Süddeutsche Zeitung

Interview: Joel und Ethan Coen:Hollywoods letzte Machos

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Die vierfachen Oscar-Gewinner Joel und Ethan Coen über den Siegerfilm "No Country for Old Men", ihr nächstes Projekt mit George Clooney, menschliche Dramen und unmenschliche Haarschnitte.

Marcus Rothe

SZ: Sieht man von früheren Anleihen bei Homer ab, ist dies Ihre erste Literaturverfilmung. Was hat Sie an dem Stoff von Cormac McCarthy gereizt?

Joel Coen: Ich fühlte mich von den texanischen Landschaften angezogen und von einer Geschichte, die stark darin verwurzelt ist. Der Aufbau wirkt klassisch: der Gute, der Böse und derjenige, der dazwischen steht und mit dem man sich identifizieren kann. Der Roman scheint auf den ersten Blick sehr formal zu sein, beinahe wie eine dieser Pulp-Fiction-Geschichten. Aber dann wird das Genre nach und nach unterlaufen. Bis man merkt, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht.

SZ: Stehen die Landschaften so im Vordergrund, weil es wie im Western auch um das Überwinden von Grenzen, um das Erobern neuer Territorien geht?

Joel Coen: Nein, nicht wirklich. Sie denken daran, weil diese Themen und der Mythos der Pioniere das amerikanischen Kino so stark geprägt haben...

Ethan Coen: Wenn man sich die Struktur von Cormacs Geschichte anschaut, geht es um andere Themen als im klassischen Western.

Joel Coen: Obwohl unsere Figuren aus Texas kommen und sich daher wie Cowboys verhalten.

Ethan Coen: Wenn ich jetzt den fertigen Film sehe, denke ich weniger an einen Western als vielmehr an eine Art Krimi, einen Film Noir.

Joel Coen: Jemand hat das Ganze als einen fußlahmen Verfolgungsfilm beschrieben. Damit kann ich gut leben (lacht). Cormac McCarthy befolgt keine normalen Regeln: Der Gute trifft am Ende nicht auf den Bösen. Und die Figur, bei der alle Fäden des Geschehens zusammenlaufen, verschwindet einfach von der Bildfläche.

SZ: Handeln nicht alle Ihre Filme in gewisser Weise davon, was es heißt, auf der Flucht zu sein?

Ethan Coen: Ja, aber so was fällt uns dann immer erst nachher im Rückblick auf. Unsere allzu menschlichen Figuren geraten einfach in zunehmend ausweglose Situationen - und dann versuchen sie, sich daraus wieder zu befreien.

SZ: Warum?

Ethan Coen: Das sind gute dramatische Mittel, um das Publikum bei der Stange zu halten.

Joel Coen: Naja, es ist eher so, dass wir unreifen Kindsköpfe uns immer wieder von ähnlichen Situationen angezogen fühlen. Das muss etwas mit den Gesetzen der Schwerkraft zu tun haben.

SZ: Spielt der Titel "No Country for Old Men" auf die Gewaltbereitschaft der amerikanischen Gesellschaft an?

Joel Coen: Ja, darin liegt eine bestimmte Wahrheit. Unser Land wurde schon immer von der Gewalt geprägt. Das zentrale Thema von Cormacs Roman ist die Idee, dass sich der Zustand der Welt verschlechtert, und dass man diese Verschlechterung als umso brutaler empfindet, je älter man selber wird. Alles ist eine Frage der Wahrnehmung. Die Welt selbst ändert sich nicht.

SZ: Soll diese Geschichte von harten Männern in Texas auch eine Hommage an Machos vom alten Schlag sein?

Ethan Coen: Ja, Frauen kommen nur am Rande vor. Alle drei Hauptfiguren sind lupenreine Machos - auch wenn ich mit diesem Urteil bei dem Killer Chigurh, der von Javier Bardem gespielt wird, etwas vorsichtiger wäre.

Joel Coen: Wir hatten es übrigens verdammt schwer, echte Machos unter den amerikanischen Schauspielern zu finden. In Hollywood laufen nur noch sensible Seelen herum!

Auf der nächsten Seite: Warum die Coen-Brüder George Clooney wie einen Idioten aussehen lassen.

SZ: Wie kamen Sie auf die Idee, den stoischen Killer mit dem unfassbaren Javier Bardem zu besetzen?

Joel Coen: Wir wollten jemanden, der in dieser Landschaft wie ein Alien auftaucht. Was ihn so erschreckend macht, ist seine völlig Gefühllosigkeit. Javier Bardem hat seine Figur dann auch so angelegt, dass er nichts nach außen dringen lässt. Während sich alle anderen Figuren mit inneren Konflikten herumschlagen, scheint dieser Killer, Frieden mit seiner Umwelt und mit sich selbst geschlossen zu haben - beinahe wie ein Zen-Buddhist.

SZ: Wer von Ihnen hat sich Chigurhs unwiderstehlichen Haarschnitt ausgedacht?

Joel Coen: Sein Aussehen haben wir dem Foto eines amerikanischen Grenzstadtbewohners aus den späten siebziger Jahren nachempfunden. Als wir Javier diese Frisur antaten, hat er die bittere Pille zwar geschluckt. Dann aber ging es ihm auf die Nerven, dass er auch außerhalb der Dreharbeiten mit dieser altmodischen Matte herumlaufen musste.

SZ: Welche Eigenschaften sollte ein Schauspieler haben, um von Ihnen besetzt zu werden?

Ethan Coen: Er muss bereit sein, sich seine Haare schneiden zu lassen! Nein, unsere Schauspieler sollten keine Eitelkeit kennen...

Joel Coen: Wir drehen nur mit Stars, wenn sie wirklich bereit sind, sich ihren Figuren unterzuordnen. So macht die Arbeit dann auch allen Beteiligten mehr Spass.

SZ: George Clooney sagt, dass Sie Ihre Schauspieler gerne wie Idioten aussehen lassen. Brauchen diese vor allem Mut zur Lächerlichkeit?

Joel Coen: Nun gut, die Schauspieler sollen sich nicht wie Idioten fühlen, sondern diese nur glaubhaft verkörpern. Und George Clooney macht sich auch in unserem nächsten Film "Burn After Reading" wieder zum Idioten. Anscheinend ist er auf den Geschmack gekommen!

SZ: Klingt vielversprechend. Der Film ist abgedreht und kommt noch dieses Jahr ins Kino - worum geht es?

Joel Coen: "Burn After Reading" handelt von einem Agenten der CIA, von der amerikanische Fitness-Kultur und von Internet-Dating. Brad Pitt spielt einen Fitnesstrainer, Frances McDormand die Club-Managerin und George Clooney einen sexbesessenen Federal Marshal.

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Quelle:
SZ vom 26.2.2008/kur
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