Interview mit Bushido, Loh, Güngör:Harte Texte und die Härte der Nazis

"Papa, Du weißt doch, das ist nur ein Lied", aber so funktioniert Gruppensex: Ein Gespräch zwischen deutschen Rappern über Gewalt, Sex und Nationalismus in Liedern und Leben der deutschen HipHop-Szene.

SZ

Der deutsche HipHop sorgt seit Monaten für Schlagzeilen. Vor allem ist das den Berliner Krawall-Rappern wie Fler, Sido, Kool Savas und Bushido zu verdanken. Die haben durch sexistische, gewalttätige oder nationalistische Songs derart auf sich aufmerksam gemacht (siehe SZ vom 13. Mai), dass inzwischen die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien eingeschritten ist und sieben CDs indizieren ließ. Außerdem drohte Monika Griefahn, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, zuletzt damit, ein Sendeverbot für einige Videos durchzusetzen. Höchste Zeit also für ein Streitgespräch: Auf der einen Seite des Tisches saß der Rapper Bushido, der beim im deutschsprachigen Hardcore-HipHop führenden, unabhängigen Plattenlabel "Aggro Berlin" anfing und mittlerweile bei einem der weltweit führenden Label "Universal" unter Vertrag ist. Drei der fünf Alben von Bushido laufen derzeit durchs Indizierungsverfahren der Bundesprüfstelle, sie werden demnächst wohl nur mit Altersbeschränkung ab 18 Jahren erhältlich sein. Auf der anderen Seite saßen Hannes Loh und Murat Güngör. Loh war früher Rapper bei der HipHop-Band Anarchist Academy und ist mittlerweile Lehrer. Güngör war früher Solo-Rapper und ist Mitglied von "Kanak Attak", einer Organisation, die sich gegen Rassismus einsetzt.

Interview mit Bushido, Loh, Güngör: "Wenn ihr auf Play drückt und meine CD hört, bekommt ihr 70 Minuten aus meinem Leben - wenn ihr auf Stop drückt, seid ihr wieder in eurem Leben."

"Wenn ihr auf Play drückt und meine CD hört, bekommt ihr 70 Minuten aus meinem Leben - wenn ihr auf Stop drückt, seid ihr wieder in eurem Leben."

SZ: Herr Loh, Herr Güngör, in Ihrem Buch "Fear of a Kanak Planet" beschreiben Sie die Geschichte des deutschen HipHop als Verdrängungsprozess: Die Migranten, die den HipHop hierzulande etabliert haben, wurden in den Neunzigern vom Spaß-HipHop der Neuen Mitte beiseite geschoben. Hier sitzt nun ein solcher Migrant und hat großen Erfolg. Freut Sie das?

Loh: Die so genannten Ausländer haben in den achtziger Jahren den HipHop hierzulande aufgebaut. Als ich anfing zu rappen, war ich der einzige Deutsche in einer bunten Clique. Aber da war es egal, wo ich herkomme. In den Neunzigern sahnten dann plötzlich neue deutsche Gruppen wie Fettes Brot und Fanta Vier ab. Die Plattenfirmen wollten nur ",Sommer, Sonne, Sonnenschein, ich bin furchtbar gern daheim." Ich kann den Frust verstehen, den das bei vielen Rappern ausgelöst hat. Die krassen Texte, mit denen die Berliner Aggro-Rapper darauf reagieren, kann ich aber nicht mehr verstehen.

Güngör: Noch etwas ist irritierend. Wir wollten in dem Buch keine Migrantenquote einfordern. Im Gegenteil, wir haben eine Szene beschrieben, die gerade auf so etwas keinen Wert gelegt hat. Es war damals egal, ob du Türke, Marokkaner oder Deutscher warst. Wir wollten zeigen, dass sich das massiv verändert hat. Und es ist ja tatsächlich auf einmal anscheinend wichtig, dass Bushidos Vater Tunesier ist.

SZ: HipHop als multikulturelles Integrationsmodell - ist das unwiederbringlich verloren gegangen?

Loh: "Neue Deutsche Welle", der Song, mit dem der Berliner Fler gerade solchen Erfolg hat, ist ein Beispiel dafür, dass der multikulturelle Traum vorbei ist. Das Patchwork löst sich auf, man ist stolz auf seine Herkunft, er singt: "Das ist Schwarz-Rot-Gold, hart und stolz."

SZ: Der Erfolg von Aggro beruht ja großteils darauf, dass aus jedem Rapper ein bestimmter nationaler Typ gemacht wurde: Bushido, der gefährliche Vorstadtaraber, Fler, der harte Deutsche...

Bushido: Das war nicht nur Aggro. Fler musste das selbst machen, aus Notwehr. All seine Freunde sind verdammt stolz darauf, dass sie Araber oder Türken sind. Da hat sich Fler halt als stolzer Deutscher hingestellt. Jetzt schreien alle, die Aggro-Rapper mobilisieren das nationale Denken. Und ich muss meinen tunesischen Cousin fragen: Alter, bin ich rechtsradikal?

Loh: Der pauschale Nazi-Vorwurf wird gern für schrille Schlagzeilen benutzt: Hilfe, HipHop ist jetzt rechts! Diese Hysterie geht am Problem vorbei. Bisher gibt es in der HipHop-Szene keine Nazi-Rapper. Das eigentlich Verheerende ist, dass sich Rechtsradikale durch die Texte und visuellen Verweise bei Fler für HipHop zu interessieren beginnen.

Bushido: Ich will mir nicht durch meinen tunesischen Vater ein Alibi verschaffen, und natürlich haben Kollegen von mir mit Nazi-Verweisen gespielt, zuletzt Fler. Aber wenn du die Reichsflagge in dein Logo nimmst und mit Glatzköpfen durchs Video fährst - dann darfst du dich über solche Reaktionen auch nicht wundern. Ich habe mich immer von diesem Mist distanziert.

Loh: Umso merkwürdiger, dass auf Deine Konzerte auch Nazis kommen. Du bist ja nicht das, was ein Nazi unter einem Arier versteht. Trotzdem fahren die auf deine Musik ab. Jetzt kann man sagen: Gut so, auf der Bühne steht ein Kanake und die Nazis jubeln, vielleicht sind die ja nach dem Konzert weniger rechts. Man könnte sich aber auch fragen, ob es eine Schnittmenge gibt. Vielleicht ähneln sich die Härte Eurer Texte und die Härte der Nazis? Dann bräuchten die nur noch sagen: Klasse krasse Texte, aber Bushido mit seinem tunesischen Vater, unmöglich. Wir brauchen den Wotan-Clan, blonde Rammstein-Deutsche, die Rassisten-Rap machen. Ich glaube inzwischen, dass das funktionieren würde.

Bushido: Ich war im November auf Tour mit Azad. Eines Abends kam, während Azad auf der Bühne war, dessen marokkanischer Manager zu mir: "Da draußen schreien ein paar Nazis Azad als Kanaken an. Wir müssen vielleicht abbrechen." Als ich dann auf die Bühne kam, haben sich die Typen die T-Shirts aufgerissen und gejubelt. Als ich danach Autogramme gab, kamen diese 2-Meter-Ochsen, und dann nimmt mich einer von denen in den Arm und ist sooo glücklich, und je mehr ich den auf die Glatze haue, desto geiler findet der das. Er sagt, komm, schreib mir Bushido auf meinen Kopf. War schon komisch.

Güngör: Die Jugendlichen denken ja nicht mehr in Kategorien wie Links und Rechts. Für die ist es kein Widerspruch, Bushido zu hören und NPD zu wählen. Sie picken sich raus, was ihnen gefällt. Aus deinen Stücken nehmen sie sich eben die aggressive Härte. Das Gefährliche an Eurer Musik ist doch, dass Jugendliche plötzlich ganz selbstverständlich mit nationalistischen, sexistischen und extrem aggressiven Metaphern spielen.

SZ: In vielen Ihrer Texte wird ein geradezu sadistisch sexistisches Frauenbild gezeichnet.

Bushido: Warum?

Harte Texte und die Härte der Nazis

SZ: In dem Titel "Gangbang" wird beispielsweise auf geradezu menschenverachtende Weise die Mehrfachpenetration einer Frau geschildert.

Bushido: So funktioniert Gruppensex.

Loh: Ich erlebe als Lehrer an einem Gymnasium, welches Vorbild Du für die Jungs bist. Die schreiben Deine Texte auf ihre Ranzen und machen Deine Tattoos nach. Viele Mädchen sagen, dass sie schlechter behandelt werden von den Jungs, seitdem die diesen harten Rap hören. Die werden nur noch als "Fotzen" bezeichnet. Das Männerbild der Jungs hat sich ebenso geändert wie ihre Vorstellung davon, wie es ist, eine Beziehung zu haben. Inwieweit übernimmst Du auch Verantwortung für deine Texte?

Bushido: Ich sage den Kids: Wenn ihr auf Play drückt und meine CD hört, bekommt ihr 70 Minuten aus meinem Leben - wenn ihr auf Stop drückt, seid ihr wieder in eurem Leben, mit euren Eltern, euren Lehrern und der Polizei, die euch verhaftet, wenn ihr Mist baut.

Güngör: Das kannst Du ihnen sagen bei Dir zuhause. Aber Du verlierst in dem Moment die Definitionsmacht über den Inhalt und die Intention Deiner Songs, in dem sie veröffentlicht werden.

Bushido: Willst Du Musiker für alles verantwortlich machen? Wer hat in Columbine den Abzug betätigt? War das Marylin Manson? Wenn ich Rammstein oder Eminem höre, weiß ich, dass das Musik ist und nicht mein Leben. Ob ich davon beeinflusst werde in meinem Denken, kann ich selbst entscheiden.

Loh: Das sind Texte für Erwachsene. Und nun bist Du plötzlich ein Role Model für Tausende von Kids. Muss man die nicht schützen? Was hältst Du von der Indizierung Deiner CDs? Pornos kann man sich ja auch erst ab 18 anschauen.

Bushido: Wenn man sagt, dass meine Musik schlimmes Zeug ist, wird es für die Kids doch erst richtig interessant. Ich bin jetzt der Märtryrer! Drei meiner fünf Alben laufen gerade durch den Indizierungsprozess. 1993 wurde die erste HipHop-Platte indiziert, "Frohes Fest" von den Fantastischen Vier, seither sind elf HipHop-Alben auf dem Index gelandet - drei davon sind von mir. Ziemlich hohe Quote für einen einzelnen Musiker.

Güngör: Wir reden ja nicht von Verbot, die Platten dürfen weiter verkauft werden, nur nicht an Minderjährige. Dein früherer Aggro-Kollege Sido sagt, dass er einen fünfjährigen Sohn hat und dass er mit seiner Verantwortung als Vater so was wie den "Arschficksong" nie mehr schreiben würde.

Bushido: Wie verlogen, er hatte seinen Sohn schon, als er den Song machte.

Güngör: Angenommen, Du hättest eine Tochter, wie würdet Du ihr einen Song wie "Gangbang" erklären?

Bushido: Ich würde sie fragen: Glaubst Du an das, was da erzählt wird? Dann würde sie hoffentlich sagen: "Papa, Du weißt doch, das ist nur ein Lied." Außerdem ist das Problem doch nicht gelöst, indem man die CDs mit einem Stempel "Ab 18" versieht. Die Kinder können sich die Lieder aus dem Netz holen. Ich verdiene halt weniger Geld.

Loh: Naja, Du sagst das so großspurig, aber bei Aggro schlackern sie schon mit den Ohren, wenn deren CDs indiziert werden, können sie bald zumachen, deren Kunden sind doch die 14-Jährigen.

SZ: In Ihren Songs geht es zu wie in der Bronx, und Sie behaupten, das sei authentisch. In Interviews aber beschreiben Sie ihren Alltag als Kleinbürgerleben, wo Muttern die Wäsche wäscht, während Sie selber auf Phoenix Bundestagsdebatten verfolgen, Dr. Lesch gucken und Fantasy-Romane lesen.

Güngör: Wer ist denn Dr. Lesch?

Bushido: Ein Astrophysiker von der Uni München, der erklärt in der Sendung "Alpha Centauri", wie Galaxien entstehen. Guck ich mir gerne an zu Hause.

SZ: Wie geht dieses Idyll zusammen mit der Behauptung, Ihre Krawalltexte seien authentisch?

Bushido: Ich lade Euch gerne ein, einen Tag mit mir zu chillen im Café in Tempelhof. Wenn alle meine arabischen Freunde kommen, sitzen da 800 Jahre Knast rum. Der einzige Unterschied zwischen denen und mir ist, dass ich es mittlerweile geschafft habe, ich kann mir eine Uhr für 6000 Euro kaufen.

SZ: Eine der zentralen Thesen in dem Buch"Fear of a Kanak Planet" lautet, nirgends sei die Entwicklung des HipHop so stark mit einem nationalen Diskurs verknüpft wie in Deutschland. Warum?

Güngör: Wegen unseres Staatsbürgerschaftsgesetzes. Weil immer noch das Blutrecht zählt. Die Jugendlichen, die in der Pariser Banlieue aufwachsen, haben kein tolles Leben. Aber sie sind Franzosen, die nicht automatisch von Abschiebung bedroht sind. Jeder Jugendliche marokkanischer Herkunft wird einem da sagen, ich bin Franzose, ich bin hier geboren. Er würde nie auf die Idee kommen, arabisch zu rappen. Wenn man hier in die Vororte geht, sagen die Jungs, ich bin Türke. Du bist und bleibst Migrant, und jeden Tag werden neue Migranten produziert durch die Politik.

Loh: Weshalb man sich nicht darüber wundern muss, dass türkischer Rap nicht in Istanbul, sondern in Deutschland entstanden ist, serbo-kroatischer Rap ebenfalls.

Bushido: Ich bin Deutscher.

SZ: Sie betonen das oft.

Bushido: Ich spiele damit. Weil ich ja nicht der Deutsche bin, den man sich so vorstellt. Ich habe einen tunesischen Vater, einen deutschen Pass, ich lebe in Deutschland, ich spreche gutes Deutsch, und meine Mama ist Deutsch, also bin ich auch Deutsch. Ich bin im Moment der deutsche Rapper in Deutschland.

SZ: Wenn Murat Güngör Begriffe wie Multikulti oder Integration verwendet, verdrehen Sie die Augen. Warum?

Bushido: Ich mach' doch nicht Musik, um Multikulti-Brei zu fördern. Mir ist das egal.

SZ: Weil das zu sehr nach politischem Programm klingt?

Bushido:Ich würde nie politischen Rap machen. Die Leute können sagen, du klingst rassistisch, nationalistisch, sexistisch, kriminell, damit kann ich leben. Aber wenn sie sagen würden: Du machst politischen Rap - oh mein Gott!

Güngör:Wenn ich den Fernseher anmache und sehe den Deutsch-Tunesier Bushido rappen, muss der gar keine politische Botschaft thematisieren. Das ist selbst schon politisch. Die Leute haben lange keinen Platz gehabt in Deutschland. Man hat diese Gesichter nicht gesehen im Fernsehen. Auf einmal sieht man sie. Das ist ein Perspektivwechsel. Zumal er von einem anderen Leben erzählt.

SZ: Apropos anderes Leben: Ihr Vater kommt im Gespräch nicht vor.

Bushido: Doch. Mein Hitzkopf, mein Nicht-Verstehen-Wollen, das ist das Arabische in mir. Der deutsche Teil sorgt dafür, dass ich mich informiere, versuche, korrekt zu sein. Der arabische Teil, der meines Vaters, bewirkt, dass ich alle Leute durch die Scheibe schmeißen will, die meine Mutter beleidigen.

Güngör: Das würden stramme Rechte auch über Araber und Deutsche sagen.

Bushido: Ja. Weil es leider viele Ausländer gibt, die so sind.

Güngör: Dann nutz doch Deine Verantwortung! Nutz Deinen Ruhm dazu, denen zu sagen, dass nicht immer nur alles Scheiße ist, dass man nicht immer nur schlagen muss! Du kannst doch auch mal eine Vision geben, wie man aus der Scheiße wieder rauskommt!

Bushido: In Sachen Verantwortung kann ich nichts versprechen. Ich glaube eher, es wird noch härter. Weil Leute wie ich immer mehr Aufmerksamkeit bekommen werden und das Publikum noch viel größer wird.

SZ: Der harte deutsche HipHop hat nicht nur die Musik, sondern auch die Attitüden des amerikanischen Gangsta-Raps übernommen - sind wir bald an dem Punkt, wo deutsche Rapper ihre Authentizität wie der US-Star 50 Cent mit der Zahl der Kugeln belegen müssen, die sie sich eingefangen haben? In Ihren Videos haben Sie einander ja schon mal begraben. Und Eko Fresh soll Berlin verlassen haben, weil es ihm da zu heiß wurde.

Bushido: Zwischen Amerika und hier liegen doch Welten. Da drüben geht es im HipHop ums ganz große Geld. Und bei uns sind viel zu wenige Kriminelle involviert. Vielleicht saß einer von uns mal in U-Haft, aber so richtig kriminell? Kaum. Die amerikanischen Rapper kriegen Morddrohungen und müssen sich verstecken. Ich lauf am helllichten Tag durch Köln, und wenn einer kommt, der meine Musik nicht mag, dann boxen wir uns höchstens und gehen beide weiter.

Loh: Meine Schüler fragen, ob Du ihnen ein Autogramm gibst. Die haben mir extra all diese CDs hier mitgegeben.

Bushido: Gerne, wenn Du das verantworten kannst...

Interview: Alex Rühle, Dirk Peitz

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