Interview:Mehr Offenheit

Mit der aktuellen Schau hinterfragt die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf ihre eigene Arbeit und weitet ihren Blick.

Von Johanna Pfund

Maria Müller-Schareck ist eine der Kuratorinnen, die an dem Ausstellungsprojekt "Museum Global. Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne" der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf gearbeitet haben. Im Interview spricht sie über die Arbeit in großen Teams und die Folgen des intensivierten Austauschs mit Besuchern.

SZ: An dem Projekt arbeiten Sie seit vier Jahren, die Ausstellung ist seit November zu sehen. Gibt es ein erstes Fazit?

Maria Müller-Schareck: Eine Besonderheit war zweifellos, dass wir von Beginn an in einem großen Team zusammengearbeitet haben: die Kuratorinnen mit den Experten der Abteilung Bildung. Das war ein herausfordernder Prozess, der viel Zeit in Anspruch genommen hat, der uns aber geholfen hat, die unterschiedlichen Fragen aus immer neuen Perspektiven zu betrachten.

Im Team waren ja überwiegend Frauen.

Ja. Wir waren ein fast ausschließlich weibliches Team, auch im Blick auf Herkunft und Bildung alles andere als divers. Es war schnell klar, dass wir uns selbst auf den Weg machen wollten, statt diese Ausstellung von Gastkuratoren erarbeiten zu lassen. Wir wollten unseren Horizont erweitern, wollten für uns bis dato unbekannte Kunstregionen, Werke und kulturelle Prägungen kennenlernen, auf Reisen Kontakte knüpfen und vieles davon in unsere Institution hineintragen. Wir haben zahlreiche Gäste eingeladen, zu Workshops, Vorträgen und Gesprächen. In Kooperation mit dem Goethe-Institut haben Gastkuratoren aus Ägypten, Brasilien, Libanon, aus Indien, Japan und Nigeria für vier bis zwölf Wochen in unserem Schmela-Haus gewohnt, mit uns gearbeitet und ihrerseits Kontakte in die lokale Kunstszene geknüpft. In den Ländern, in denen unsere sieben Mikrogeschichten der Ausstellung angesiedelt sind, haben wir eng mit Museumskollegen, mit Künstlern und Vermittlern zusammengearbeitet.

Dieses von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Projekt zielt darauf, die westlich orientierte Ausrichtung des Museums zu hinterfragen. Aber ist das denn so neu? Diesen Ansatz haben ja schon einige Häuser gewählt.

Das ist richtig, doch der Blick ist selten auf Kunstbewegungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerichtet worden. Unsere Ausstellung spannt den Bogen von 1910 bis 1960, die Jahrzehnte, in denen die wichtigsten Werke unserer bisher ausschließlich westlich geprägten Kunstsammlung entstanden sind. Jenseits von Paris, Berlin, Wien gab es vitale Kunstzentren, wo gut vernetzte Künstler eine moderne Bildsprache entwickelt haben, in Auseinandersetzung mit der westlichen Moderne und der Kultur ihrer Region. Viele lebten in politischen und gesellschaftlichen Umbruchsituationen, in denen sich die Frage nach der eigenen Identität und den Wurzeln der eigenen Kultur vehement stellte.

Gab es überraschende Erkenntnisse?

Vieles hat uns überrascht: die Vielzahl der Kontaktzonen beispielsweise. Paris war ein solcher Ort, an dem sich Künstler aus aller Welt begegneten, ebenso aber Mexiko-Stadt, São Paulo oder Tokio. Faszinierend auch die Wege, auf denen die Künstler ihre Kontakte pflegten, die vielen Zeitschriften und Postkarten, deren Motive vieles über die Zeit erzählen. Neben den Bildern bereichern Fotografien, Filmausschnitte, Zeitschriften, Dokumente und Manifeste die Mikrogeschichten.

Die Ausstellung und die Forschung sind selbstkritisch angelegt. Wird das Projekt Konsequenzen haben?

Wir sind uns im Verlauf des Prozesses darüber klar geworden, dass wir uns öffnen und unsere Entscheidungen transparent machen möchten. Wir müssen uns den gesellschaftlich relevanten Fragen ebenso stellen wie den Bedürfnissen unserer Besucher. Diese Erkenntnis spiegelt sich in einem Ort: Unsere große Ausstellungshalle ist ein "Open Space" geworden, der sich zur Stadt hin öffnet, für den es keine Eintrittskarte braucht. Hier kann jede und jeder eintreten, Zeitung lesen oder im Internet surfen, Spiele nutzen und Bücher, ins Gespräch kommen. Es ist ein Ort der Begegnung. Kollegen sitzen dort stundenweise am Empfang und erzählen über das Projekt, falls gewünscht. Dort entwickeln sich Gespräche, die - davon sind wir überzeugt - für beide Seiten höchst fruchtbar sind. Und wir müssen Antworten finden auf die Frage, was wir sein wollen. Ein Elfenbeinturm? Oder ein offener Ort der Begegnung mit Kunst, aber auch mit Menschen und den dringlichen Fragen ihres Alltags. Dieser Prozess der Öffnung ist nicht abgeschlossen. Wir sind überzeugt, dass er notwendig ist und überaus inspirierend.

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