Interview mit David Lynch:"Das ganze Enchilada liegt in uns"

David Lynch über den Kunstmarkt, die schlechte Behandlung von Bildern, die Hässlichkeit, das Fegefeuer und den Teufel.

Georg Klein

SZ: Wann haben Sie zum ersten Mal ein Bild verkauft?

Interview mit David Lynch: David Lynch: "Ich brauche die Hitze der Sonne"

David Lynch: "Ich brauche die Hitze der Sonne"

(Foto: Foto: dpa)

David Lynch: Am Anfang habe ich meine Bilder nicht verkauft, ich habe sie einfach weggegeben. Ein Mann namens Roger Lapelle, für den ich in Philadelphia als Drucker arbeitete, bezahlte mir 25 Dollar pro Tag, dafür, dass ich einfach malte und er behalten durfte, was immer dabei entstand. Ich machte das am Samstag, wenn ich mir etwas dazu verdienen wollte. Das erste Kunstwerk, das ich wirklich verkauft habe, war das reliefartige Bild, auf das ich meinen ersten Film ("Six men getting sick") projizierte. Der High School-Lehrer meiner Frau kaufte es.

SZ: Gibt es verlorene Bilder, die sie niemals wiedersehen werden?

Lynch: Ja, es gibt viele verlorene Bilder...

SZ: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie an sie denken?

Lynch: Nicht gut. Bei manchen macht es mir nichts aus, aber der Verlust anderer macht mich traurig.

SZ: Fühlen Sie sich schuldig?

Lynch: Nicht in allen Fällen. Einige wurden einfach gestohlen. Manchmal hatte ich keinen Platz, um sie sicher aufzubewahren. Einige habe ich irgendwo zurückgelassen, und im Lauf der Jahre wurden sie wohl weggeworfen.

SZ: Haben Sie jemals ein fertig gestelltes, gelungenes Bild zerstört?

Lynch: Ich habe fertig gestellte Gemälde zerstört, aber sie waren nicht gut. Da bin ich ziemlich sicher.

SZ: Ist es möglich, ein Bild schlecht zu behandeln oder sogar zu missbrauchen?

Lynch: Nein, wenn Sie es verbrennen, dann ist es verschwunden. Man darf zerstörerisch sein, daraus entsteht manchmal eine wirklich großartige Idee, ein Weg weiterzukommen.

SZ: Und der Betrachter oder der Besitzer eines Bildes - darf der genauso damit umgehen?

Lynch: Er kann damit machen, was er will. Es wäre traurig, wenn er es vernichten würde. Aber merkwürdigerweise empfinden die meisten Menschen eine Art Achtung für das, was ein anderer gemacht hat. Insbesondere wenn er es mit seinen Händen hergestellt hat.

SZ: Ist der Teufel ein guter Maler?

Lynch: Es heißt: "Der Teufel ist ein Lügner und der Vater aller Lüge." Die Menschen denken, er ist eine Person. Aber er gehört zu jenen Mächten, die uns in Dualität festhalten und uns davon abhalten, unser Selbst zu erkennen. Es ist ein Spiel, und der Teufel ist in der Welt, damit dieses Spiel so lang wie möglich andauert.

SZ: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Kunst, Kunsterfahrung und Betrug?

Lynch: Seit Geld im Spiel ist - und es geschieht ja schon seit Jahrhunderten, dass Dinge auf diese Weise bewertet werden können - sind natürlich Schwindel und Trick in diese Angelegenheiten verwickelt. Es gibt viele Geschichten darüber. Und es steigert den Wert des Ganzen. Ich vermute, auch das gehört zum Spiel.

SZ: Erinnern Sie sich an das erste pornographische Bild, das Ihnen vor Augen kam?

Lynch: In Philadelphia habe ich einige großartige pornographische Bilder gesehen! Zwei meiner Freunde hatten damit zu tun: Einer sammelte pornographische Bilder, und Jack Fisk, der wunderbare Regisseur und Maler, arbeitete in einer einschlägigen Buchhandlung. Ab und zu zeigten sie mir etwas.

Ich erinnere mich an ein altes Foto von zwei Mädchen und einem Matrosen. Es war wirklich sehr, sehr harte Pornographie! Mit der Zeit habe ich verstanden, wenn man zu viel davon sieht, wird es - zumindest für mich - kalt und deprimierend. Das raubt der eigentlichen Erfahrung viel. Aber es hat seine eigene Faszination. Manchmal kann einen Pornographie ins Träumen bringen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was David Lynch zum Malen braucht.

"Ich bin ganz für den Himmel auf Erden!"

SZ: Worauf muss man vertrauen, wenn man malt?

Interview mit David Lynch: David Lynchs Gemälde "This Man Was Shot 0.9502 Seconds Ago".

David Lynchs Gemälde "This Man Was Shot 0.9502 Seconds Ago".

(Foto: Abbildung: David Lynch)

Lynch: Auf die ursprüngliche Idee, auf die Intuition, auf einen selbst. Man muss der eigenen Stimme so nah wie möglich kommen. Sogar wenn man das Vertrauen verliert, arbeitet man weiter, bis man das Gefühl hat, es fühlt sich richtig an. Auf dem Weg kann es zu Rückschlägen und Zerstörungen kommen. Aber es kann sich um glückliche Unfälle handeln. Man muss nur darauf achten, dass man in Bewegung bleibt und darauf, dass man nicht das gleiche Bild ein zweites Mal malt. Man muss immer in das Unbekannte gehen.

SZ: Muss die Schönheit manchmal von Hässlichkeit beschützt werden?

Lynch: Kontrast gehört zum Feld der Relativität. Nach und nach gibt es nichts mehr, was hässlich ist. Alles ist ziemlich schön. Alles! Natürlich hat man besondere Vorlieben.

SZ: Ich habe da eine frische Narbe auf der Hand...

Lynch: Das ist ein ideales Beispiel! So etwas wird herkömmlich für hässlich gehalten. Für mich macht diese Narbe Ihre Hand viel interessanter. Sie ist sehr schön. Sie hat Textur. Ihr Umriss, ihr Formenspiel, ihre Farben! Wenn man sie fotografieren und isolieren würde. Sie ist ein organisches Phänomen. Sie besitzt Schönheit.

SZ: Nehmen Sie die Zeit beim Malen anders wahr?

Lynch: Ja. Wenn Sie gefoltert werden, vergeht die Zeit, denke ich, ziemlich langsam. Wenn Sie etwas wirklich genießen, scheint die Zeit beinahe zu verschwinden. Plötzlich ist Abend, oder noch später. Es ist seltsam, dass es keine festgesetzte Zeit gibt, das sich ihr Charakter immer verändert. Meistens sind die Tage viel zu kurz.

SZ: Benötigen Sie Sonnenlicht um zu malen?

Lynch: Ja, Ich brauche es! Ich habe mich daran gewöhnt, im Freien zu malen. Da ich in Südkalifornien lebe, kann ich dies fast das ganze Jahr hindurch tun. Jetzt Ende Herbst, Anfang Winter - man mag mich dafür auslachen - ist es mir dennoch zu kalt. Es gibt schöne Tage, aber das Licht ist zu deprimierend, die Sonne steht niedrig am Himmel. Aber wenn der Frühling kommt und die Sonne steigt, bedeutet dies eine solche Euphorie. Ich brauche die Hitze der Sonne für viele Dinge, die ich tue.

SZ: Fühlen Sie sich wie ein alter Künstler?

Lynch: Alles ist relativ. Jeder weiß: Im Zwiegespräch mit uns selbst sprechen wir mit einem alterslosen Selbst. Es ist das gleiche Selbst wie in unserer Kindheit. Es überrascht manchmal, in den Spiegel zu sehen und festzustellen, dass man nicht mehr in einem jener Lebensalter ist, die irgendwann einmal geschehen sind. Aber das macht nichts. Die Ideen fließen noch, der Enthusiasmus ist da, das Glück ist da, man macht weiter.

SZ: Gefällt ihnen das Fegfeuer als Zeitmodell?

Lynch: Die meisten Menschen wissen nicht, wo sie waren, bevor sie hierher gekommen sind. Sie wissen nur, dass sie auf einer endlichen irdischen Reise sind - in ihrem Körper. Wir wissen nicht, wohin wir danach gehen werden. Zu hundert Prozent: Wir wissen es nicht! Einige Leute behaupten es dennoch. Ich bin ganz für den Himmel auf Erden.

Wir haben über Meditation gesprochen. Das ganze Enchilada liegt in uns. Das himmlische Königreich ist in uns. Ich glaube an den Satz: Die Menschheit war nicht geschaffen, um zu leiden. "Bliss", Glückseligkeit ist unsere Natur. Wenn Sie sich umschauen, scheint dies nicht ganz zu stimmen. Aber in letzter Hinsicht ist es so.

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