Süddeutsche Zeitung

Interview: Kiran Nagarkar:"Einmalig verlogener Unsinn"

Fundamentalisten lesen keine Bücher: Der indische Schriftsteller Kiran Nagarkar spricht über die islamistischen Drohungen gegen Salman Rushdie und die anmaßende Ignoranz von Attentätern.

Alex Rühle

Kiran Nagarkar lebt als Schriftsteller in Bombay. Er hat selbst immer wieder unter der Hetze religiöser Fanatiker zu leiden gehabt, eines seiner Theaterstücke wurde von Hindu-Fundamentalisten verboten, anderen galt er als Verräter, weil er seinen Roman "Ravan und Eddie" auf Englisch schrieb und nicht in seiner Muttersprache Maharathi. Und für seinen letzten Roman "Gottes kleiner Krieger" bezeichnete ihn ein indischer Kritiker als "literarischen Terroristen". In diesem Roman wird ein dilettantisches Attentat auf Salman Rushdie verübt. Grund genug, mit ihm über die neuen Drohungen gegen Rushdie zu reden: Seit bekannt wurde, dass die Queen Rushdie in den Adelsstand erheben möchte, gehen in islamischen Ländern die Leute auf die Straße, verbrennen britische Flaggen und Bilder des Autors der "Satanischen Verse".

SZ: In "Gottes kleiner Krieger" erzählen Sie die Geschichte eines Extremisten, der, ähnlich wie Salman Rushdie, aus einer liberalen Bombayer Familie stammt, dann aber zum Gewalttäter wird.

Kiran Nagarkar: Das Buch verhandelt eigentlich die Frage, wie Indien, das mit Gandhis gewaltfreier Bewegung eine einmalige Unabhängigkeitsgeschichte hatte, zu einer Gesellschaft werden konnte, in der nur noch die Sprache der Gewalt und des Extremismus zählt.

SZ: Als Ihr Held von der Fatwa hört, versucht er, Rushdie zu erschießen.

Nagarkar: Es ging mir um die anmaßende Ignoranz solcher Täter. Vor dem Attentat fragt ihn seine Freundin, ob er "Die satanischen Verse" gelesen habe. Nein, sagt er, natürlich nicht. "Warum machst Du es dann?" Und er sagt: "Wenn Gott sich nicht darum kümmert, muss ich meinen Glauben selbst verteidigen."

SZ: Als damals die Fatwa verhängt wurde, haben in Europa einige Intellektuelle gesagt, man müsse auch die Muslime verstehen, schließlich seien deren religiösen Gefühle verletzt worden.

Nagarkar: Aber das ist kein Grund, das Buch zu verbieten oder gar den Autor mit dem Tod zu bedrohen. Man kann diese Leute nicht verteidigen. Welche Instanz kann sich anmaßen, darüber zu entscheiden, was verletzend ist und was nicht? Die Fundamentalisten aller Couleur werden da immer dreister. In Indien wurde der Film "Da Vinci Code" in sieben Bundesstaaten verboten, wegen angeblicher Blasphemie. Und das, obwohl extra in allen indischen Kopien am Anfang und Ende des Films gesagt wird, dass es sich um reine Fiktion handle.

Seite 2: Nagarkar über die weltweite Hetzjagd von Rushdie und unentschlossenen Multikulturalisten.

SZ: Indien hat seinerzeit als erstes Land die "Satanischen Verse" verboten.

Nagarkar: Khomeini hätte wohl nie von dem Buch erfahren, wenn nicht Rajiv Gandhi, der sich selber einen "fortschrittlichen, sauberen" Premierminister nannte, was zwei sehr verdächtige Epitheta sind, seinerzeit das Buch verboten hätte. Die wichtigste Vorbedingung für Zensur ist ja eigentlich immer, dass es keiner liest. Trotzdem sind bei den Ausschreitungen damals vier Menschen gestorben. Da wurde das Buch verboten.

SZ: Inayat Bunglawala, der Pressesprecher der moderaten Islam-Organisiation MCB, schreibt im "Guardian" über den Moment, als seinerzeit die Fatwa ausgesprochen und das Buch in London verbrannt wurde. Für ihn war das eine Art zweite Geburt; die Proteste gegen Rushdies Roman hätten bei vielen britischen Muslimen zu einer neuen islamischen Identität geführt.

Nagarkar: So wie die palästinensische Sache viele Muslime erst zu militanten Gläubigen machte, so hatte Rushdie enorme Schubwirkung. Das verschärfte bei vielen Muslimen das Gefühl der Marginalisierung, dass die Welt gegen sie ist.

SZ: Finden Sie es nicht seltsam, wenn dieses Gemeinschaftserlebnis der Bücherverbrennung mitten in einer europäischen Hauptstadt erinnerungsselig als identitätsstiftendes Moment gefeiert wird?

Nagarkar: Immerhin erzählt der Mann, was in vielen Muslimen vorgeht. Er hat sich geändert. Die meisten sehen das heute noch so.

SZ: Haben Sie davon gehört, dass die iranische Organisation "The Organisation To Commemorate The Martyrs of The Muslim World" ein Kopfgeld von 150 000 Dollar auf Salman Rushdie aussetzte?

Nagarkar: Oh, das ist viel weniger, als Khomeini seinerzeit bot, warum ist der Preis so runtergegangen? Nein, ernsthaft, es ist nicht zu fassen, dass diese Mullahs zu weltweiter Hetzjagd aufrufen dürfen und dass ihnen so viele folgen.

SZ: Der pakistanische Religionsminister Muhammad Ijaz-ul-Haq sagte, die Auszeichnung Rushdies sei eine Rechtfertigung für Selbstmordattentate.

Nagarkar: Man kann diesen furchtbaren Mann gar nicht ernst genug nehmen. Wir werden alle noch staunen, wie die Mullahs diese neue Rushdie-Geschichte zu ihren Zwecken instrumentalisieren.

SZ: Mehrere Mitglieder des Komitees, das darüber entscheidet, wer von der Queen geadelt wird, waren erstaunt über die Reaktionen; sie glaubten, ihre Wahl würde die Beziehungen zwischen Europa und Asien verbessern.

Nagarkar: Das ist schon einmalig verlogener Unsinn. Und es erinnert mich an die merkwürdig unentschlossenen Multikulturalisten, von denen sie bezüglich der Fatwa sprachen. Diese Entscheidung wird in der muslimischen Welt enorme Erschütterungen auslösen, und das wird die Jury gewusst haben. Ich hätte mir gewünscht, dass sie sagen, wir geben ihm diesen Preis, weil er ihn nun mal verdient für sein Werk, egal, was dann passiert.

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SZ v. 21.7.2007
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