Interview mit Charlotte Gainsbourg:"Ich war eine Fremde"

Das Mädchen, das nicht schlafen kann: Charlotte Gainsbourg spricht über ihre Musik, Dylan, Inselleben, Lampenfieber-Bauchschmerz und ihren neuen Film "Golden Door".

Marcus Rothe

Gut zwanzig Jahre ist es her, dass sie debütierte, in Filmen von Doillon und Varda und Miller, im vorigen Jahr hat sie etwas vom Zauber der Jugend wieder belebt in Gondrys "Science des rêves". Dazwischen Filme vom Ehemann Yvan Attal - "Meine Frau, die Schauspielerin" -, auch eine Jane Eyre.

Charlotte Gainsbourg

Charlotte Gainsbourg.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Sie sind in "Golden Door" die geheimnisvolle englische Fremde unter sizilianischen Auswanderern. Wie spielt man so eine Rolle am Rande?

Charlotte Gainsbourg: Ich fühlte mich als Außenseiter, beobachtete das Geschehen aus einer Distanz heraus ... Vier Monate allein unter Italienern in Argentinien zu drehen, das war die extremste Erfahrung meiner bisherigen Karriere. Ich war die ganze Zeit eine "Fremde", konnte mich nicht mit den anderen Schauspielern verständigen. Eine solche Isolation war oft schwer zu ertragen. Aber ich habe mich von Emanueles Enthusiasmus mitreißen lassen. Mir gefiel seine starke Geschichte, und ich wollte mit einem Stück italienischer Kultur konfrontiert werden. Es war eine lange Reise, bei der wir alle buchstäblich in demselben Boot saßen. Ich habe bei jedem neuen Film das Gefühl, eine Anfängerin zu sein - obwohl ich diesmal mit unerfahrenen Schauspielern und Laien zusammenarbeitete. Wir mussten vorher intensiv körperlich proben - wie bei einer Choreographie. Beim Dreh mussten wir dann improvisieren und lernen, den spontanen Entscheidungen Crialeses zu folgen. So hatte keiner das Gefühl, "Schauspieler" zu sein.

SZ: Haben Sie denn auch an Ihren Vater Serge Gainsbourg gedacht, der Sohn russischer Einwanderer ist?

Gainsbourg: Ja, deshalb hat mich der Film auch ganz persönlich berührt. Plötzlich wurde mir klar, was meine russischen Großeltern bei ihrer Reise nach Frankreich empfunden haben müssen und was sie auf sich genommen haben. Selbst meine Mutter, Jane Birkin, war eine Einwanderin, auch wenn es für sie weniger gefährlich war als für meine Großeltern - sie musste nur den Ärmelkanal überqueren! Und die Eltern meines Mannes Yvan Attal sind aus Algerien nach Frankreich geflohen. Ich spürte durch diesen Film, welche Risiken diese Menschen eingingen, und was es heißt, alles aufgeben zu müssen - die Erde ihrer Heimat, ihre kulturellen Wurzeln. Mir selber würde es schwerfallen, alles aufzugeben. Ich brauche meine gewohnte Umgebung. Yvan, die Kinder und ich wollten für ein Jahr nach New York gehen. Wir hatten schon alles organisiert, aber sind im letzten Moment vor diesem Schritt zurückgeschreckt. Es gab nicht genügend gute Gründe für dieses "Exil". Ich brauche einen Rahmen, erst innerhalb bestimmter Regeln finde ich meine Freiheit. Ich träume schon lange davon, eine Weltreise zu machen ...

SZ: Sie leben jetzt im Pariser Viertel Saint-Germain, wo Sie aufwuchsen ...

Gainsbourg: Mein Mann und ich waren lange Nomaden, sind in Paris dauernd umgezogen. So als suchten wir um jeden Preis die Veränderung. Seit drei Jahren sind wir im Viertel meiner Jugend sesshaft. Ich gehe zum Bäcker, zum Metzger, zum Käsegeschäft, die ich noch von früher kenne. Das ist beruhigend und seltsam zugleich. Irgendwie ist dieses bürgerliche Viertel eine Insel. Wenn mir Yvan von seiner Kindheit in der Pariser Banlieue erzählt, merke ich, wie weit das Leben hier von der Realität entfernt ist.

SZ: In dem Dylan-Film von Todd Haynes, "I'm Not There", sind Sie eine von Dylans Frauen ... kam die Beziehung zu dieser Musik über Ihren Vater Serge?

Gainsbourg: Ja, ich habe Dylans Musik schon als Kind gehört und sie hat mich mein Leben lang begleitet. Todd Haynes hat jedem Schauspieler bestimmte Dylan-Songs zur Vorbereitung gegeben und ich hatte so das Gefühl, eine ganz eigene Partitur zu spielen. Bei den Dreharbeiten in Dylans Musik zu leben, war wunderbar. Meinen Lieblingssong "I want you" hörte ich von früh bis spät. Auch Emanuele Crialese hat uns oft Songs auf dem Set vorgespielt: In einer "musikalischen" Stimmung zu spielen, inspiriert unglaublich. Man kann sich von der Musik tragen lassen.

SZ: Im September 2006 haben Sie Ihr Album "5.55" herausgebracht ...

Gainsbourg: Lange Zeit fiel es mir schwer, aus dem Schatten meines Vaters herauszutreten, der in seinen Liedern so virtuos mit der französischen Sprache spielte. Weil ich auf Französisch keine Worte fand, ohne an seine Texte erinnert zu werden, habe ich bei meiner Platte Jarvis Cocker und Neil Hannon verarbeitet. Ich habe englisch gesungen und das Thema der Nacht gewählt: die Figur eines Mädchens, das nicht einschlafen kann. Seitdem ich mich traute, eine eigene Platte aufzunehmen, bin ich viel neugieriger geworden für die Musik der anderen. Ich höre The Libertines, Camille, Fiona Apple, Devendra Banhart, aber habe auch die alten Platten von Lou Reed wie "Transformer" wiederentdeckt.

SZ: Was Erotik und Sex angeht, sind Sie ja doch ziemlich zurückhaltend ...

Gainsbourg: Das wird sich ändern: Bei Todd Haynes habe ich eine "heiße" Szene mit Heath Ledger - der einer der insgesamt sechs Dylan-Darsteller ist. Bisher hatten mich die Regisseure nie als Verführerin oder als Femme fatale besetzt. Das muss etwas mit meiner zurückhaltenden Ausstrahlung zu tun haben. Inzwischen sind die Angebote vielfältiger, und ich fühle mich irgendwie wohler in meiner Haut. Naja, es fällt mir nicht leicht, mich selbst auf der Leinwand zu sehen. Auch das Lampenfieber ist im Laufe der Jahre nicht schwächer, sondern stärker geworden. Daher bereitet mir die Idee Bauchschmerzen, eines Tages als Sängerin auf die Bühne zu müssen. Françoise Hardy, deren Musik ich sehr bewundere, tritt aus diesem Grund schon seit langem nicht mehr auf. Meine Mutter kann mir da trotz ihrer langen Kino- und Bühnenerfahrung nicht helfen. Auch ihr fällt es schwer, mit dem Lampenfieber zu leben, wenn sie sich ihrem Publikum stellt. Und mein Album ist sehr, sehr intim...

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