Interview: Jim Jarmusch:Den Raum falten

Jim Jarmusch lässt sich über die Zeit aus - und über Wurmlöcher, Weichkäse und Warhol

Er macht amerikanisches Kino mit Blick auf Europa. Und er arbeitet gern in Gemeinschaft. So war Jim Jarmusch der richtige Mann für "Ten Minutes Older".

Interview: Jim Jarmusch: "Für mich war Amerika immer das Land, wo du ausdrücken kannst, was du willst. Aber das scheint immer weniger zu stimmen."

"Für mich war Amerika immer das Land, wo du ausdrücken kannst, was du willst. Aber das scheint immer weniger zu stimmen."

(Foto: SZ v. 19.12.2002)

SZ: Sie lieben es angeblich nicht, auf Ihre Filme zurückzublicken.

Jim Jarmusch: Ich habe nichts dagegen, über sie zu sprechen. Aber ich möchte sie nicht wieder sehen. Die meisten habe ich seit ihrer Fertigstellung nicht mehr angeschaut.

SZ: Aus Angst, Fehler darin zu finden?

Jarmusch: Nein, ich halte es für eine Zeitverschwendung zurückzublicken. Natürlich haben sie Fehler, aber aus denen habe ich gelernt. Und falls nicht, dann bringt es mir nichts, wenn ich sie mir wieder anschaue.

SZ: Was war neu bei "Int. Trailer. Night", Ihrem Beitrag für "Ten Minutes Older"?

Jarmusch: Ich habe zum ersten Mal einen Film gedreht, der eine genaue Länge haben musste. Das hat mich an dem ganzen Projekt fasziniert: Einerseits sollte ich etwas machen, das sich vage mit dem Thema "Zeit" beschäftigte, andererseits musste das ganze exakt zehn Minuten lang sein. Neu war auch, dass ich zum ersten Mal eine weibliche Hauptfigur hatte.

Freundinnen haben sich beschwert, dass ich nur Filme für Jungs mache, wie "Down By Law" oder "Ghost Dog". Und irgendwie habe ich begriffen, dass mir etwas fehlt und ich mich weiterentwickeln muss. Deshalb habe ich wohl das Stück speziell für Chloë Sevigny geschrieben.

SZ: Was ist Ihre Vorstellung von Zeit?

Jarmusch: Erst mal hat natürlich jeder Film mit Zeit zu tun. Sie ist Teil seiner Form. Andererseits können wir uns nicht theoretisch mit ihr auseinandersetzen. Wir verstehen ja gar nicht, was Zeit überhaupt ist. Ich habe so viele Physikbücher über Wurmlöcher oder Raumfalten gelesen, und alles, was sie uns sagen, ist: Wir wissen, dass wir nichts wissen.

SZ: Aber sie wollen doch nicht leugnen, dass Sie in Ihren Filmen ein Verständnis von Zeit reflektieren?

Jarmusch: Was mich interessiert, das sind die Momente zwischen den wirklichen Ereignissen. Ich will sehen, was jemand bei der Arbeit tut, wenn er gerade nicht arbeitet oder wenn er von einem Ort zum anderen unterwegs ist. In so einem Zwischenraum ist auch "Int. Trailer. Night" angesiedelt. Inspiriert wurde er von einem Kurzfilm Pasolinis, "La Ricotta". Der handelt von einem Statisten in einem Jesusfilm, der einen der Gekreuzigten darstellt. Aber es geht nicht um die Dreharbeiten, sondern um seine Mittagspause, für die er ein Stück Ricotta bekommt, und wie er damit nach Hause läuft, um ihn seiner Familie zu geben.

SZ: Bei Ihnen ist alles etwas karg ...

Jarmusch: Die Hauptfigur führt in der Drehpause einfach ein Telefongespräch. Das ist angeregt von Andy Warhols Texten. Er fertigte Transkriptionen ganzer Telefonate an, mit ihren ganz banalen Inhalten. Die las ich immer sehr gern, und so schrieb ich einen Dialog, der ohne tiefere Bedeutung war. Ich sagte zu Chloë Sevigny, sie könne umschreiben, was sie wolle. Aber sie änderte nur ein Wort.

SZ: Wollen Sie nicht mal einen Film mit spektakulärerer Handlung drehen?

Jarmusch: Vorstellbar wäre das. Aber ich interessiere mich einfach mehr für die Figuren. Und ich mag es, wenn Filme einen langsamen Rhythmus haben. Selbst wenn ich versuchen würde, einen klassischen Thriller zu schreiben, käme etwas anderes dabei heraus.

SZ: Mögen Sie Actionfilme?

Jarmusch: Grundsätzlich machen sie mir Spaß. Aber in letzter Zeit sehen wir nur noch die alten Klischees. Nehmen Sie einen Film wie den von den Inuit gedrehten "Atanarjuat". Der verkörpert eine neue Art des Erzählens. Vielleicht ist das der Ausweg: Geben wir eingeborenen Völkern Kameras und bringen wir ihnen die Grundbegriffe des Kinos bei. Dann werden sie uns staunen lassen.

SZ: Aber Ihre Geschichten sind ja in der amerikanischen Kultur verwurzelt.

Jarmusch: Die amerikanische Kultur an sich gibt es nicht. Sie ist die Summe der Kulturen und der Perspektiven der Einwanderer. So gesehen könnte ich meine Geschichten und Charaktere überall ansiedeln. Ich fühle mich ohnehin in Amerika nicht mehr so wohl.

SZ: Und warum?

Jarmusch: Alles, was in letzter Zeit in diesem Land geschieht, ist einfach entmutigend. Die Regierung tut alles, um uns unsere Rechte wegzunehmen. Was soll man auch von einer Nation erwarten, die zum Teil aus Genozid, Mord und Gier heraus entstand? So ist es wohl naiv zu glauben, dass zu Amerika tiefere moralische Werte gehören. Aber es gibt sie. Ich habe sie erlebt.

SZ: Von welchen Werten sprechen Sie?

Jarmusch: Für mich war Amerika immer das Land, wo du ausdrücken kannst, was du willst. Aber das scheint immer weniger zu stimmen. Vielleicht muss ich nach Europa gehen. Dort ist man offenbar freier als in den Vereinigten Staaten.Interview: Rüdiger Sturm

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