Süddeutsche Zeitung

Interview:"Ich fühl' mich oft verarscht"

Moderatorin Charlotte Roche über Musikfernsehen, die Nacktmulle und ihr Comeback bei Arte.

Oliver Fuchs

Nach einem Jahr Pause kehrt Charlotte Roche, einst bei Viva, ins Fernsehen zurück. Sie führt bei Arte durchs wöchentliche Musikmagazin Tracks (Donnerstag, 23.55 Uhr) - ungefähr einmal im Monat, in den vom ZDF beigesteuerten Folgen.

SZ: Wie haben Sie es ein Jahr ohne eigene Fernsehshow ausgehalten?

Charlotte Roche: Es gab Tiefpunkte, wo ich dachte: Was um Himmels willen kommt als nächstes? Aber mein Ziel war ja nicht, irgendeinen Job zu finden. Bevor ich irgendwas Bescheuertes mache, hab' ich zu mir gesagt, mach' ich lieber gar nichts. Schreckliche Shows wie ABBA-Mania sollen ruhig Dirk Bach und Barbara Schöneberger moderieren.

SZ: Hat sich das Fernsehen verändert?

Roche: Was früher schon schlimm war, ist noch schlimmer geworden. Heute meinen fast alle Sender, sie müssten in jeder Sendeminute Geld verdienen. Niemand wagt es, was Modernes, Überraschendes, Riskantes auszuprobieren - nicht einmal in der Nachtschiene. Deprimierend. Ich fühl' mich oft total verarscht, wenn ich vor dem Fernseher sitze. Manche Sendungen lösen bei mir Krämpfe aus.

SZ: Auch wenn Sie Viva einschalten?

Roche: Oh weh, diese schlimmen Pärchen-Verkuppelungs-Shows! Und die Klingelton-Werbung! Das ist halt ein Generationen-Ding. Als 27-Jährige kann ich das schon nicht mehr begreifen.

SZ: Arte ist spezialisiert auf, sagen wir, Grabschätze der Pharaonen, Gottfried Benns Nietzsche-Rezeption ...

Roche: Oder Nacktmulle. Unterirdisch lebende, fast haarlose Nagetiere. Über die gab's mal einen tollen Film.

SZ: Passen Sie überhaupt in so ein bildungsbürgerliches Umfeld?

Roche: Absolut. Bildungsbürgerlich ist doch nett. Was ist dagegen einzuwenden, wenn Leute sich einen Themenabend anschauen und hinterher zum Beispiel ganz genau Bescheid wissen über Jeanne Moreau? Der letzte Themenabend, den ich gesehen habe, war über Perlen. Jetzt an Weihnachten konnte ich das Wissen praktisch anwenden. Ich hab' erkannt, dass meine Oma eine echte Perlenkette trägt. Schön, wenn man durch Fernsehen klüger wird.

SZ: Elite-Nische bedeutet Enge, oder?

Roche: Ich darf bei der fantastischen Musiksendung Tracks, die ja seit einigen Jahren läuft, machen, was ich schon bei Fast Forward auf Viva gemacht habe: Auf der Straße rumspacken, Musikvideos ansagen, Künstler interviewen.

SZ: Entsprechend liegt der Marktanteil bei ungefähr 0,5 Prozent.

Roche: Das klingt nach wenig. Aber, hey, das sind wahrscheinlich hundertmal mehr Zuschauer als bei Fast Forward. Damals war die Quote praktisch im Minus-Bereich. Ich wurde oft zum Chef zitiert. "Schlechte Quote? Ist doch super!", hab' ich zu ihm gesagt. "Und außerdem logisch. Wir spielen ja auch nur komische Musik." Ich bin nun mal kein Typ für Sendungen, die von drei Millionen gesehen werden. Arte richtet sich an Zuschauer, die in der Lage sind, sich über längere Zeit zu konzentrieren und unter Umständen mal ein Buch zu lesen.

SZ: Arte richtet sich neu aus - hin zum "erweiterten Kulturbegriff".

Roche: Ach ja? Was ist damit gemeint?

SZ: Zum Beispiel Sie. Zudem gibt es eine Quiz-Show und Underground-Filme wie Russ Meyers Supervixen.

Roche: (lacht) Also, ich seh' mich natürlich als eine von den "Supervixen".

SZ: Befürchten Sie nicht, dass Sie dort bloß der lustige Farbtupfer sind?

Roche: Sie meinen, dass Arte mich instrumentalisiert? Aber das war bei Viva doch nicht anders. Dort gab es eine schwarze Moderatorin und eine asiatische, eine kluge und eine dumme, eine mit großen und eine mit kleinen Brüsten - und eine Verrückte, das war halt ich. Instrumentalisiert wird man doch überall.

SZ: Was sind Themen zum Auftakt?

Roche: Ich unterhalte mich mit Kim Cattrall, der Samantha aus Sex and the City, darüber, dass Intimpflege-Lotions für Frauen Unterdrückungsinstrumente sind. Und ich mache einen Rundgang durch Köln und zeige den Zuschauern historische Orte der Punk-Bewegung.

SZ: Gab es in Köln überhaupt ...?

Roche: Das ist ja der Witz. Köln hat null Punk-Geschichte.

SZ: Das dürfte Arte-Fans überfordern.

Roche: Wenn es mir gelingt, die klugen Arte-Zuschauer zu überfordern, das wäre absolut super! Ein größeres Kompliment kann ich mir gar nicht vorstellen.

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Quelle:
SZ vom 5. Januar 2006
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