen Gestalten unserer Kultur?

LaChapelle: Zunächst einmal ist mir die Ähnlichkeit des männlichen Modells mit Kurt Cobain erst beim Shooting aufgefallen. Courtney Love war ebenso schockiert, doch am Ende hat sie dem Motiv zugestimmt. Ich machte einfach eine Jesus-Serie, ich hatte den Rapper Kanye West vorher bereits als schwarzen Heiland fotografiert, und nun brauchte ich noch einen blonden Jesus. Aber das nun als Fazit meines Schaffens mit Stars zu verstehen, wäre vielleicht etwas übertrieben. Und ich kann nicht garantieren, dass nie wieder berühmte Menschen in meinen Fotografien auftauchen. Ich bin mit vielen befreundet, und da ich dazu tendiere, meine unmittelbare Umgebung in meinen Bildern darzustellen, könnten darin auch wieder sogenannte Stars zu sehen sein.

SZ: Bereuen Sie irgendetwas?

LaChapelle: Nicht ein einziges Foto, das ich gemacht habe. Selbst wenn mir heute manche nicht mehr gefallen, sind sie doch jedes für sich Zeugnisse meines Blicks auf die Welt zum Zeitpunkt ihres Entstehens. Persönlich gäbe es ein paar Dinge zu bereuen; ich war auch nicht immer ganz nett zu Menschen. Aber ganz ehrlich: Im Vergleich zu manchen Stars bin ich wirklich harmlos.

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